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ZEUGEN DER IDENTITÄT ERHALTEN.


Volkskunst, wie sie sich in den Bauernmöbeln unserer Vorfahren zeigt, ist mehr als ein Wohnakzent, der dem Raum Identität verleihen soll. Über die Geschichte von Bündner Bauernmöbeln aus der Sicht des Spezialisten, der sie restauriert.


Text: Fridolin Jakober     

Bilder: Alice Das Neves, Mathias Kunfermann

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Heute gilt: Je älter ein Möbel, desto rarer, und es sind die einfachsten Möbel, die am meisten gefragt sind. Doch was macht das Möbel aus bäuerlicher Herkunft aus? Woran erkennt man es? Was ist seine Geschichte? Und was sucht der Kunde, der ein Bauernmöbel kaufen will? Ein praktisches Möbel für den täglichen Gebrauch, ein Museumsstück oder einen Wohn­akzent? Ist das Bauernmöbel blosser Lifestyle oder verleiht es mit seiner Patina, die sich über Generationen festgesetzt hat, dem Wohnraum eine Identität?

«Für viele Bündner», so Restaurator Max Rüedi, «ist das Bauernmöbel ein Stück Identität, das an den Neni oder den Tat erinnert. Andere projizieren das freie, friedvolle Dasein in der Bündner Bergwelt hinein, wie es Spyris Heidi-Geschichte oder die von Alois Carigiet gezeichneten Schellen-Ursli- und Flurina-Bücher darstellen.» Doch so oder so hat das Möbel einen Mehrwert, der über die praktische Funktion hinausgeht. Umso spannender, dass die Geschichtsschreibung zwar das Schreinermöbel behandelt, das Bauernmöbel und die Volkskunst aber stiefmütterlich behandelt.


Bäuerlich barocker Schrägpfostentisch mit Balusterbeinen, Ende 17./Mitte 18. Jahrhundert(Ursprüngliches) Hängeschränklein aus Arve, Ende 17. Jahrhundert

Die Tradition des Selbermachens

Das Bauernmöbel gibt es seit dem frühen Mittelalter. Nachdem die Bauern im Wald das Holz geschlagen oder Weideland gerodet hatten, verbauten die Zimmerleute dieses Holz vor Ort zu einem Haus. Die ersten Bauernmöbel wurden als Grundausstattung von den Zimmerleuten gleich ins Haus mit eingebaut – Tisch, Bank, Bett, alles mit roher Technik gefügt. Schon Ende des Mittelalters etablierte sich zusätzlich der Berufsstand der Möbelschreiner, der im Möbel in ver­kleinerter Form die Stilelemente von Sak­­ral- und Feudalbauten der jeweiligen Epoche übernahm. Mit der Entwicklung der Zünfte erstarkte dieses Handwerk so, dass selbst in den ländlichen Gebieten das archaische Bauernmöbel mehr und mehr durch eigentliches Mobiliar ersetzt wurde, welches die Stilmerkmale seiner Epoche trägt. Die Schreiner trugen ihren Berufsstand bis hoch in die Berge, nun wurde auch die Bauernstube vertäfelt, das Stubenbuffet wird zum Hausmittelpunkt, die Möbel werden zur Brautgabe in der Aussteuer. Der Schragentisch, die Stabellen, das Gänterli und der Herrgottswinkel – sie alle zeugen vom Besitzstand des Auftraggebers.

Doch weit oben – in den hintersten Bergdörfern und den Sennereien – blieb die bäuerliche und handwerkliche Tradition noch über Jahrhunderte erhalten. Aus vor Ort geschlagenem Bergholz – also Arve, Fichte, Lärche oder Bergahorn – wurden ungeachtet der kulturellen Entwicklung des Handwerks durch Bergler und oftmals in traditionsgemässer Winterarbeit von Walsern beinahe zeit- und stilunabhängig weiterhin Möbel nach eigenem Formempfinden geschaffen. «Da ist das Brett noch konisch gefügt, nach seinem Wuchs verjüngend», so Max Rüedi. «Die Asymmetrie ist Teil der Gestaltung, genauso wie Kerbschnitt, Rosette und Hauszeichen. Die Symbole stammen zum Teil aus der keltischen Kosmologie. Sonnenräder, Rosetten und Sterne als Flachschnitt sollen den Inhalt der Truhen und ihre Besitzer schützen. Auch Besitzermonogramm, Jahresdatierung, Christus-Monogramm und vor allem der Steinbock dürfen nicht fehlen.» Zierrat ist spärlich und richtet sich nach den Stilvorgaben der Epoche. «Das kann eine gotische Efeuschnitzerei sein, ein mäandrischer Saum oder ein Zahnschnitt der Renaissance. Vor allem in katholischen Gebieten werden Schränke mit sakraler Bauernmalerei verziert, andernorts mit floraler Möbelmalerei. Schablonenmalereien mit Renaissance-Ornamenten oder Arabesken sind das bäuerliche Gegenstück zum herrschaftlichen Feudalmöbel mit Intarsien. Auf Steinbocktruhen findet man Brandmalereien.» Den Wert dieser Möbel mit ihrem archaischen Charakter erkannte man zuerst Ende des 19. Jahrhunderts, wo die handwerkliche Tradition der Bauern bereits weitgehend verschwunden war und wo für die Schreinereien ein System der durchgängigen maschinellen Bearbeitung von Holz zur Verfügung stand und die ersten Fabriken für die industrielle Möbelherstellung gegründet wurden. Künstler und Kulturschaffende, aber auch Vertreter der Oberschicht sowie Unternehmer, Pfarrer oder Tierärzte umgaben sich mit solchen Möbeln und bald waren Bauernmöbel wie Betten, Truhen oder Bänke begehrte Sammlerobjekte. In den 1960er- und 1970er-Jahren stieg die Nachfrage nach Bauernmöbeln, allerdings wurden im Schwung dieses Antiquitäten-Booms viele der alten Bemalungen weggebeizt. Damit aber verschwanden nicht nur Kulturzeugnisse, sondern auch die Patina dieser Objekte.


Ein- und doppelflügelige Aussentüren; Aussenseite mit der seit der Gotik bekannten liegend-angeschlagenen Aufdoppelung als Wetterschutz

Hauptakzent ist die Erhaltung

Heute werden diese wertvollen Stücke – wenn sie denn erhalten sind – aufwändig restauriert. «Restaurierungsarbeiten gehören in die Hände ausgebildeter Restauratoren», sagt Max Rüedi. «Ein originales Exponat sollte mit dem gebührenden Respekt als historisches Zeitzeugnis möglichst erhalten werden. Die Pflege beschränkt sich auf den vorgegebenen Zustand. Gewaschene Möbel werden durch Waschen weitergepflegt. Mit Schelllack gestaltete Oberflächen werden mit Mikrofasertuch, Pinsel und eventuell silikonfreier Möbelpolitur erhalten.»

Die Restauratoren arbeiten nach den Prinzipien der modernen Restaurierung. Dazu gehört eine sorgfältige Bestandesaufnahme, auch mit Dendroproben. Die Originalsubstanz muss, so weit wie möglich, erhalten bleiben, Eingriffe werden aufs Minimum reduziert und müssen reversibel sein. Gleichzeitig wird grosser Wert auf die Lesbarkeit des Werks gelegt. Alle Schritte, die ein Restaurator an einem Werk setzt, müssen ablesbar sein, ist in früherer Zeit etwas verloren gegangen, wird dies nicht kaschiert, sondern nüchtern dokumentiert, so dass sich ein klares Bild des Zustandes ergibt.  


Wohnen im Spannungsfeld von alt und neu

Wohl kaum eine Region ist so reich an stilistischen Einflüssen auf seine Volkskunst wie Graubünden. In Nord- und Mittelbünden prägten süddeutsche, österreichische und Walser Einflüsse die Produktion der Bauernmöbel, im Bergell und Puschlav überwiegen Einflüsse aus Italien, das Engadin entwickelte eine ganz eigene Sprache beim Möbeldesign, wie Urs Ettlin und Wilma Suter-Faustinelli dies in ihrem Bildband «Das Mobiliar im Engadiner Haus» aufzeigen.

Immer mehr werden solche Bauernmöbel und Arbeiten der Volkskunst heute in modernem Ambiente – seien es Loftwohnungen, seien es modern ausgebaute Chalets oder Häuser – inszeniert. Und viele Kundinnen und Kunden zeigen dabei eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit mit dem Bauernmöbel. Sie sehen im warmen Holz einen wohltuenden Kontrast, der sich abhebt vom strengen Design der Gegenwart. Das Bauernmöbel bekommt bei ihnen den Stellenwert eines eigenständigen Kunstwerkes, manche setzen sich davor und meditieren, als sei es ein Schrein. Bei solchen Bauernmöbeln ist es gerade ihre Patina, die zusammen mit der ablesbaren Werksgeschichte eine Spannung zu modernem Glas und Beton schafft. Wo einst der heisse Topf Brandmale hinterliess, wo beim Kartenspiel oder bei Verhandlungen Notizen ins Holz geritzt wurden, wo durch den Schwund der breiten Bretter Spalten entstanden, zeigt das Gebrauchs­möbel sein Leben – und hier bekommt es, zusammen mit dem Formwillen des Bauern, seinen Rang als Kunstwerk. «Mit seiner Patina kann es», so Max Rüedi, «als Teil des Lifestyles an der Peripherie zum ruhenden Pol zwischen Vergangenheit und hektischer Gegenwart werden.»


Renaissance-Gänterli mit Giessfussnische in Arkadenform, Mitte 17. Jahrhundert

Spezialisten aus Graubünden

 

Arno Cresta; Antic Atelier Cresta, Tiefencastel
«Wir schätzen Möbel und restaurieren sie fachgerecht. Dabei versuchen wir, Möbel so zu belassen, wie sie sind, damit ihre Ausstrahlung authentisch bleibt. Man soll das Alter und die Gebrauchsspuren sehen. Sie gehören zur Patina, die wie die Farbe des Möbels nicht verändert werden sollte. Wir res­taurieren Stuben, Böden und Decken und beraten Kunden – um Bestehendes zu erhalten.»www.arnocresta.ch


Christian Widmer; Restauration, Möbel, Innenausbau, Holzrausch, Sils im Domleschg
«Wenn ich ein Bauernmöbel in Arbeit nehme, entdecke ich die Art des Handwerkers, wie er das Holz zusammengefügt und ausgesucht hat. Ich ergänze das beschädigte Möbel so, dass sein ursprünglicher Charakter erhalten bleibt.»
www.holzrausch.ch


Jürg Schmid; Restauration, Möbel, Innenausbau, Chur
«Wir haben Erfahrung bei der Restaurierung und können Möbel dank einem reichen Vorrat an Antikholz passend ergänzen. Oberflächen werden – je nach Epoche – mit Schellack von Hand poliert oder mattiert, gewachst, wenige geölt. Wir durften auch für historische Gebäude wie das Schloss Haldenstein, den Oberen Spaniöl oder das Haus Schwartz auf dem Sand in Chur Schreinerarbeiten übernehmen.»
www.juergschmid.ch


Arno CrestaChristian WidmerJürg Schmid