Abos!

SCHMUCKSCHATULLE IM HEUSTALL.


Seit Januar dieses Jahres ist das Zweit­wohnungsgesetz in Kraft. Dieses sieht vor, dass in Gemeinden mit einem Zweitwohnungs­anteil von über 20 Prozent sogenannt «ortsbildprägende Bauten» innerhalb der Bauzone zu Ferienzwecken umgenutzt werden können, wenn keine andere Möglichkeit für ihre Erhaltung besteht. Als «ortsbildprägend» gelten Gebäude, «die durch ihre Lage und Gestalt wesentlich zur erhaltenswerten Qualität des Ortsbildes und zur Identität des Ortes beitragen». Bauwerke also mit bescheidenem Eigenwert, denen im Rahmen eines Ensembleschutzes aber grosse Bedeutung beigemessen wird. In unseren Dorfkernen gehören dazu potentiell alle in ihrer ursprünglichen Erscheinung noch intakten historischen Gebäude – mithin auch die alten Stallscheunen, die man in praktisch jeder Bündner Ortschaft in einer Vielzahl antrifft. Durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft ihrer ursprünglichen Funktion entledigt, stehen sie heute brach und scheinbar unnütz da. Bauwilligen Feriengästen bieten sie eine Möglichkeit, ihren Traum vom eigenen Ferienhaus trotz Zweitwohnungsbaustopp doch noch zu erfüllen.

 

Text: Ludmila Seifert     

Bilder: Benedikt Redmann

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Allerdings: Eine Zweckänderung der im besten Sinne primitiven «Hütten» ist architektonisch schwer zu bewältigen, da sich Konstruktion und Bauweise nicht ohne weiteres für den Umbau in Wohnraum nach heutigen Komfortvorstellungen eignen. Erschwerend hinzu kommt die anspruchsvolle Bestimmung, wonach eine ortsbildprägende «Baute in ihrem Schutzwert» durch die Umnutzung nicht beeinträchtigt werden darf; «insbesondere die äussere Erscheinung und die bauliche Grundstruktur des Gebäudes» muss, so will es das Gesetz, «im Wesentlichen unverändert bleiben». Der Ausbau einer Stallscheune ist grundsätzlich also ein ehrgeiziges Projekt, das nach verantwortungsbewussten Bauherren und begabten ArchitektInnen ruft.

Eine solch günstige Konstellation brachte am Dorfrand von Vignogn jüngst einen Umbau hervor, der exemplarisch vorführt, dass sich die diffizile Aufgabe mit der nötigen Sorgfalt und Sensibilität tatsächlich zu einem Resultat führen lässt, das den strengen Regeln des Ortsbildschutzes zu entsprechen vermag. Das Ökonomiegebäude im Fokus zeigt eine für die Gegend typische Bauart: Der Stall ist teils gemauert, teils aus aufeinandergelegten Kanthölzern gezimmert, die darüberliegende Scheune aus Rundhölzern locker gestrickt. Die rohe, ja archaische Qualität des rudimentären Baus erhalten – das war der Leitgedanke des Haldensteiner Architekten Michael Hemmi, den Claudio Alig, Inhaber der in Vrin beheimateten Alig Holzkultur AG, mit der Umnutzung der Stallscheune in ein Ferienhaus beauftragte. Hemmi liess die charakteristische Aussenhülle im Wesentlichen unangetastet. Sie dient ihm als Rahmen für ein in sich autonomes, neues Haus: Einen in kleinstmöglichem Abstand zur bestehenden Konstruktion präzis eingefügten Ständerbau, der durch seine dunkle Färbung sehr dezent in Erscheinung tritt. Innen wie aussen zeichnet sich der Neubau durch einen ganz eigenständigen, zeitgenössischen Charakter aus. Jedwede Konzession an den grassierenden Alpenchic liegt Hemmi fern – der Verzicht auf suggestive Alt-Neu-Kontraste tut in diesem Kontext wohl. Dem alten Bau wird auf subtilere Art Reverenz erwiesen, indem etwa die räumliche Einteilung des Neubaus sich an der Struktur der Scheune orientiert. Und durch das Vertrauen in die Kraft des Materials. Die Wohnräume sind vollumfänglich mit Lärchenholz ausgekleidet – in einer handwerklichen Perfektion, die sie zu eigentlichen Schmucktruhen werden lässt. Puristische Strenge ohne Sterilität, Wohlfühlatmosphäre ohne Kitsch. Das zeugt von einem grossen Respekt!



Konzept und Ausbau:
Michael Hemmi, Mitarbeit Sara Bonderer, www.michaelhemmi.ch


Bauherr:
Alig Holzkultur AG, www.alig.ch


Handwerker:
Savoldelli Tanno SA, Vella, www.savotan.ch
Capaul GmbH, Lumbrein, www.capaul-gmbh.ch
Derungs AG, Ilanz, www.elektro-derungs.ch
Demont Odilo, Vella


Kubatur:
780 m3


Jahr des Umbaus:
2014/2015

 


Raumprogramm


UG (58 m2): Dusche/WC, Waschküche, Technikraum, gedeckte Abstellfläche

EG (70 m2): Küche, Stube, Zimmer, WC

OG (40 m2): Schlafräume