Entschlackt
Das Einzige, was von der vorherigen Küche noch zu erkennen ist, sind die antike Tür, das Fenster daneben. Vorhänge mit rot-weiss kariertem Kölschstoff, die Wände mit Linoleum verkleidet, der Boden ebenso. Ein weisser Kochherd stand da frei im Raum, daneben eine Chromstahlspüle, davor ein Holzherd und darüber an die Wand geschraubte Regale. Das Ganze getaucht in Neonlicht und auf dem Tisch das obligate Wachstuch – Zeitzeugen des Wohnens der letzten Jahrzehnte. Der hintere Teil der Küche war mit Fichtentäfer verkleidet. Es ist dieselbe Tür, aber der Raum ist jetzt völlig verwandelt. Ich bin schlicht verblüfft.
«Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen noch das Obergeschoss . . .» Der Besitzer führt mich die Stufe hoch ins Esszimmer. Auch hier Stil pur: An der Strickwand hängt ein Triptychon einer Berglandschaft, davor steht ein massiver Esstisch, gefertigt aus einem alten Stallboden, mit dunklen Stoffstühlen. Hier können Gastgeber und Gäste nach Herzenslust tafeln. «Wir haben die Substanz hervorgeholt und ins richtige Licht gestellt», sagt ein sichtlich stolzer Eigentümer, als er auf die Wand klopft. «Das originale, antike Stubentäfer wurde ausgebaut, die Hauswand dahinter gedämmt, das Täfer wieder eingebaut. Ziemlich viel Aufwand, aber es hat sich gelohnt – aussen ist es original, dazwischen unsichtbar optimiert.» Im Wohnzimmer setze ich mich spontan aufs optisch wunderbar passende Ecksofa – und eigentlich möchte ich einfach hier sitzen bleiben. Durch die Leinenvorhänge vor den Fenstern fällt das Sommerlicht gedämpft in den Raum, wo es angenehm duftet – nach Entspannung, Erdung, Erholung in den Bergen, der Alltag ist weit weg.
Sagenhaft schlicht
Natürlich hat meine Einführung ins Gebäude hier gerade erst begonnen. Hinaus gehts aus der Stubentür in den Vorraum von eben, auf der Originaltreppe ins obere Geschoss mit den drei Schlafzimmern und dem Bad. Die alten Dielen knarren, der Flur ist grösser, als man es von aussen erwarten würde, und oben sehe ich eine Brücke aus schwarzem Stahl und Glas, den Estrich über dem Gang im Obergeschoss hat man weggenommen, man sieht zur neu verkleideten Dachuntersicht. «Gedämmt wurden alle Aussenwände, doch bei den Böden haben wir bewusst auf Verstärkung und Trittschalldämmung verzichtet.» Als er mir die Türen öffnet, die Holztürfallen und die alten Schlösser vermitteln noch die Schlichtheit vergangener Tage, verbergen sich dahinter Schlafzimmer, mit bequemen Doppelbetten eingerichtet und in puristisch schönem Stil gehalten – von den Lampen bis zu den Textilien. «Können Sie sich vorstellen, wie es ist, hier aufzustehen? Ins Morgenrot über dem Tenner Joch blicken und dann mit dem Hund in der frischen Morgenluft einen Spaziergang machen. So sah es übrigens vorher aus . . .» Er zeigt erneut auf sein Handy. Nichts, aber auch gar nichts erinnert mehr an das Schlafzimmer, das hier vorher war – an den Schrank, der eines der Fenster halb verdeckte, an das 80er-Jahre-Täfer, an den Boden. Doch – tatsächlich – es sind noch dieselben Bodenbretter.
Vom Gang geht es auf die Laube – der Blick ins Safiental ist atemberaubend, man sieht bis zu den Tschingelhörnern und zum Flimserstein, ich bin in einem Weiler, fernab des Alltags, und doch fühlt es sich an wie ein Lebensmittelpunkt. Ich weiss schon, was jetzt kommt: das Vorher-Bild. Es ist derselbe Flur auf dem Bild, es sind dieselben Strickwände, dieselben Bodenbretter. Eine Truhe verstellt den Gang und die Tür zur Laube will mit ihrem Glasfenster und ihrem Stil nicht zum Rest passen. Darüber zeigt das Bild die Leitung für das Elektrokabel, sie ist direkt aufs Holz geschraubt. Und noch etwas fällt mir auf: Eine letzte, dunkle, niedrige Tür, welche der Hausherr noch verschlossen hält.
Er führt mich stattdessen zunächst über eine Treppe mit Metallwangen aus Schwarzblech und Antikholzstufen hinauf zur Passerelle unter dem Dach. Sie verbindet einen offene «Schlaf-Lounge» mit TV mit der Leseecke. Sie ist so gut ausgestattet, dass sie fast den Namen Bibliothek verdient. Mit einem Querschnitt durch Belletristik, Architektur, Natur und alpine Themen – fast wünschte man sich, dass es regnen würde. Bequeme Sessel und gute Beleuchtung laden zum Lesen ein. Sicher werden die Bewohner hier am Abend auch mal einen Filmabend mit einem Bergkrimi oder etwas Ähnliches geniessen. Urgemütlich. Wir steigen wieder hinunter – denn schliesslich wartet noch das Sahnehäubchen auf mich.