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SCHUTZWÜRDIG HEISST NICHT GESCHÜTZT.

In Artikel 4 des Gesetzes über den Natur- und Heimatschutz im Kanton Graubünden ist das Kantonale Inventar der schutzwürdigen Ortsbilder, Gebäudegruppen und Einzelbauten verankert. Doch wie kommt ein Gebäude in dieses Inventar und was bedeutet es, wenn es dort auf­genommen wird. CUBATURA Graubünden informiert sich bei Simon Berger, dem Leiter der kantonalen Denk­malpflege.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Alice Das Neves

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Manches beginnt mit einem Missverständnis – dem zwischen schützenswert und geschützt, zum Beispiel, oder jenem zwischen Denkmalpflege und Heimatschutz. Aber: «Die Denkmalpflege ist eine kantonale Fachstelle. Der Heimatschutz dagegen ist ein unabhängiger Verein und kann wie ein Verein agieren.» Und weil das manchmal verwechselt wird und der Heimatschutz öfter Einsprachen erhebt, kann der Schutz von Kulturgütern zum Schreckgespenst werden. Dabei ist der Heimatschutz dem Wortsinn nach im Grundsatz ein verfassungsmässiger Auftrag zum Schutz der Kulturgüter, sowohl auf Stufe Bund als auch auf Stufe Kanton. Das ist ein Volksauftrag, welcher klar formuliert, dass die kulturellen Errungenschaften der Menschheit und auch der Schweiz erhalten bleiben sollen. «Doch was eine kulturelle Errungenschaft ist, ist sehr individuell.» Unter dem Titel Heimatschutz sind im Gesetz in Graubünden die Denkmalpflege, die Archäologie und die beweglichen Kulturgüter subsummiert – also drei sehr unterschiedliche Aufgaben.


Gesetzesgrundlage

Der Auftrag der Verfassung wird in Graubünden in das Natur- und Heimatschutzgesetz gegossen, das genauer umschreibt, was getan werden kann und was getan werden muss. So führt der Kanton Inventare der schutzwürdigen Objekte. Doch das Gesetz formuliert dies sehr allgemein, so dass neben dem Inventar der schutzwürdigen Ortsbilder, Gebäudegruppen und Einzelbauten zum Beispiel auch die Naturschutzinventare durch den Artikel 4 geregelt werden. Das Gesetz nennt in Artikel 4, Absatz 2, auch übergeordnete Kriterien, welche angewendet werden sollen, etwa Seltenheit, Vielfalt, Gefährdung, Eigenart oder ästhetischer Wert und wissenschaftliche Bedeutung. Für die Denkmalpflege ist dies der gesetzliche Auftrag: ein Inventar zu erstellen.

Die Inventare des Natur- wie auch des Heimatschutzes bilden eine Grundlage in der Raumplanungsgesetzgebung (Art. 6) und sind ausschliesslich amtsintern verbindlich. Der rechtsverbindliche Schutz der Objekte und die Abwägung geschehen erst im planerischen Verfahren – also bei der Ortsplanung durch die Gemeinde. Inventare haben also eine der tiefsten Rechtswirkungen, die es gibt. Die höchste Schutzstufe wäre, wenn ein im Inventar verzeichnetes Objekt gleich geschützt ist. Eine nächsttiefere Stufe könnte sein, dass die Aufnahme ins Inventar ein Auftrag an die Gemeinden ist, das Objekt zu schützen. Doch es gilt bloss die dritte Stufe des Schutzes: Die Mitarbeitenden der Denkmalpflege stellen beim Inventarisieren «Verdachtsmomente» fest, weshalb etwas schützenswert ist. Dies gilt zwar als Grundlage für die Raumplanungsarbeit der Gemeinde, aber die Gemeinde ist nach wie vor frei, wie sie den von der Denkmalpflege angeregten Schutz umsetzen will.

 

«Das Inventar machen wir, das ist unser gesetzlicher Auftrag – innerhalb der bei uns formulierten Aufgaben ist dies die einzige Muss-Formulierung im Gesetz», so Berger. «Wir können zudem bei der Regierung beantragen, etwas unter Schutz zu stellen oder Subventionen für ein Objekt zu gewähren – das können wir tun, müssen wir aber nicht tun.» Der Kanton kann unter Schutz stellen, aber er muss inventarisieren – und deshalb sind die Unterschutzstellung und die Inventarisierung zwei völlig unterschiedliche Aufträge und voneinander zu trennen.


Salouf: Der im Westen des Hauses liegende mittelalterliche Wohnturm wurde um 1500 erweitert und erhielt dabei das heutige Volumen.  Von 1637 bis 1947 Kapuzinerhospiz und kultureller Mittelpunkt des Tales. Dorfbaulich, architektonisch, baugeschichtlich und sozialhistorisch  ein wichtiger Bau mit Situationswert.

Raumplanung – auch hier

Geschützt wird erst, wenn die Raumplanung umgesetzt wird – also bei der Ortsplanung durch die Gemeinde. «Es ist vielen nicht klar, dass die Umsetzung des Inventarisierungsauftrages sehr eng mit der Raumplanung verbunden ist.» Im Rahmen der Raumplanungsgesetzgebung gibt es verschiedene Werkzeuge, und eines davon ist es, einem Gebäude, einer Gebäudegruppe oder einem Ortsbild einen Schutz zuzuweisen. Dies kann mit den folgenden vier Kategorien oder Tools geschehen: schützenswert, ortsbildprägend, erhaltenswert und bemerkenswerte Bauten. Was erhaltenswert ist, kann jede Gemeinde für sich selbst definieren. Auch die Festlegung als ortsbildprägendes Gebäude oder als schützenswertes läuft über die Gemeinde. Auch dann, wenn die Ortsplanung abgeschlossen ist, entfalten die vier Kategorien verschiedene Wirkung. Ist zum Beispiel ein Gebäude bloss als bemerkenswert aufgelistet, kann das bedeuten, dass sein Volumen fürs Ortsbild wichtig ist. Es kann also abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt werden, sofern dieser dasselbe Volumen hat. Je nachdem, was dazu im Baugesetz der Gemeinde formuliert wird. Ist ein Gebäude ortsbildprägend – also etwa ein Stall im Dorfkern –, so kann dieses unter bestimmten Bedingungen umgenutzt werden, eben auch als Zweitwohnung. «Mit dem Schutz als ortsbildprägend bekommt das Gebäude durch die Gemeinde einen bestimmten Schutz, was bedeutet: Es wird anerkannt, dass dieses Gebäude wichtig ist, die Geschichte soll daran ablesbar bleiben. Über den Schutz wird dann definiert, dass man eine Wohnung reinbauen darf, damit das Gebäude erhalten bleibt.» Die Schutzkategorie «ortsbildprägend» wurde im Rahmen des Bundesgesetzes über Zweitwohnungen eigens dafür neu erfunden.


Vieles ist schon geschützt

Simon Berger stellt klar: «Wir vergeben im Inventar keine Schutzkategorien, wir stellen fest: Auf jeder Seite des Inventars gibt es darum Objekte, die bereits geschützt sind. Zusammen mit den übrigen Objekten im Inventar versuchen wir, der Gemeinde den Reichtum ihres baukulturellen Erbes mitzugeben – dazu gehört das ganze Spektrum der baulichen Aktivitäten.» Berger nennt etwa im Dorf Mulegns die Villen, das Hotel des Tourismuspioniers, aber auch die bäuerlichen Betriebe, die Kirche und das Pfarrhaus sowie die öffentlichen Bauten, also Gemeinde- und Schulhaus, die auch in einer hohen Qualität gebaut wurden. «All das findet sich in Mulegns. Wir versuchen festzustellen, welche Gebäude das bauliche Erbe manifestieren, und geben der Gemeinde mit, welchen Gebäuden wir aus fachlicher Sicht einen Schutzwert zuweisen würden.» Im Inventar selber zeigt sich das neben der Geschichte des Gebäudes mit Fotos sowie mit der Festlegung im Bedeutungsraster: «Die Kriterien aus dem Gesetz umfassen alle Inventare. Im Bedeutungsraster schälen wir noch stärker heraus, was baulich bedeutend ist. Es sind dies die ortsbildprägende Bedeutung, die historische Bedeutung, die architektonische Bedeutung, die bedeutende historische Substanz sowie die charakteristische Umgebung – mit diesen fünf wissenschaftlich anerkannten Kategorien haben wir das Gefühl, das Gebäude zu erfassen.» Je mehr der Kriterien erfüllt sind, je mehr Kreuze im Inventar stehen, ums wichtiger ist das Gebäude in seiner Bedeutung und in derjenigen für den Ort. Für eine Schutzwürdigkeit sollten mindestens drei der Kategorien Gültigkeit haben.


Salouf: Im Kern befindet sich ein gut erhaltener mittelalterlicher Wohnturm. Die Erweiterungen zum heutigen Wohnhaus fanden hauptsächlich in den Bauphasen 1672 und 1842 statt. Angeblicher Stammsitz von Benedikt Fontana, Bündner Held  der Calvenschlacht von 1499.Salouf: Das Wohnhaus bildet den südlichen Abschluss des Platzes. Das gemauerte Sockelgeschoss entstand im Mittelalter.Salouf: Das freistehende Wasch- und Backhaus ist über quadratischem Grundriss errichtet und mit einem schindelgedeckten Zeltdach mit mittigem Rauchabzug geschlossen. Freistehende Wasch-/Backhäuser gehörten in der Regel zu mehreren Haushalten und sind wichtige Bestandteile historischer Siedlungen.

Herkulesaufgabe

In einem Kanton mit 150 Tälern ist Inventarisieren eine Herkulesaufgabe, welche die Denkmalpflege in enger Verbindung mit den Baufachleuten der Gemeinde erfüllt. «Wir kündigen an, dass wir inventarisieren kommen, und fragen vor Ort nach den Inputs. Wir konsultieren das Gemeindearchiv und sprechen mit Persönlichkeiten, die sich aus­kennen – das gibt einen Austausch über die fachlichen Grundlagen. Dann geht eine Fachperson, das können Kunsthistoriker oder Architekten sein, durchs Dorf, so entsteht eine Liste. Diese wird mit unserem zuständigen Bauberater angeschaut, danach geht sie in die Vernehmlassung zur Gemeinde. Und erst dann entscheiden wir, welche Objekte draufbleiben.» Nach dieser Konsolidierung enthält die Inventarliste jene Objekte, von denen die Denkmalpflege denkt, dass sie schutzwürdig sind.


Der weitere Ablauf

Danach kommt das Inventar in die öffentliche Auflage. «Dabei kann uns die Bevölkerung mitteilen, was sie dazu denkt. Und jeder, der mit seinem Objekt im Inventar steht, wird angeschrieben und kann sich dazu äussern. Wenn die öffentliche Auflage – also der Mitwirkungsprozess – abgeschlossen ist, gibt die Denkmalpflege das in geeigneter Form bekannt. Wir kommunizieren schriftlich mit jedem, der sich gemeldet hat, und nehmen das auf.» Das Inventar ist also ausschliesslich ein Fachinventar, aber es ist nicht eigentümerverbindlich, das heisst, es hat keine unmittelbare Auswirkung auf den Eigentümer. Die Denkmalpflege gibt es nach Abschluss den Gemeindebehörden ab, als Grundlage für die nächste Ortsplanungsrevision.


Zusatzschlaufe

An sich ist klar: Solange die Ortsplanung nicht rechtsverbindlich entschieden ist, entfaltet die Aufnahme ins Inventar keine rechtliche, sondern ausschliesslich amtsinterne Wirkung. Doch es scheint in Graubünden Parlamentarier zu geben, welche bereits in der Inventarisierung eines Objekts einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit sehen. Deshalb erging – schon vor Abschluss der gesamten Inventarisierung – der parlamentarische Auftrag an die Regierung, schon bei der öffentlichen Auflage der Inventarliste eine Einsprachemöglichkeit einzubauen, mit einer Antwort, die der Eigentümer vor Gericht ziehen kann. Dabei gehen die Gemeinden jetzt schon unterschiedlich vor: «Eine Gemeinde nimmt die Liste und übt Zurückhaltung, wenn ein Umbau beantragt ist. Eine andere Gemeinde erteilt dem Antragsteller gesetzeskonform die Umbaugenehmigung. Wenn die Nutzungsplanung zur Verabschiedung kommt, gibt es dann nochmals die Möglichkeit, Einsprache zu erheben – mind­es­tens ist das im Moment der Stand.»


Salouf: Durch die leicht erhöhte Stellung an der Veia Colm ist das Objekt von der Veia Sumvei aus sehr gut sichtbar und nimmt eine wichtige Stellung im Ortsbild ein. Es handelt sich um eine der wenigen sehr gut erhaltenen Stallscheunen in Salouf.

Marschhalt erzwungen

Im Regierungsprogramm 2017 bis 2020 definierte die Regierung einen Entwicklungsschwerpunkt. «Damit konnten wir unser Inventar realisieren und der Archäologische Dienst sein Fundstelleninventar revidieren. Die Denkmalpflege plante die Erstaufnahme in diesen Jahren und somit eine 100-prozentige Umsetzung.» Aber es zeigte sich, dass die Inventarisierung in Graubünden eine sehr komplexe Aufgabe ist, welche viel Kommunikation mit den Gemeinden erfordert. «Deshalb benötigte das mehr Zeit. Der erste parlamentarische Vorstoss erfolgte 2018, der nächste 2019, so wuxrden die beiden Aufträge an die Regierung überwiesen und wir legten zuletzt – in der zweiten Hälfte 2020 – einen Marschhalt ein. Wir sind bezogen auf die gesamte Kantonsfläche ungefähr bei 70 Prozent, wo wir – im Rahmen von Listen – ein Bauinventar erstellt haben.» Das ist für die Denkmalpflege eine schwierige Situation. Einerseits haben sie den klaren gesetzlichen Auftrag, ein Inventar der schutz­würdigen Ortsbilder, Gebäudegruppen und Einzelbauten zu erstellen. Gleichzeitig wollen gesetzliche Vorstösse die gesetzliche Grundlage verändern, auf der die Denkmal­pflege im Amt für Kultur arbeitet. Darüber hinaus wurden der Denkmalpflege per 2021, mit Wegfallen des Entwicklungsschwerpunktes, die personellen und finanziellen Ressourcen zur Inventarisierung entzogen.


Augenmass behalten

«Dabei gibt es», so Simon Berger, «nichts Schöneres, als wenn eine junge Familie ein schützenswertes Gebäude weiter bewohnt. Auch uns ist klar, dass das Gebäude dann für modernes Wohnen funktionieren muss. Deshalb bieten wir unsere Beratung an, damit etwa Nasszellen oder die Küche entsprechend angepasst werden können.» Selbst wenn ein Gebäude bereits unter Schutz steht – sogar unter dem Schutz von Bund und Kanton –, darf durchaus noch einiges weiter- und umgebaut werden. Noch etwas gibt Berger zu bedenken: «Der meiste Kantonsschutz, der besteht, ist durch Subventionen entstanden. Das bedingt, dass eine Beratung stattgefunden hat, auf deren Basis ein Beitragsprojekt ausgearbeitet wurde. Wenn die Beiträge der Denkmalpflege 25 000 Franken übersteigen, dann wird das Gebäude im Rahmen dieser Subventionierung unter Schutz gestellt.» Das gilt selbst für repräsentative Gebäude wie das Verwaltungsgebäude der Rhätischen Bahn in Chur, das vorher zwar schon auf einer Liste der Gemeinde stand, aber erst unter Schutz kam, als die Denkmalpflege den Umbau subventionierte. Will heissen: Lange nicht jedes Objekt, von dem man es erwartet, steht auch unter Schutz und ein Eintrag im Inventar ist eben noch keine Unterschutzstellung.


Salouf: Die Pfarrkirche liegt in typischer Lage ausserhalb des Dorfes. Sie besteht aus einer Mischung von romanischen, spätgotischen und barocken Stilelementen. Die historische  Ausstattung stammt aus den unterschiedlichen Bauphasen: Unter anderem Wandmalereien von um 1370/1380 sowie ein spätgotischer Flügelaltar von um 1500.Salouf: Das Wohnhaus wurde spätestens im 17. Jahrhundert gegen Westen an zwei Wohntürme angebaut. Im Innern haben sich der Strickbau sowie eine Stube im gotischen Stil aus dem 16./17. Jahrhundert erhalten.Salouf: Der mittelalterliche Wohnturm stammt aus dem 14. Jahrhundert (1392 Dendrodatum). Im Jahre 1636 wurde der Wohnturm ausgebaut und um den Holzaufbau erhöht. Es handelt sich um eines der ältesten datierten Häuser im Surses.