Abos!

EINE BRÜCKE ?ALS VISITENKARTE.


Angefangen hat er im Stillen. Das war vor mehr als ?vierzig Jahren und in Bonaduz. Inzwischen ist ?Walter Bieler einer der angesehensten Holzbauingenieure der Schweiz. Sein jüngstes Kleinod mit Strahlkraft ist die Punt Staderas am Dorfeingang von Laax.


Text: Marco Guetg   

Bilder: Ralph Feiner; m. W.

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Ist es schlicht Genugtuung oder klingt bei diesen Worten gar ein bisschen Stolz mit? Nach der Besichtigung der Brücke und ?gegen Ende unseres Spaziergangs über die noch taufeuchte Wiese steht Walter Bieler, 69, Holzbauingenieur aus Bonaduz, ?kurz still, blickt hinüber zu «seiner» Brücke und sagt: «Doch, ich glaube, dieses kleine Bauwerk hat das Potenzial, zu werden, was sich die Laaxer Behörde erhofft hat: das Tor zu Laax.»

Eben hat uns an diesem Oktobermorgen der Flimser Umfahrungstunnel wieder in die Landschaft entlassen. Wir stehen auf dem Parkplatz Staderas nahe der Talstation Murschetg der Crap Sogn Gion-Bahnen. Von hier aus führen Wanderwege und Bikerouten in alle Himmelsrichtungen. Hier buckelten jeweils Wanderer ihre Rucksäcke, hier schulterten Wintertouristen ihre Skier oder Boards und schlenderten anschliessend über die stark befahrene Kantonsstrasse hinüber nach Murschetg. Seit Jahren ?schon wollte die Gemeinde Laax diesen neuralgischen Punkt an diesem touristischen Hotspot entschärfen. 2014 wurde an der Gemeindeversammlung ein Kredit von 920 000 Franken für den Bau einer Überführung gesprochen. Bereits im November 2015 wurde die Punt Staderas eingeweiht.

Die Brücke ist 115 Meter lang und 2,5 Meter breit und führt auf einer Höhe von fünf Metern über die Kantonsstrasse. Das sind die Fakten. Schaut man genauer hin, sieht man: Eine Brücke ist nicht einfach eine Brücke. Diese ist entworfen. Hier wurde nicht das landesweit gängige Muster wiederholt, auf jeder Strassenseite ein Treppchen hingestellt und diese mit einer Passerelle verbunden. Walter Bieler und sein Team haben sich bei Linienführung vielmehr an der Topographie und am angrenzenden Wald orientiert. Und so wächst ihre Holzbrücke aus einem Waldweg, steigt leicht an, schlängelt sich dem Wald entlang und fliesst schliesslich sanft fallend zurück in eine Wiese. Mit den maximal sechs ?Prozent Anstieg und Gefälle ist die Punt Staderas fahrbar für ?Velos wie auch behindertengerecht.


Das Geländer ist verwoben mit der Struktur der Brücke und hat ein kleines Schutzdach.

Was so luftig-leicht die Strasse quert, ist das Resultat kniffliger Kopfarbeit. Walter Bieler hätte es sich durchaus einfacher ?machen können, «hätte Brettschichtträger verwenden und diese Halbfabrikate aneinanderreihen können», sagt Bieler. Gerade das aber wollte er nicht, sondern «eine Holzbrücke mit Material aus der unmittelbaren Umgebung bauen». Dieser Entscheid ?hat Auswirkungen auf die Konstruktion. Walter Bieler erklärt. Sein Zuhörer notiert. «Wir fragten uns: Welche Dimension ist ideal ?für einen Träger? Unsere Antwort: Es sollen 16 auf 24 Zentimeter sein.» Dann gings auf die Suche. «Mit dem Förster sind wir ?durch den Wald gestreift und haben nach geeigneten Bäumen Ausschau gehalten, die zu 14,5 Meter langem und 16 auf 24 Zentimeter dickem Bauholz zubereitet werden können.»

Mit ihnen wurde die Tragkonstruktion gebaut. Die Krux: Ein ?einzelner Träger dieser Länge hätte die geforderte Last nicht ?getragen. Sie mussten miteinander verbunden werden. ?«Kraftschlüssig verschraubt» worden seien sie, notiert der Besucher. Das sei eine «neue Entwicklung, die wir von der EMPA ?haben prüfen lassen». Der Besucher sieht: Filigrane Brückenstützen, die sich wie Blumenkelche öffnen. Ihre Spreizung verkürzt die Spannweite. Der Besucher stellt fest: Hier kreiert die Statik eine neue Form – die dennoch in einer Tradition verwurzelt ist. Walter Bieler: «Historische Holzbrücken sind mit einem Dach und ?seitlichen Schutzschilden versehen. Dieses Prinzip haben wir ?zeitgemäss um-gesetzt. Hier bildet das Dach die Fahrbahn und darunter liegt das Tragwerk, während das Geländer unser Schutzschild ist.»

Holz im Aussenbau erfordert spezielle Aufmerksamkeit bezüglich der Dauerhaftigkeit. Fichte wurde dort verwendet, wo das Holz geschützt ist und die robustere Lärche dort, wo die Flächen der Witterung ausgesetzt sind. Beim Gang über die Brücke lenkt ?Walter Bieler den Blick des Besuchers auf ein Detail: «Hier kann das Wasser durchrinnen», sagt er und zeigt auf eine Rille in der Tragkonstruktion; er erklärt, dass Holzkonstruktionen «luftdurchspült» sein müssen, damit nasses Holz wieder trocknen kann. Bretter decken das Geländer ab – wie Vordächer... ob Träger, Fahrbahn, Stützen oder Geländer – alles ist bis ins Detail gestalterisch verzahnt. Diese explizite Geste hat tiefere Bedeutung. Überführungen, sagt Bieler, seien in der Regel «grottenschlecht» – ob ?in der Schweiz wie anderswo. Und so hat sich Walter Bieler in ?Kenntnis dieses Ärgernisses irgendwann einmal folgenden Merksatz in sein imaginäres Pflichtenheft geschrieben: «Wenn ich je eine Überführung entwerfen kann, will ich sie anders machen.» «Anders machen» ist bei Walter Bieler das Synonym für «besser machen».

Sein Wille zur Gestaltung hat letztlich mit seinem Selbstverständnis als Ingenieur zu tun. Sein Credo: «Auch ein Ingenieur hat ?einen Kulturauftrag.» Die allmähliche Verfertigung dieses Bewusstseins war ein Prozess. Walter Bieler lernte Tiefbauzeichner und bildete sich am Abendtechnikum zum Ingenieur weiter. ?Danach lockte es den jungen HTL-Ingenieur in die Ferne. Er reiste durch Nord-, Mittel- und Südamerika, kehrte zurück und ihm war klar, dass er beruflich dort anknüpfen möchte, wo er mit dem HTL-Diplom vor Jahresfrist einen vorläufigen Schlusspunkt gesetzt hatte: dem Holzbau. Walter Bieler ging nach St. Gallen ins Büro von Willi Menig, dem damals führenden Holzbauingenieur in der Schweiz, kehrte später in seinen Heimatort zurück und wurde selbstständig. Ein erster Lichtpunkt: die Eishalle in Davos (1978). Sein Büro etablierte sich, Szene wie Medien wurden aufmerksam auf diesen Holzbauer und sein gestalterisches Flair. Bald erfolgte die Adelung durch Aufnahme in den Schweizerischen Werkbund (SWB). Der baukulturelle Diskurs und Austausch wurde intensiver. «Das hat mein Schaffen geprägt», sagt Bieler im Rückblick.

Walter Bieler hat in den vergangenen vier Jahrzenten im Kanton Graubünden wie in der Schweiz Akzente gesetzt – mit Häusern, Mehrzweckhallen und immer wieder mit Brücken. Längst baut er auch anderswo, neuerdings in Boswil, Basel und Dornbirn. Walter Bielers Arbeiten wurden ausgezeichnet. Seine Hängebrücke «Punt Ruinaulta» bei der Station Trin zum Beispiel erhielt den ?internationalen Holzbrückenbaupreis. 2003 ehrte ihn der Kanton Graubünden mit einem Anerkennungspreis für seine «Pionierarbeit im Holzkonstruktionsbau». Der RhB hat er mit seinen Perrondächern ein wenig an der Corporate Identity poliert. Die erste Überdachung entstand 2003 in Filisur, es folgten die Bahnhöfe Schiers, Reichenau, Bergün und Küblis. Preda steckt in der ?Pipeline. Der Bieler-Baldachin wird immer mehr zu einem Markstein an der Strecke des Unesco-Weltkulturerbes. Eine Arbeit ?wollen wir bei dieser unvollständigen Aufzählung explizit nicht vergessen: Den Fussgängersteg über den Zürichsee zwischen Rapperswil und Hurden, der auf Bielers Zeichentisch in Bonaduz seine Form gefunden hat.

Punt Staderas am Dorfeingang noch Laax. Wir stehen etwas ?abseits in der Wiese. Ein Handwerker ist auf der Brücke damit ?beschäftigt, ein drittes Seil durch das Geländer zu ziehen. Die Gemeinde hat diese Massnahme aus Haftungsgründen verlangt. Nachvollziehen kann es Walter Bieler, glücklich aber ist er nicht. Mit wehmütigem Timbre in der Stimme sagt er: «Die ursprüngliche Variante ist besser!» Der Satz verrät Bielers Botschaft: Diese Brücke ist ein komponiertes Ganzes. Oder: Wer den Blick fürs Ganze hat, stört sich an diesem Detail.


126 Meter lang ist die Brücke. Die leicht geschwungene Holzkonstruktion integriert sich bestens in die Landschaft.

Walter Bieler wurde 1947 in Bonaduz geboren. Nach der Grundschule absolvierte er in Thusis beim Tiefbauamt des Kantons Graubünden eine Lehre als Tiefbauzeichner, arbeitete danach weiter auf dem Amt und bildete sich am Abendtechnikum in Chur weiter. 1971 schloss er sein Studium ab. Im Anschluss ging der Dipl.-Ing. HTL auf Reisen, durchstreifte durch Nord-, Mittel- und Südamerika, kehrte nach einem Jahr in die Schweiz zurück und wollte beruflich dort anknüpfen, wo bereits während seines Studiums sein Interesse lag: der Holzbau. Er erhielt eine Stelle bei Willi Menig, der in St. Gallen eines der führenden Büros für Holzbau betrieb. 1975 kehrte Walter Bieler vorerst nach Chur zurück und gründete sein eigenes Büro. 1986 zog er nach Bonaduz, von wo aus er seither regional wie weit über die Grenzen hinaus tätig ist. Walter Bielers Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.


Walter Bieler