Gian Fanzun und Andrej Turcan: Gab es kantonale Vorschriften für den Baukörper? Wenn ja, welche?
In Bauzonen gelten die jeweiligen kommunalen Vorschriften. Diese definieren nicht per se den Baukörper, sondern legen den Spielraum zu der Nachbarschaft fest. Neubauten angrenzend an Schutzzonen, beim Bodmer zur angrenzenden Altstadtzone, müssen sich gut ins bestehende Gefüge integrieren. Das Bodmer-Areal liegt in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen. In dieser Zone sind die Bestimmungen der angrenzenden Zonen zu respektieren, innerhalb der Parzelle sind die Auflagen marginal. In genannter Zone ist die Höhe bei 22 Meter limitiert, jedoch muss man um die Mehrhöhe gegenüber den Nachbarzonen von der Grenze wegrücken. Eine gesetzlich unverständliche Einschränkung betraf nicht den Baukörper, sondern die Ausrichtung der Wohnungen. Für die angedachten Alterswohnungen ist der nördliche Bezug mit Weitblick zur Altstadt und zum Hof hin viel wünschenswerter als der zur südlichen Hanglage. Wir mussten jedoch die Mehrheit der Wohnungen zum Hang hin ausrichten, damit die gesetzlichen Parameter eingehalten werden konnten. Kantonale Vorschriften bezüglich Arbeitsgesetz, behindertengerechten Bauens, Brandschutzvorschriften sowie vom Zivilschutz sind zu berücksichtigen.
Der Standort Bodmer ist bekannt als schattig. Wie sind Sie damit umgegangen in der Planung und Umsetzung?
Die Besonnung spielt bei jedem Bauvorhaben eine Rolle, sei es bezüglich Ausrichtung des Baukörpers oder zur energetischen Nutzung. Unser Büro ist bekannt für energetisch selbstversorgende Bauten. Beim Projekt «Haus am Mühlbach» lag jedoch nicht die Besonnung an erster Stelle, sondern der Fern- und Nahblick. Vor unserer Beauftragung waren auch wir der Ansicht, der Standort sei sehr schattig. Erste Besonnungsanalysen zeigten jedoch, dass nur im Dezember und Januar das Sonnenlicht fernbleibt, im Hochsommer können im Bodmer bis elf Sonnenstunden genossen werden.
Die Projektidee sah vor, aus dem Schatten herauszuwachsen und den Baukörper in die Höhe zur Sonne zu ziehen. Nach dem Gestaltungsprinzip: «je höher, desto heller» ist ein kompaktes Punkthaus mit sieben Stockwerken und einer Attika entstanden. Im Grundriss weisen vier von fünf Wohnungen eine «Übereck-Position» auf, so dass in jeder Wohnung ein paar Sonnenstunden pro Tag garantiert sind.
Die «Übereck-Orientierung» ist innenräumlich interessant, ermöglicht einen mehrseitigen Ausblick und eine gute Raumdurchlüftung. Zudem wirken die Räume durch die grossen Fensterfronten heller und grosszügig.
Welche Herausforderungen bestanden, um den Neubau in das bestehende Areal/Bauten einzufügen?
Das bestehende Pflegeheim aus dem Jahre 2013 und das Hochhaus aus den 60er-Jahren stellen massstäblich bedeutende Volumen dar, welche mit der Kapelle ein interessantes Ensemble bilden. Die drei präsenten Baukörper verbinden sich durch den dazwischen aufgespannten Aussenplatz, so dass jede Erweiterung aufgrund der vorliegenden ortsstrukturellen Gegebenheiten ein schweres Erbe antritt. Durch die freie Stellung vom Haus zum Mühlbach im ehemaligen Garten orientiert sich das Gebäude zum Freiraum hin und gibt ihm durch seine Höhe eine eigene Präsenz. Die Kombination von einem Wohnhaus für ältere Bewohner und der Integration des öffentlichen Kindergartens im Erdgeschoss stellt eine gelungene Verbindung unserer Gesellschaft dar. Die Massigkeit vom Haus zum Mühlbach wird jedoch aufgrund des gewählten Farbtons der Fassade nicht wahrgenommen, da sich der Baukörper mit dem bergseitigen Wald verschmilzt.
Die Formfindung basiert auf vier Ideen:
1. Bauen in die Höhe, um eine gute Belichtung und schöne Aussicht zu erhalten.
2. Der Baukörper soll sich an die Massstäblichkeit der Umgebung anpassen.
3. Ein kleiner Fussabdruck zugunsten der Freiflächen für Bewohner und Kinder.
4. Kompaktheit anstreben, um energetisch und ökonomisch zu bleiben.
Welche Überlegungen brauchte es in der baulichen Umsetzung für altersgerechtes Wohnen bezüglich:
Raumaufteilung
Unser Ziel war es, ein praktisches, ökonomisches und nachhaltiges Wohnhaus zu entwerfen.
Die Wohnungen sollen kompakt, aber trotzdem grosszügig und interessant sein und die Bedürfnisse der Bewohner abdecken. Die Grösse der Räume richtet sich an den kantonalen Richtlinien für betreutes Wohnen. Gegenüber einer Standardwohnung sind die geforderten Minimalabstände bei Zugängen und Korridoren etwas grösser. Damit wird das Durchlaufen mit einem Rollator oder Rollstuhl ermöglicht. Herzstück jeder Wohnung ist der Wohnraum mit Küche und Essbereich, welcher bei den meisten Wohnungen über Eck orientiert ist. Dadurch sind ein grandioser Ausblick und eine gute Belichtung gegeben. Die Loggia ist zum Wohnraum hin über Eck voll verglast und vergrössert den Innenraum. Die Laufwege zwischen den Räumen sind kurz gehalten, was vor allem von Leuten mit Gehproblemen geschätzt wird.
Materialisierung
Die Lage zwischen dem Bergfuss des Pizokel und der Plessur war Reiz genug, ein Haus mit natürlichen Materialien zu konstruieren. Gleichzeitig war uns wichtig, eine wohnliche Atmosphäre und ein sicheres Gefühl zu vermitteln. Funktional sollen die Materialien dauerhaft sein. Kalkputz – Kalkbeton – Eichenholz sind die drei Hauptmaterialien, die dem «Haus am Mühlbach» im Innenraum den Charakter verleihen. Aussen haben wir eine Kalkputzfassade mit Steinmehl eingefärbt. Die Holz-/Metallfenster und die Staketenbrüstungen sind aus pulverbeschichtetem Metall bronzefarbig gefertigt.
In den öffentlichen Räumen im Erdgeschoss stellt die Kombination des Terrazzobodens mit Eichenholzwänden und -türen eine wohnliche Atmosphäre dar. Das einladende Treppenhaus ist aus Kalksteinbeton gefertigt, welcher durch den warmen Farbton in Kombination mit den Eichentüren überrascht. In den Wohnungen dominieren die Holzeinbauten bei den Garderoben, Küchen, Türen und Böden in Kombination mit schlicht verputzten Wänden und Decken.
Funktionalität
Mehrere Funktionen im Haus unterstützen sich gegenseitig. Vor dem Eingang zum Wohnhaus und zum Kindergarten ist es eine gemeinsame gedeckte Vorzone mit Sitzgelegenheit für Jung und Alt. Im Erdgeschoss sind die öffentlichen Nutzungen angeordnet. Beim Eingang lädt eine kleine Lobby Bewohner und Besucher zum Verweilen ein. Im hinteren Bereich des Erdgeschosses liegen alle Servicefunktionen wie Spitex, Fitness, Pflegebad und Werkstatt für die Bewohner. Die andere Hälfte im Erdgeschoss ist für den Kindergarten bestimmt. Die Obergeschosse dienen dem Wohnen. Es gibt 32 Wohnungen. 20 davon sind 2,5-Zimmer-Wohnungen, 12 3,5-Zimmer-Wohnungen. In der Attika befindet sich zudem ein Übergangspflegezimmer. Im Untergeschoss befindet sich eine Einstellhalle mit 23 Parkplätzen, sechs davon sind rollstuhlgängig. Neben der Garage gibt es Platz für Elektro-Scooter, Velos und die Technik sowie einen Abstellraum für jede Wohnung.
Wirtschaftlichkeit und Ökologie
Das Projekt konnte aufgrund der Kompaktheit sehr wirtschaftlich umgesetzt werden, ohne auf Komfort verzichten zu müssen. Das Haus erfüllt die höchsten ökologischen Standards und wurde als Minergie-P-Gebäude zertifiziert. Eine Wärmepumpe wird von zwölf Erdsonden für Heizung und Warmwasser versorgt. Die Komfortlüftung erhöht den Wohnkomfort und reduziert im Winter die Wärmeverluste und sorgt im Sommer für ein gutes Klima im Innenraum.
Wie war die Zusammenarbeit mit der Stiftung?
Dem Stiftungsrat unterlag die strategische Projektausrichtung bezüglich Projektinhalt, Kosten und Terminen. Um die Details des Projektes kümmerte sich intensiv eine engagierte Baukommission unter dem Lead von Julius Candinas. Der Baukommission stand mit Marco Gujan ein ausgewiesener Baufachmann beratend zur Seite. Dieses Gremium war die direkte Ansprechgruppe für uns Architekten.
Der Heimleiter Andrea Menn und der Leiter technischer Dienst, Jan Lampert, waren ebenfalls in der Baukommission vertreten und unterstützten uns Architekten durch ihr enormes Wissen während des gesamten Bauprozesses. Für die zielorientierte Zusammenarbeit sprechen wir allen Beteiligten unseren grossen Dank aus.