Was so luftig-leicht die Strasse quert, ist das Resultat kniffliger Kopfarbeit. Walter Bieler hätte es sich durchaus einfacher ?machen können, «hätte Brettschichtträger verwenden und diese Halbfabrikate aneinanderreihen können», sagt Bieler. Gerade das aber wollte er nicht, sondern «eine Holzbrücke mit Material aus der unmittelbaren Umgebung bauen». Dieser Entscheid ?hat Auswirkungen auf die Konstruktion. Walter Bieler erklärt. Sein Zuhörer notiert. «Wir fragten uns: Welche Dimension ist ideal ?für einen Träger? Unsere Antwort: Es sollen 16 auf 24 Zentimeter sein.» Dann gings auf die Suche. «Mit dem Förster sind wir ?durch den Wald gestreift und haben nach geeigneten Bäumen Ausschau gehalten, die zu 14,5 Meter langem und 16 auf 24 Zentimeter dickem Bauholz zubereitet werden können.»
Mit ihnen wurde die Tragkonstruktion gebaut. Die Krux: Ein ?einzelner Träger dieser Länge hätte die geforderte Last nicht ?getragen. Sie mussten miteinander verbunden werden. ?«Kraftschlüssig verschraubt» worden seien sie, notiert der Besucher. Das sei eine «neue Entwicklung, die wir von der EMPA ?haben prüfen lassen». Der Besucher sieht: Filigrane Brückenstützen, die sich wie Blumenkelche öffnen. Ihre Spreizung verkürzt die Spannweite. Der Besucher stellt fest: Hier kreiert die Statik eine neue Form – die dennoch in einer Tradition verwurzelt ist. Walter Bieler: «Historische Holzbrücken sind mit einem Dach und ?seitlichen Schutzschilden versehen. Dieses Prinzip haben wir ?zeitgemäss um-gesetzt. Hier bildet das Dach die Fahrbahn und darunter liegt das Tragwerk, während das Geländer unser Schutzschild ist.»
Holz im Aussenbau erfordert spezielle Aufmerksamkeit bezüglich der Dauerhaftigkeit. Fichte wurde dort verwendet, wo das Holz geschützt ist und die robustere Lärche dort, wo die Flächen der Witterung ausgesetzt sind. Beim Gang über die Brücke lenkt ?Walter Bieler den Blick des Besuchers auf ein Detail: «Hier kann das Wasser durchrinnen», sagt er und zeigt auf eine Rille in der Tragkonstruktion; er erklärt, dass Holzkonstruktionen «luftdurchspült» sein müssen, damit nasses Holz wieder trocknen kann. Bretter decken das Geländer ab – wie Vordächer... ob Träger, Fahrbahn, Stützen oder Geländer – alles ist bis ins Detail gestalterisch verzahnt. Diese explizite Geste hat tiefere Bedeutung. Überführungen, sagt Bieler, seien in der Regel «grottenschlecht» – ob ?in der Schweiz wie anderswo. Und so hat sich Walter Bieler in ?Kenntnis dieses Ärgernisses irgendwann einmal folgenden Merksatz in sein imaginäres Pflichtenheft geschrieben: «Wenn ich je eine Überführung entwerfen kann, will ich sie anders machen.» «Anders machen» ist bei Walter Bieler das Synonym für «besser machen».
Sein Wille zur Gestaltung hat letztlich mit seinem Selbstverständnis als Ingenieur zu tun. Sein Credo: «Auch ein Ingenieur hat ?einen Kulturauftrag.» Die allmähliche Verfertigung dieses Bewusstseins war ein Prozess. Walter Bieler lernte Tiefbauzeichner und bildete sich am Abendtechnikum zum Ingenieur weiter. ?Danach lockte es den jungen HTL-Ingenieur in die Ferne. Er reiste durch Nord-, Mittel- und Südamerika, kehrte zurück und ihm war klar, dass er beruflich dort anknüpfen möchte, wo er mit dem HTL-Diplom vor Jahresfrist einen vorläufigen Schlusspunkt gesetzt hatte: dem Holzbau. Walter Bieler ging nach St. Gallen ins Büro von Willi Menig, dem damals führenden Holzbauingenieur in der Schweiz, kehrte später in seinen Heimatort zurück und wurde selbstständig. Ein erster Lichtpunkt: die Eishalle in Davos (1978). Sein Büro etablierte sich, Szene wie Medien wurden aufmerksam auf diesen Holzbauer und sein gestalterisches Flair. Bald erfolgte die Adelung durch Aufnahme in den Schweizerischen Werkbund (SWB). Der baukulturelle Diskurs und Austausch wurde intensiver. «Das hat mein Schaffen geprägt», sagt Bieler im Rückblick.
Walter Bieler hat in den vergangenen vier Jahrzenten im Kanton Graubünden wie in der Schweiz Akzente gesetzt – mit Häusern, Mehrzweckhallen und immer wieder mit Brücken. Längst baut er auch anderswo, neuerdings in Boswil, Basel und Dornbirn. Walter Bielers Arbeiten wurden ausgezeichnet. Seine Hängebrücke «Punt Ruinaulta» bei der Station Trin zum Beispiel erhielt den ?internationalen Holzbrückenbaupreis. 2003 ehrte ihn der Kanton Graubünden mit einem Anerkennungspreis für seine «Pionierarbeit im Holzkonstruktionsbau». Der RhB hat er mit seinen Perrondächern ein wenig an der Corporate Identity poliert. Die erste Überdachung entstand 2003 in Filisur, es folgten die Bahnhöfe Schiers, Reichenau, Bergün und Küblis. Preda steckt in der ?Pipeline. Der Bieler-Baldachin wird immer mehr zu einem Markstein an der Strecke des Unesco-Weltkulturerbes. Eine Arbeit ?wollen wir bei dieser unvollständigen Aufzählung explizit nicht vergessen: Den Fussgängersteg über den Zürichsee zwischen Rapperswil und Hurden, der auf Bielers Zeichentisch in Bonaduz seine Form gefunden hat.
Punt Staderas am Dorfeingang noch Laax. Wir stehen etwas ?abseits in der Wiese. Ein Handwerker ist auf der Brücke damit ?beschäftigt, ein drittes Seil durch das Geländer zu ziehen. Die Gemeinde hat diese Massnahme aus Haftungsgründen verlangt. Nachvollziehen kann es Walter Bieler, glücklich aber ist er nicht. Mit wehmütigem Timbre in der Stimme sagt er: «Die ursprüngliche Variante ist besser!» Der Satz verrät Bielers Botschaft: Diese Brücke ist ein komponiertes Ganzes. Oder: Wer den Blick fürs Ganze hat, stört sich an diesem Detail.