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ZEITGEMÄSSES WOHNEN IN DER ALTERSSIEDLUNG BODMER.

In 20-monatiger Bauzeit ist im Bodmer in Chur ein sieben­geschossiger Neubau mit altersgerechten Wohnungen entstanden. Das Architekturbüro Fanzun AG in Chur achtete bei der Planung vor allem auf einen guten Fern- und Nahblick.


Text: Maya Höneisen

Bilder: Fanzun AG Architekten

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Agnes und Walter Bisculm sind glücklich. «Wir hätten es uns nicht vorstellen können, dass es so schön ist hier», freut sich Agnes Bisculm. Fast ein bisschen Luxus sei es, meint die ältere Dame. Sie habe sogar Waschmaschine und Tumbler in der Wohnung. Und kochen könne sie auch selbst. Das heisst: «Wenn wir Lust haben, gehen wir zum Essen auch einmal ins Restaurant nebenan», meint sie verschmitzt.

Das Ehepaar Bisculm lebte 45 Jahre in einer Eigentumswohnung in Chur im 4. Stock. Nach Walter Bisculms Schlaganfall hiess es, eine neue Wohnmöglichkeit zu suchen, die von der Infrastruktur her besser für ihn geeignet war. Die Bisculms meldeten sich für eine 3,5-Zimmer-Wohnung im Neubau der Alterssiedlung Bodmer an und – erhielten eine Zusage. Sie hätten diesen Entscheid noch keinen Tag bereut, erzählt Agnes Bisculm weiter. Heimweh nach der alten Wohnung hätten sie überhaupt keines. Alles hier ist praktisch, die Leute seien sehr nett und die Dienstleistung perfekt. Alles gebe jetzt, wo ihr Mann nicht mehr so gut auf den Beinen sei, eine optimale Sicherheit. Gerade was die Sicherheit anbelangt, sind die Mieterinnen und Mieter der altersgerechten Wohnungen gut versorgt. Die Wohnsituation mit heimeigener Spitex, Anschluss ans Altersheim, nötigenfalls auch ans Pflegeheim, bietet einen Rundumservice für Wohnen im Alter.


Umfassende Betreuung

Heimleiter Andrea Menn ist ebenfalls zufrieden mit dem Neubau. Auch ihm ist die Verbindung zum Alters- und Pflegeheim wichtig. Und natürlich die Angebote, die man als Mieter von der Alterssiedlung nutzen kann, wie zum Beispiel Spitex- oder hauswirtschaftliche Leistungen mit einer umfassenden Betreuung oder das Essen im Restaurant mit unter­irdischem Zugang bis und mit Vollpension. «Das gibt Sicherheit», erklärt er und bestätigt damit die diesbezügliche Aussage des Ehepaars Bisculm. «Alterswohnungen in Verbindung mit dem Altersheim haben den grossen Vorteil, dass rund um die Uhr eine Betreuung gewährleistet ist», erklärt er. «Mieterinnen und Mieter haben alle Leistungen, die sie wünschen oder brauchen.»


Die Einbauküchen sind funktional eingerichtet.Eichenböden sorgen für eine wohnliche Atmosphäre.

Integrierter Kindergarten

Nicht unbedeutend ist die Möglichkeit der Sozialkontakte in einer Alterssiedlung. «Wir haben den Neubau auch von den gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten her grosszügig konzipiert», erklärt Andrea Menn dazu. So stehen allen Mieterinnen und Mietern im Parterre eine helle, offene Lobby als Treffpunkt und ein Fitnessraum zur Verfügung. Im Aussenbereich wurde auf verschieden angelegte Plätze und Orte geachtet, um sich zu treffen und auszutauschen. Die von der Natur geprägte Parzelle liegt unter dem Wald, grenzt an den Mühlbach und hat grosse Gärten. Agnes und Walter Bisculm nutzen diese verschiedenen Möglichkeiten gerne auf ihrem täglichen Spaziergang. Ebenso die sozialen Kontakte, die sich so zu anderen Bewohnerinnen und Bewohnern und zu Besuchern ergeben. Für zusätzliches Leben sorgt der in den Neubau integrierte Kindergarten mit separatem Eingang für generationenübergreifenden sozialen Austausch.


Ein Gebäude mit Präsenz

Den Architekten des Architekturbüros Fanzun in Chur war es ein wichtiges Ziel, diese Atmosphäre möglichst beizubehalten. In einem Interview erklären die Entwurfsarchitekten Gian Fanzun und Andrej Turcan die Überlegungen in der Planung und Realisierung des neuen Gebäudes. 


Die Wohnungen mit ihren grosszügigen Loggien wirken sehr hell und luftig. Geräumige Garderoben im Entrée.Das ganze Haus ist durchgehend rollstuhlgängig.

Gian Fanzun und Andrej Turcan: Gab es kantonale Vorschriften für den Baukörper? Wenn ja, welche?
In Bauzonen gelten die jeweiligen kommunalen Vorschriften. Diese definieren nicht per se den Baukörper, sondern legen den Spielraum zu der Nachbarschaft fest. Neubauten angrenzend an Schutzzonen, beim Bodmer zur angrenzenden Altstadtzone, müssen sich gut ins bestehende Gefüge integrieren. Das Bodmer-Areal liegt in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen. In dieser Zone sind die Bestimmungen der angrenzenden Zonen zu respektieren, innerhalb der Parzelle sind die Auflagen marginal. In genannter Zone ist die Höhe bei 22 Meter limitiert, jedoch muss man um die Mehrhöhe gegenüber den Nachbar­zonen von der Grenze wegrücken. Eine gesetzlich unverständliche Einschränkung betraf nicht den Baukörper, sondern die Ausrichtung der Wohnungen. Für die angedachten Alters­wohnungen ist der nördliche Bezug mit Weitblick zur Altstadt und zum Hof hin viel wünschenswerter als der zur südlichen Hanglage. Wir mussten jedoch die Mehrheit der Wohnungen zum Hang hin ausrichten, damit die gesetzlichen Parameter einge­halten werden konnten. Kantonale Vorschriften be­züglich Arbeitsgesetz, behindertengerechten Bauens, Brandschutzvorschriften sowie vom Zivilschutz sind zu berücksich­tigen.

Der Standort Bodmer ist bekannt als schattig. Wie sind Sie damit umgegangen in der Planung und Umsetzung?
Die Besonnung spielt bei jedem Bauvorhaben eine Rolle, sei es bezüglich Ausrichtung des Baukörpers oder zur energetischen Nutzung. Unser Büro ist bekannt für energetisch selbstversorgende Bauten. Beim Projekt «Haus am Mühlbach» lag jedoch nicht die Besonnung an erster Stelle, sondern der Fern- und Nahblick. Vor unserer Beauftragung waren auch wir der Ansicht, der Standort sei sehr schattig. Erste Besonnungsanalysen zeigten jedoch, dass nur im Dezember und Januar das Sonnenlicht fernbleibt, im Hochsommer können im Bodmer bis elf Sonnenstunden genossen werden.

Die Projektidee sah vor, aus dem Schatten herauszuwachsen und den Baukörper in die Höhe zur Sonne zu ziehen. Nach dem Gestaltungsprinzip: «je höher, desto heller» ist ein kompaktes Punkthaus mit sieben Stockwerken und einer Attika entstanden. Im Grundriss weisen vier von fünf Wohnungen eine «Übereck-Position» auf, so dass in jeder Wohnung ein paar Sonnenstunden pro Tag garantiert sind.
Die «Übereck-Orientierung» ist innenräumlich interessant, ermöglicht einen mehrseitigen Ausblick und eine gute Raumdurchlüftung. Zudem wirken die Räume durch die grossen Fensterfronten heller und grosszügig.

Welche Herausforderungen bestanden, um den Neubau in das bestehende Areal/Bauten einzufügen?
Das bestehende Pflegeheim aus dem Jahre 2013 und das Hochhaus aus den 60er-Jahren stellen massstäblich bedeutende Volumen dar, welche mit der Kapelle ein interessantes Ensemble bilden. Die drei präsenten Baukörper verbinden sich durch den dazwischen aufgespannten Aussenplatz, so dass jede Erweiterung aufgrund der vorliegenden ortsstrukturellen Gegebenheiten ein schweres Erbe antritt. Durch die freie Stellung vom Haus zum Mühlbach im ehemaligen Garten orientiert sich das Gebäude zum Freiraum hin und gibt ihm durch seine Höhe eine eigene Präsenz. Die Kombination von einem Wohnhaus für ältere Bewohner und der Integration des öffentlichen Kinder­gartens im Erdgeschoss stellt eine gelungene Verbindung unserer Gesellschaft dar. Die Massigkeit vom Haus zum Mühlbach wird jedoch aufgrund des gewählten Farbtons der Fassade nicht wahrgenommen, da sich der Baukörper mit dem bergseitigen Wald verschmilzt.

Die Formfindung basiert auf vier Ideen:
1.    Bauen in die Höhe, um eine gute Belichtung und schöne Aussicht zu erhalten.
2.    Der Baukörper soll sich an die Massstäblichkeit der Umgebung anpassen.
3.    Ein kleiner Fussabdruck zugunsten der Freiflächen für Bewohner und Kinder.
4.    Kompaktheit anstreben, um energetisch und ökonomisch zu bleiben.

Welche Überlegungen brauchte es in der baulichen Umsetzung für altersgerechtes Wohnen bezüglich:
Raumaufteilung
Unser Ziel war es, ein praktisches, ökonomisches und nachhaltiges Wohnhaus zu entwerfen.

Die Wohnungen sollen kompakt, aber trotzdem grosszügig und interessant sein und die Bedürfnisse der Bewohner abdecken. Die Grösse der Räume richtet sich an den kantonalen Richtlinien für betreutes Wohnen. Gegenüber einer Standardwohnung sind die geforderten Minimalabstände bei Zugängen und Korridoren etwas grösser. Damit wird das Durchlaufen mit einem Rollator oder Rollstuhl ermöglicht. Herzstück jeder Wohnung ist der Wohnraum mit Küche und Essbereich, welcher bei den meisten Wohnungen über Eck orientiert ist. Dadurch sind ein grandioser Ausblick und eine gute Belichtung gegeben. Die Loggia ist zum Wohnraum hin über Eck voll verglast und vergrössert den Innenraum. Die Laufwege zwischen den Räumen sind kurz gehalten, was vor allem von Leuten mit Gehproblemen geschätzt wird.

Materialisierung
Die Lage zwischen dem Bergfuss des Pizokel und der Plessur war Reiz genug, ein Haus mit natürlichen Materialien zu konstruieren. Gleichzeitig war uns wichtig, eine wohnliche Atmosphäre und ein sicheres Gefühl zu vermitteln. Funktional sollen die Materialien dauerhaft sein. Kalkputz – Kalk­beton – Eichenholz sind die drei Hauptmaterialien, die dem «Haus am Mühlbach» im Innenraum den Charakter ver­leihen. Aussen haben wir eine Kalkputzfassade mit Steinmehl eingefärbt. Die Holz-/Metallfenster und die Staketenbrüstungen sind aus pulverbeschichtetem Metall bronzefarbig gefertigt.

In den öffentlichen Räumen im Erdgeschoss stellt die Kombination des Terrazzobodens mit Eichenholzwänden und -türen eine wohnliche Atmosphäre dar. Das einladende Treppenhaus ist aus Kalksteinbeton gefertigt, welcher durch den warmen Farbton in Kombination mit den Eichentüren überrascht. In den Wohnungen dominieren die Holzeinbauten bei den Garderoben, Küchen, Türen und Böden in Kombination mit schlicht verputzten Wänden und Decken.

Funktionalität
Mehrere Funktionen im Haus unterstützen sich gegenseitig. Vor dem Eingang zum Wohnhaus und zum Kindergarten ist es eine gemeinsame gedeckte Vorzone mit Sitzgelegenheit für Jung und Alt. Im Erdgeschoss sind die öffentlichen Nutzungen angeordnet. Beim Eingang lädt eine kleine Lobby Bewohner und Besucher zum Verweilen ein. Im hinteren Bereich des Erdgeschosses liegen alle Servicefunktionen wie Spitex, Fitness, Pflegebad und Werkstatt für die Bewohner. Die andere Hälfte im Erdgeschoss ist für den Kinder­garten bestimmt. Die Obergeschosse dienen dem Wohnen. Es gibt 32 Wohnungen. 20 davon sind 2,5-Zimmer-Wohnungen, 12 3,5-Zimmer-Wohnungen. In der Attika befindet sich zudem ein Übergangspflegezimmer. Im Untergeschoss befindet sich eine Einstellhalle mit 23 Parkplätzen, sechs davon sind rollstuhlgängig. Neben der Garage gibt es Platz für Elektro-Scooter, Velos und die Technik sowie einen Abstellraum für jede Wohnung.

Wirtschaftlichkeit und Ökologie
Das Projekt konnte aufgrund der Kompaktheit sehr wirtschaftlich umgesetzt werden, ohne auf Komfort verzichten zu müssen. Das Haus erfüllt die höchsten ökologischen Standards und wurde als Minergie-P-Gebäude zertifiziert. Eine Wärmepumpe wird von zwölf Erdsonden für Heizung und Warmwasser versorgt. Die Komfortlüftung erhöht den Wohnkomfort und reduziert im Winter die Wärmeverluste und sorgt im Sommer für ein gutes Klima im Innenraum.

Wie war die Zusammenarbeit mit der Stiftung?
Dem Stiftungsrat unterlag die strategische Projektausrichtung bezüglich Projektinhalt, Kosten und Terminen. Um die Details des Projektes kümmerte sich intensiv eine engagierte Baukommission unter dem Lead von Julius Candinas. Der Baukommission stand mit Marco Gujan ein ausgewiesener Baufachmann beratend zur Seite. Dieses Gremium war die direkte Ansprechgruppe für uns Architekten.

Der Heimleiter Andrea Menn und der Leiter technischer Dienst, Jan Lampert, waren ebenfalls in der Baukommission vertreten und unterstützten uns Architekten durch ihr enormes Wissen während des gesamten Bauprozesses. Für die zielorientierte Zusammenarbeit sprechen wir allen Beteiligten unseren grossen Dank aus.


Der Neubau fügt sich nahtlos in die bestehende Anlage ein.

Kennzahlen «Haus am Mühlbach», Alterssiedlung Bodmer, Chur

Bauherrschaft: Stiftung Alterssiedlung Bodmer
Objekt: Neubau Alterswohnungen
Architektur und Planung: Fanzun AG Architekten, Chur
Gestalterischer Leiter: Gian Fanzun
Entwurfsarchitekt: Andrej Turcan
Gesamtprojektleiter: Oscar Oberholzer
Bauleitung: Leta Steck
Bauingenieur: Bänziger Partner AG

Machbarkeitsstudie: November 2015
Baueingabe: 17. Mai 2017
Baubewilligung: 25. September 2017
Spatenstich: 31. Januar 2018
Fertigstellung: August 2019

Anzahl Geschosse: 7 Geschosse
Gebäudevolumen: 15 021 m3
Geschossflächen total: 4750 m2
Grundstückfläche total: 11 597 m2
Wohnungsgrössen: 20 Zweieinhalb- und 12 Dreieinhalbzimmerwohnungen
Tiefgarage: 23 Autoeinstellplätze, davon 6 rollstuhlgängig, Kellerräume
Heizung: Wärmepumpe mit Erdsonden
Energie: Minergie-P-Standard