Abos!

STIL, STIL, STIL.

Von aussen ein Walserhaus, von innen Wohnstil pur. ?Für Stubenhocker und Abenteurer, Landliebende und ?Wanderfreaks hat Holzrausch in Sculms einen ?Wohntraum geschaffen, der das einfache Leben im ?abgelegenen Weiler auf eine neue Ebene bringt.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Claudio Ambühl??

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Zuerst die nüchternen Fakten: Gemeinde Safiental, 1000 m ü. M., ein fast 300-jähriges Walserhaus, hoch über der Schlucht. Drei Schlafzimmer mit Doppelbett, Küche, Esszimmer, Wohnzimmer, Bad und Dusche, Sauna und im Dachgeschoss die Leseecke sowie eine «Schlaf-Lounge», zwei Sitzplätze, einer vor dem Haus, einer dahinter, zwei Lauben und zwei Autoabstellplätze, so weit das Objekt. Doch wie heisst es jeweils: Das müssen Sie gesehen haben – und in diesem Fall definitiv.

Die Fahrt nach Sculms

Das Erlebnis beginnt schon mit der Mountainbike-Fahrt nach Sculms. Denn kurz nachdem ich die Versamerstrasse verlassen habe und die letzten Einfamilienhäuser von Bonaduz hinter mir liegen, beginnt die Wildnis. In engen Kurven schlängelt sich die Fahrbahn durch lichten Wald bergwärts, die Sonne intensiviert den Duft nach Blättern und Nadeln, ich fühle mich wie im Nationalpark. Dann – bei Scombras – wird der Blick frei auf Versam auf der anderen Seite der Schlucht, auf die Streusiedlung Arezen. Weiter ins Tal führt das Strässchen zum Sculmserhof, wo eine Tafel verkündet, was man hier kaufen kann: Eier, Süssmost von Apfel und Birne, Frischfleisch vom zehn Monate alten Jungrind, Würste, Salsiz, Mostbröckli und – wie ich später erfahre – den besten Fleischkäse weit und breit. Alles in Bio-Qualität, hier oben hergestellt. Ich mache mir in Gedanken noch eine Notiz, als ich etwa 100 Meter weiter an einem typischen Walserhaus vorbeikomme, vor dem gerade ein Alfa Romeo Stelvio einparkt. Das Haus schaut mich fröhlich an, dahinter geht der Hang steil nach oben, davor geht es über ebenso steile Wiesen hinunter bis zum tief eingeschnittenen Tobel der Rabiusa.


Mit Blick auf den Flimserstein: das schlichte Walserhaus in Sculms wurde aussen möglichst original erhalten.Über Jahrhunderte gealterter Strick mit seiner Patina, das Dach ist neu.

Et voilà

Im Kofferraum des Stelvio türmen sich Zierkissen, die der Besitzer eben ins Haus tragen will. «Soll ich rasch helfen?», frage ich und er bedankt sich. «Ja, gerne!» Ich packe einen Stapel Kissen und gehe die paar Steinstufen hoch, während der Besitzer aufschliesst.

Die Türe ist alt, ja historisch, dahinter liegt der Eingangsbereich. «Legen Sie sie einfach da hin», sagt er und weist auf eine dunkle Betonbank. Die Strickwand dahinter wird durch ein LED-Band indirekt beleuchtet, das Originale des Hauses raffiniert in Szene gesetzt. Eine Bruchsteinmauer aus Tuffstein, vom Putz befreit, bildet optisch eine eigene Landschaft. Einfach, charmant, stilvoll – ich staune. «Dabei sollten Sie mal sehen, wies hier vorher ausgesehen hat», lacht er und wischt über den Bildschirm seines Smartphones. Mit Mühe erkenne ich auf dem Bild: Es ist derselbe Raum, allerdings ist die Mauer darauf noch weiss verputzt und er wirkt viel kleiner, weil der frühere Mieter hier wohl einiges verstaut hatte. «Wissen Sie was? Ich hole noch rasch den Rest der Kissen, dann mache ich Ihnen einen Kaffee.» Gesagt, getan. Die ursprüngliche Holztreppe führt aus dem Eingangsbereich vor der Stubentür ins Obergeschoss, doch zuerst geht es in den Küchenbereich mit Kochinsel und Spensa – modern, schwarz, stilvoll. Der grosse Kühlschrank wurde vorsorglich bereits befüllt, Sirup vom Hof, Orangensaft, Milch und siehe da, ein Ofenfleischkäse. Jetzt holt er den Kaffeerahm raus und fragt mich: «Espresso oder Lungo?»

Mein Blick schweift über die Kochinsel durch den Durchbruch weiter in die Stube, die umrahmt von den Balken und hinter der Glaswand wirkt wie ein Bild. Fast möchte man durch das Glas hineinsteigen. «Hier war eine weisse Mauer, die wir aber nicht mehr aufgebaut haben.» Und schon wieder macht er den Vorher-nachher-Trick mit seinem Handy. «So sah die Küche aus, bevor wir sie umbauten!»


Dunkel eingefärbte Beton-Sitzbank mit Zierkissen.Mit Raffinesse in Szene gesetzt: moderne Küche  im Kontrast zum alten Strick.Einst die Beikammer, jetzt das Esszimmer.

Entschlackt

Das Einzige, was von der vorherigen Küche noch zu erkennen ist, sind die antike Tür, das Fenster daneben. Vorhänge mit rot-weiss kariertem Kölschstoff, die Wände mit Linoleum verkleidet, der Boden ebenso. Ein weisser Kochherd stand da frei im Raum, daneben eine Chromstahlspüle, davor ein Holzherd und darüber an die Wand geschraubte Regale. Das Ganze getaucht in Neonlicht und auf dem Tisch das obligate Wachstuch – Zeitzeugen des Wohnens der letzten Jahrzehnte. Der hintere Teil der Küche war mit Fichtentäfer verkleidet. Es ist dieselbe Tür, aber der Raum ist jetzt völlig verwandelt. Ich bin schlicht verblüfft.

«Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen noch das Obergeschoss . . .» Der Besitzer führt mich die Stufe hoch ins Esszimmer. Auch hier Stil pur: An der Strickwand hängt ein Trip­tychon einer Berglandschaft, davor steht ein massiver Esstisch, gefertigt aus einem alten Stallboden, mit dunklen Stoffstühlen. Hier können Gastgeber und Gäste nach Herzenslust tafeln. «Wir haben die Substanz hervorgeholt und ins richtige Licht gestellt», sagt ein sichtlich stolzer Eigentümer, als er auf die Wand klopft. «Das originale, antike Stubentäfer wurde ausgebaut, die Hauswand dahinter gedämmt, das Täfer wieder eingebaut. Ziemlich viel Aufwand, aber es hat sich gelohnt – aussen ist es original, dazwischen unsichtbar optimiert.» Im Wohnzimmer setze ich mich spontan aufs optisch wunderbar passende Ecksofa – und eigentlich möchte ich einfach hier sitzen bleiben. Durch die Leinenvorhänge vor den Fenstern fällt das Sommerlicht gedämpft in den Raum, wo es angenehm duftet – nach Entspannung, Erdung, Erholung in den Bergen, der Alltag ist weit weg.

Sagenhaft schlicht

Natürlich hat meine Einführung ins Gebäude hier gerade erst begonnen. Hinaus gehts aus der Stubentür in den Vorraum von eben, auf der Originaltreppe ins obere Geschoss mit den drei Schlafzimmern und dem Bad. Die alten Dielen knarren, der Flur ist grösser, als man es von aussen erwarten würde, und oben sehe ich eine Brücke aus schwarzem Stahl und Glas, den Estrich über dem Gang im Obergeschoss hat man weggenommen, man sieht zur neu verkleideten Dachuntersicht. «Gedämmt wurden alle Aussenwände, doch bei den Böden haben wir bewusst auf Verstärkung und Trittschalldämmung verzichtet.» Als er mir die Türen öffnet, die Holztürfallen und die alten Schlösser vermitteln noch die Schlichtheit vergangener Tage, verbergen sich dahinter Schlafzimmer, mit bequemen Doppelbetten eingerichtet und in puristisch schönem Stil gehalten – von den Lampen bis zu den Textilien. «Können Sie sich vorstellen, wie es ist, hier aufzustehen? Ins Morgenrot über dem Tenner Joch blicken und dann mit dem Hund in der frischen Morgenluft einen Spaziergang machen. So sah es übrigens vorher aus . . .» Er zeigt erneut auf sein Handy. Nichts, aber auch gar nichts erinnert mehr an das Schlafzimmer, das hier vorher war – an den Schrank, der eines der Fenster halb verdeckte, an das 80er-Jahre-Täfer, an den Boden. Doch – tatsächlich – es sind noch dieselben Bodenbretter.

Vom Gang geht es auf die Laube – der Blick ins Safiental ist atemberaubend, man sieht bis zu den Tschingelhörnern und zum Flimserstein, ich bin in einem Weiler, fernab des Alltags, und doch fühlt es sich an wie ein Lebensmittelpunkt. Ich weiss schon, was jetzt kommt: das Vorher-Bild. Es ist derselbe Flur auf dem Bild, es sind dieselben Strickwände, dieselben Bodenbretter. Eine Truhe verstellt den Gang und die Tür zur Laube will mit ihrem Glasfenster und ihrem Stil nicht zum Rest passen. Darüber zeigt das Bild die Leitung für das Elektrokabel, sie ist direkt aufs Holz geschraubt. Und noch etwas fällt mir auf: Eine letzte, dunkle, niedrige Tür, welche der Hausherr noch verschlossen hält.

Er führt mich stattdessen zunächst über eine Treppe mit Metallwangen aus Schwarzblech und Antikholzstufen hinauf zur Passerelle unter dem Dach. Sie verbindet einen offene «Schlaf-Lounge» mit TV mit der Leseecke. Sie ist so gut ausgestattet, dass sie fast den Namen Bibliothek verdient. Mit einem Querschnitt durch Belletristik, Architektur, Natur und alpine Themen – fast wünschte man sich, dass es regnen würde. Bequeme Sessel und gute Beleuchtung laden zum Lesen ein. Sicher werden die Bewohner hier am Abend auch mal einen Filmabend mit einem Bergkrimi oder etwas Ähnliches geniessen. Urgemütlich. Wir steigen wieder hinunter – denn schliesslich wartet noch das Sahnehäubchen auf mich.


Massgefertigt: der Holztisch im Esszimmer.Wohnstube mit gemütlichem Designsofa und Bild von Matias Spescha.Schlicht und puristisch: schlafen in Sculms.Über Originalböden und Metalltreppe ins Dachgeschoss.Dachgeschoss mit Galerie als Wohnlandschaft.Mussestunden in der Bücherecke unterm Dach.

Badewelt

Hinter der unscheinbaren niedrigen Tür nämlich treten wir ins Badezimmer. Normalerweise sind die Nasszellen in alten Häusern auch heute noch eher schlicht und klein gehalten, denn es ist ja noch nicht so lange her, dass sie überhaupt ans Wassernetz angeschlossen sind. Doch hier eröffnet sich eine spezielle Badewelt. Der Unterlagsboden, schwarz eingefärbt und schlicht, die schwarzen Sanitärapparate bilden einen schönen Kontrast zum alten Holz. Zwei Schritte weiter und zwei Stufen tiefer steht die schwarze Badewanne. Eine Einladung zum ausgiebigen Wannenbad, akustisch untermalt mit klassischen Klängen aus den Sonos-Boxen. Hier hat der Eigentümer einen bestehenden Anbau umgenutzt – zur kleinen Wellnesswelt mit Sauna hinter einer grossen Glaswand. Als kritischer Geist wundere ich mich, wo denn all die Leitungen für Strom, Wasser und Abwasser verborgen sind. «Anfangs», so der Hausbesitzer, «hatten wir nur eine kleine Renovation vorgesehen. Doch mit jedem Raum kamen neue Ideen dazu, bis wir dann alle Aussenwände dämmten und danach mit Original-Strick oder -Täfer verkleideten. Dabei konnten wir viele nötige Zu- und Ableitungen hinter dem Holz führen, der Rest wird in authentischen Aufputz-Blechröhrchen geführt, was den puristischen Stil in diesem Objekt unterstreicht.»

Wieder in der guten alten Stube stellt mir der Besitzer den Kaffee hin – «den hätte ich ja fast vergessen» –, während er die Kissen über die Räume verteilt. Eigentlich, so denke ich mir, möchte ich einfach hierbleiben, ein bisschen sein, die Zeit vergessen, das Leben geniessen. «Ab nächster Woche können Sie es mieten», sagt der Besitzer und lacht. Das werde ich tun, schwöre ich mir, während ich mich verabschiede und wieder auf den Sattel schwinge.


Baden mit Stil vor Antikholzwand im Wellnessbereich.Sauna im ehemaligen Holzschopf.