Abos!

FLEXIBLE, KONZIPIERTE LOGISTIK.

Aus der Sanierung ihrer Bru?cken bringt die Rhätische
Bahn Erfahrung mit dem Bauen und im Transport
von Betonfertigelementen mit. Durch konsequente
und innovative Verbesserungen entwickelte sie
eine Normalbauweise fu?r ihre Tunnels und zugleich
ein Portfolio von Logistikkonzepten, um mit den
beauftragten Bauunternehmern eng zusammenzuarbeiten.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Andrea Badrutt; Marti Tunnelbau AG

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Sie nennt sich «Normalbauweise Tunnel», ist aber alles andere als
normal: Die Methode, mit der die Rhätische Bahn ihre Tunnels
saniert. Denn jeder der insgesamt 115 Tunnels mit einer Gesamtlänge
von 58 704 Metern bringt seine Eigenheiten mit – und doch:
Da die meisten der Tunnels zwischen 1901 und 1914 gebaut
wurden, ähneln sich auch die Schadensbilder. Da die RhB in den
Tunnels fast ausschliesslich im Einspurbetrieb fährt, mu?ssen alle
Bauten unter Betrieb saniert werden. Ein Grund mehr fu?r die RhB,
nicht nur die Sanierungsweise zu normieren, sondern auch die
Logistik, welche oft nur auf der Schiene bis zu den Tunnelbaustellen
zugänglich ist.
Bis jetzt wurden zwei Tunnels mit der Normalbauweise saniert, der
Glatscherastunnel bei Bergu?n und der Sasslatsch-Tunnel bei Sagliains.
Ein dritter, der 300 m lange Mistail-Tunnel zwischen Solis und
Tiefencastel, wird derzeit gerade erneuert. Bei jedem der drei
Tunnels war ein anderes Konsortium von Bauunternehmen mit den
Bauarbeiten beschäftigt – und jedes löste die anfallenden Bauvorgaben
auf seine Weise. So musste auch der Gu?terverkehr RhB
fu?r jede Unternehmergruppe ein eigenes Logistikkonzept erarbeiten,
bei dem sich die Aufgaben des An- und Abtransports von
Strasse und Schiene eng verzahnten.
Just in time
Weil insgesamt in den kommenden Jahren 75 Tunnels mit einer
Gesamtlänge von 25 Kilometern instand gestellt werden mu?ssen,
lohnt es sich, zu vereinheitlichen, was sich vereinheitlichen lässt.
Denn das senkt längerfristig die Kosten der RhB als Bauherrn.
Die Rolle, welche die Bu?ndner Gu?terbahn dabei spielt, ist je nach
Aufgabe verschieden, doch die Art der Sanierung bleibt jedes
Mal gleich – sie geschieht auf der Basis von vorgefertigten Betonelementen,
sogenannten Tu?bbings. Diese Tu?bbings werden im
sogenannten Just-in-time-Lieferverfahren zur jeweiligen Baustelle
gebracht und eingebaut – weil jede Baustelle anders ist, wird
auch anders geliefert.
«Die Bu?ndner Gu?terbahn wird vom Projektleiter RhB bereits vor der
Submission in die Planung einbezogen», sagt Wiro Capol, stv. Leiter
Gu?terverkehr. «Auf der Basis der vorliegenden Angaben wird
dann vom Gu?terverkehr RhB ein entsprechendes Logistikkonzept
erstellt. Dieses beinhaltet neben dem allfälligen Abtransport von
Ausbruchmaterial auch den Transport der Betonfertigelemente
ab dem vom Herstellungsort nächstgelegenen RhB-Bahnhof bis
zur Baustelle.»
Damit der Unternehmer die erforderliche Baustellenlogistik der
Ausschreibung erarbeiten kann, wird das Logistikkonzept bereits
den Submissionsunterlagen beigefu?gt. So können die beteiligten
Bauunternehmen die Anlieferung und den Abtransport von Material
schon bei der Erstellung ihres Angebotes miteinbeziehen,
was zu optimierten Logistiklösungen fu?hrt. «Die Herstellung und
Lieferung der Betonfertigelemente erfolgt dann in einer separaten
Ausschreibung durch die Rhätische Bahn», so Wiro Capol
weiter.


Die Betonelemente werden auf der Schiene bis zur Baustelle geliefert.

Logistik beim Glatscherastunnel
Beim Glatscherastunnel entschied sich das Bauunternehmen fu?r
eine Logistiklösung, bei der die Tu?bbings mit eigens angefertigten
Transportrahmen per LKW nach Landquart gefahren wurden. Dort
wurden diese mit einem Reach Stacker (Containerstapler) ab
LKW in der Reihenfolge der späteren Montage auf die RhB-Flachwagen
umgeladen. Jeweils vier der insgesamt zwölf
Rahmen waren unterwegs auf die Baustelle nach Bergu?n, weitere
vier standen in Obwalden beim Hersteller der Tu?bbings zum Beladen
bereit und die restlichen vier waren zwischen Landquart und
dem Hersteller unterwegs. War der Zug auf der Tunnelbaustelle
eingefahren, kam die eigentliche Weltneuheit zum Einsatz: Das
Tu?bbing-Handling-Gerät (THG), welches von Rhomberg Sersa
Technologie Engineering eigens entwickelt worden war und das
im Glatscherastunnel seine Feuerprobe bestehen musste. Der Wa-
MATERIAL & TECHNIK
Pro Innenring werden fu?nf Tu?bbing-Elemente präzise versetzt.
gen mit dem THG wurde an den Tu?bbing-Zug angehängt. Dann
zog die Lok den Wagen so weit in den Tunnel, dass das THG vor der
Stelle stand, wo in der Nacht die neuen Tu?bbingringe
versetzt werden sollten. Man demontierte die Fahrleitungsschienen
und die Nachtschicht begann. In jeder Schicht konnten sechs
eineinhalb Meter breite Tu?bbingringe gestellt werden, pro Nacht
wurden also insgesamt neun Meter Tunnel erneuert.
Um die 5,8 Tonnen schweren Paramentelemente sowie die
Ulm- und die Firstelemente präzise zu versetzen, hatte man die
Transportrahmen mit Schienen versehen, auf denen das Handling-
Gerät bewegt werden konnte. Dies geschah mit einer Fernsteuerung,
so dass ein Baumaschinenfu?hrer und sechs Monteure einen
Tu?bbingring in jeweils 50 Minuten montieren und mit den bereits
verbauten Ringen verschrauben konnten. Gleichzeitig wurde etwa fu?nfzig Meter vor der Einbaustelle
der Tunnelquerschnitt durch Sprengvortrieb vergrössert. Weil man
dabei Beschädigungen oder Ausbru?che des Mauerwerks nicht
ausschliessen konnte, fuhr man auf seitlichen Schienen einen
Schutztunnel aus einem Stahlmantel unter die kritische Zone und
unterstu?tzte sie. Das Ausbruchmaterial wurde jeweils Richtung
Bergu?n abtransportiert und wenn am Ende der Nachtschicht die
Fahrleitungsschienen wieder montiert waren, konnte der Lokfu?hrer
mit dem inzwischen entladenen Gu?terzug aus dem Tunnel fahren,
und dieser war wieder frei fu?r den nächsten Transport.


Das Tübbing-Handling-Gerät kommt auf dem Bahnwagen zum Einsatz.Pro Innenring werden fünf Tübbing-Elemente präzise versetzt.Gesteinsmassen nach erfolgter Sprengung eines Drei-Meter-Abschlags.Rechts im BIld die Sockelelemente, welche als Basis für den gesamten Ring exakt verlegt werden müssen.

Logistik beim Sasslatschtunnel
Doch obwohl das von Sersa Rhomberg entwickelte Tu?bbing-
Handling-Gerät im In- und Ausland Aufsehen erregte, wurde es
bei der Sanierung des Sasslatschtunnels nicht eingesetzt. Denn
hier setzten die beauftragten Bauunternehmen die Tu?bbings mit
einem Handling-Gerät, welches auf einem Strassenfahrzeug montiert
war. Entgegen dem Vorgehen im Glatscherastunnel wurde
der Sasslatschtunnel in einer Totalsperre von 20 Wochen saniert.
Auch hier u?bernahm der Gu?terverkehr RhB die Bahnlogistik. Die
Tu?bbings wurden diesmal von tba Trimmiser Baustoffe AG gefertigt,
wo sie gelagert und – dank Gleisanschluss – anschliessend in
der Reihenfolge der Montage direkt auf die Bahnwagen verladen
werden konnten. Der beladene Gu?terextrazug mit den Tu?bbings
fuhr jeweils zum Installationsplatz am Tunnelportal im Engadin, wo
sie abgeladen wurden. Das Bauunternehmen fuhr sie mit eigenen
Strassenfahrzeugen in den Tunnel. So ist es jeweils der Unternehmer,
der entscheidet, wie er arbeiten will, und der Gu?terverkehr RhB, der dann – auf Kundenwunsch – jeweils die gefragten
Logistikdienstleistungen
ausarbeitet. Das Logistikkonzept wird also
den Bedu?rfnissen des Bauunternehmens angepasst. Die Sanierung
unter laufendem Betrieb verlangt sowohl von den beteiligten
Unternehmen wie vor allem von den Logistikern der RhB eine
Menge an Koordination. «Im Bereich Logistik», so Wiro Capol,
«erfolgte die Absprache laufend zwischen der Disposition Gu?terverkehr,
dem Lieferanten wie auch dem Bauunternehmer. Je
nach Lage der Baustelle werden die Baumaterialien wie auch
die Betonfertigelemente direkt mit Bauzu?gen angeliefert – meist in
einer Nachtzugpause. Es gibt jedoch auch Situationen, wo die
Materialien zuerst zwischengelagert und erst nach Bedarf von der
Baustelle ab dem Zwischenlager abgerufen werden.»
Höher, breiter, sicherer
Doch was wird bei der Sanierung der Tunnels gemacht? Laut Karl
Baumann, dipl. Bauingenieur ETH SIA, dem Leiter Kunstbauten der
RhB, hat das beim Bahnbau vor hundert Jahren gewählte Hufeisenprofil
der RhB-Tunnels den Nachteil, dass seine geraden Paramente
(die Seitenwände) nur einen kleinen Widerstand gegen
horizontale Beanspruchungen aufweisen. Die neuen Paramentelemente
– also die eingebauten gewölbten Tu?bbings – wirken
dem horizontalen Druck viel besser entgegen. Unter den Gleisen
wird vorab eine Sohlplatte betoniert, welche den kraftschlu?ssigen
Ringschluss zusammen mit den Tu?bbings bildet. Zudem gibt es hinter
den Tu?bbings eine Entwässerung, mit welcher man dem eindringenden
Wasser Herr wird. Das Tunnelprofil wird seitlich und
nach oben deutlich aufgeweitet, um das nötige Lichtraumprofil
nach den gu?ltigen Normen zu bekommen und Sicherheitsräume
zu schaffen. So gibt es breitere Fluchtwege und im Havarie- oder
Brandfall kommen die Rettungskräfte besser in die Tunnels.
Die Tunnel-Normalbauweise ist auf Langlebigkeit ausgelegt und
darauf, in Zukunft die grösseren Tunnelquerschnitte fu?r den Gu?terverkehr
nutzen zu können. Denn, so Wiro Capol, «in der Logistikbranche
wird tendenziell vermehrt mit grösseren Transport-
volumen
gearbeitet. Dabei wird versucht, die vorhandenen Transporthöhen
und -breiten möglichst auszunutzen. Mit den
neuen Tunnelquerschnitten ist es dem Gu?terverkehr RhB möglich,
effizienter zu transportieren. Vor allem im kombinierten Verkehr
kann das vorhandene Wagenmaterial besser ausgenutzt und es
können alle strassengängigen Container, Wechselbehälter wie
auch ACTS-Abrollcontainer transportiert werden. Im Strassenbereich
kann derzeit mit einer maximalen Höhe von 4 Metern
und einer Breite von 2,555 Metern, bei Ku?hlwagen bis 2,6 Metern,
transportiert werden. Mit dem neuen Tunnelprofil wu?rde der
Gu?terverkehr RhB diesen Strassennormen annähernd entsprechen
und damit seine Wettbewerbsfähigkeit gegenu?ber dem
Strassentransport deutlich verbessern.»
Gleichzeitig aber lassen sich die Baukosten senken, denn weil
man in vielen Bereichen immer gleich vorgeht, können die
Planungen vereinfacht und speziell entwickelte Geräte – wie das
Tu?bbing-Handling-Gerät und die mit Fahrschienen ausgeru?steten
Transportrahmen – immer wieder verwendet werden. Das Bauen
wird also fu?r die RhB als Bauherr gu?nstiger, die sanierten Tunnels
leben wieder 70 bis 100 Jahre und die grösste Schmalspurbahn
der Schweiz kann saniert und mit grösseren Transportprofilen in die
Zukunft fahren.


Von der RhB angeliefert, kommen die Tübbings ins Zwischenlager.Versetzgerät der Marti Tunnelbau AGAustausch der Barellen auf dem Installationsplatz, welche zum Versetzen der Ulm- und Firstelemente dienten.Im Sasslatschtunnel werden die Tübbings vom LKW aus versetzt.