Abos!

EINE FRAGE ?DER HERANGEHENSWEISE.

Tinizong an der Julierstrasse hat eine grosse Geschichte als ?Porte und – in jüngerer Zeit – weil es seine Turnhalle ?zum Restaurant mit Dorfladen umbaute. Beim Neubau dieses ?Einfamilienhauses für eine private Bauherrschaft investierte ?das baubureau og27 viel Herzblut, um in der dichten Streuung ein Gebäude zu schaffen, das sich einpasst und in einem ?verhältnismässigen Kostenrahmen bleibt.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Ingo Rasp

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Wo in Tinizong – etwa 150 Meter von der Kirche entfernt – das Strässchen Surbegl von der Julierstrasse abzweigt, steht ein Generationenhaus mehrerer Geschwister, von denen jedes eine Wohnung hat. Die mittlerweile älteren Brüder und Schwestern haben bereits selber erwachsene Kinder. Einige nutzen das bestehende Haus inzwischen als Ferienwohnung. Für eine Familie wurde die Wohnung zu eng und so entstand bei der Bauherrschaft der Wunsch, auf einem günstig erworbenen, bereits bebauten Landstück gleich daneben das Parkierungsproblem des Generationenhauses zu lösen und eine Wohneinheit zu schaffen, damit die Familie – welcher Teil davon auch immer – mehr Platz und Privatsphäre bekommt.


Die Lärche leuchtet beinahe golden aus der dunklen Holzfassade.

Die geänderte Marktlage

«In der Hochblüte der Zweitwohnungen», so Lorenzo Lazzarini, «wären Orte wie Tinizong fast ausgestorben und waren als Zweitwohnsitz auch nicht besonders attraktiv. Inzwischen jedoch sind auch in Randregionen Bauparzellen nur noch beschränkt verfügbar, also gibt es auch hier Studien für die Verdichtung nach innen.» Man wollte zwar mehr Wohnraum, doch dabei musste die Verhältnismässigkeit für Tinizong auch bei den Gesamtanlagekosten gewahrt bleiben. «Geplant war es deshalb, einen ‹Container› aufzubauen, wie sie örtliche Zimmermannsbetriebe herstellen.» Das alte Haus, das dort neben dem Generationenhaus und der alten Käserei stand, hatte zwar durchaus Charme, war aber marode. «Ein Umbau wäre im Rahmen dieses Budgets nicht möglich gewesen.» Es sollte also eine Wohneinheit mit Parkplätzen entstehen, die mehr war als ein Container auf einer Betonplatte, doch das Budget war beschränkt. «Die Wert erhaltung war für mich eine grosse Motivation», sagt Lazzarini. «Deshalb haben wir an der Idee gefeilt und versuchten überall zu optimieren, wo wir einsparen konnten.»


Holzelementbau und Beton

Aus diesem Grund prüfte og27 für dieses Projekt den Holz­elementbau – wie er ja auch für modulares Bauen verwendet wird – und fragte sich früh, mit wem kostenoptimiert gebaut werden konnte. Zudem sollte Material gespart werden, man plante Kreuzlagenholz ein, aber so, dass man ganze Platten auf die gesamte Höhe verwenden konnte. «Wir schauten uns also zuerst die Grösse der Platten an, bevor wir den Entwurf starteten, und wir schrieben keine Submission aus, sondern setzten uns früh mit Zimmermann Pascal Recher von Arpa Holzbau GmbH zusammen. So konnte er seine Kriterien in diesen Holzbau einfliessen lassen.» Aus brandschutztechnischen Gründen entschied man sich dann aber auf der Hausseite gegen das Generationenhaus hin für eine Betonscheibe und – wegen der Symmetrie – auf der gegenüberliegenden Seite auch. Der Holzbau wurde dazwischengeschoben. So wie Ställe früher ja auch nicht rundum aus Holz gebaut waren, kombinierte man auch hier Beton und Holz. Die Planer von og27 nahmen im Voraus die umliegenden Häuser auf, um die Gliederung, die Firstrichtung und weitere ortsbildende Elemente daran anzupassen. So wirkt der Neubau aus bestimmten Perspektiven – trotz des Abstandes – mit dem Generationenhaus wie ein einziges Gebäude und passt sich in die dicht gestreuten Gebäude ein.


Zwei der vier Schlafplätze sind auf der Galerie.Die Garderobe mit Sichtschutz.

Rohe Schönheit

Beim Entwurf ging og27 platzoptimiert vor, das zeigt die bescheidene Wohnfläche der Wohneinheit von 64 m2, was einer 2,5-Zimmer-Wohnung entspricht. Im Verbindungsbau zum Bestand findet sich der Technikraum, man entschied sich für getrennte Heizsysteme der Häuser. Unter dem Neubau ist die Parkierung gelöst, von dort erreicht man über eine Treppe den Eingang. Das Raumprogramm besteht aus einer Garderobe mit eingebauter Waschmaschine, Dusche/WC, Küche/Wohnen sowie aus einem Zimmer mit vier Schlafplätzen – zwei auf der Galerie. «Es ist schwierig, auf 64 Quadratmetern vier Personen unterzubringen, ohne dass sie sich bedrängt fühlen. Das ist uns hier aber gelungen.» Beim Umgang mit dem Material wurde alles relativ roh belassen. Der geschliffene Unterlagsboden, aus Zementsulfat gegossen, zeigt zum Teil ein wolkigeres Bild, zum Teil weniger. «Die Fichtenwände bestehen ja aus Konstruktionsholz und sind gehobelt. Die groben und eher unruhigen Materialien treffen ohne Fussleisten hart aufeinander, aber sie spielen gut zusammen. Die Küche ist – weil der jetzige Bewohner gerne kocht – etwas aufwändiger gestaltet, kommt darin aber gut zur Geltung.» Als weiteres hochwertiges Element wurden Lärchenfenster eingesetzt. Sie leuchten beinahe golden aus der dunklen Holzfassade. Die mittlere Wand gleicht einem Pfeil, sie ist in die Aussenwände eingebunden. Das statische Konzept dahinter: Die Firstlast wird auf die Aussenwände abgeleitet.


Obwohl die Räume klein sind, wirkt das Haus grosszügig.Die Küche ist – weil der jetzige Bewohner gerne kocht – etwas aufwändiger gestaltet.Obwohl die Räume klein sind, wirkt das Haus grosszügig.

Wohnqualität Dorf

Der Holzeinschub ist auch von aussen sehr ehrlich, beim Mauerwerk wollten die Architekten zuerst eine Typ-2-Schalung, wie sie bei Einstellhallen üblich ist. Doch der Baumeister und die Bauleitung vor Ort rieten zu einer Typ-4-Schalung im Sichtbeton. «Das ist ja nicht geleckt, sondern immer noch sehr ehrlich.» Obwohl das Haus nahe zu seinen Nachbarn steht, fühlt man sich nicht ausgestellt im Dorf. Aus Wohn- und Schlafzimmer gibt es spannende Ausblicke ins Dorfbild. Vom Balkon mit dem französischen Geländer kann manVorbeigehenden eben «Hallo!» sagen, wer in diesem Haus wohnt, kennt die Tinizonger. Die Möbel wurden bewusst nicht aus Holz gebaut, beim Eingang in der Garderobe ist der Sichtschutz aus schlanken Lärchenstaketen – und zwar aus bestem Stiftholz. Auch wollte man die Schichtung des Konstruktionsholzes nicht zeigen, deshalb installierte man Lärchenfutter. «Das Haus ist sehr handwerklich, etwa mit den sichtbar geschraubten, vernickelten Griffen oder bei den ranzösischen Geländern, die – am Boden von der Sonne gespiegelt – schöne Raumeffekte schaffen.» Aussen sind die Bretter schwarz gestrichen und zeigen die Öffnungen in neuer Lärche. «Wir haben das auch schon mit vorvergrauter Schalung gemacht, aber so nehmen die Bretter bereits jetzt die sehr dunkle Farbe der alten Ställe auf.» Beim Dach entschied man sich für Blech. Zwar haben in Tinizong die Wohnbauten Ziegeldächer, aber da das Haus in der Struktur einem Stallbau ähnelt, passt ein Blechdach besser. Ein Ziegeldach dagegen hätte schwerfällig gewirkt. Das Vordach über dem Eingang besteht aus einer abgekanteten Stahlplatte, die Terrasse wurde mit Zementplatten ausgelegt. «Obwohl die Räume klein sind, fühlt man sich nirgends bedrängt. Das Haus wirkt trotzdem sehr grosszügig.» Und es stärkt das Quartier. «Wir wollten in der bestehenden Siedlung keinen Solitär schaffen. Das Haus liegt wie selbstverständlich in der Landschaft.» Insofern erfüllt es nicht nur die geforderte Wohnnutzung, der Charakter des Dorfes wird gewahrt, man ging hier behutsam mit der umliegenden bestehenden Substanz um. Nicht zuletzt soll dieses Einfamilienhaus auch beweisen: Bauen in Randregionen und mit sparsamen Mitteln kann sehr spannend sein. «Für uns war es ein Herzensprojekt», so Lorenzo Lazzarini.


Typ-4-Schalung in Sichtbeton – ein Haus, das ins Quartier passt.