Ein Erlebnis vom Keller bis zum Dach
Gerade sitze ich – auf einem jahrhundertealten Riemenboden im ehemaligen «Abstellraum» – und schaue aus dem Untergeschoss dieses Hauses, das Rudolf Olgiati in den letzten Jahren vor seinem Tod umgebaut hat, in Masein Richtung Thusis und Viamala. Bin ich jetzt ein Löli, wenn ich über dieses Haus schreibe? Nun ja, ich habe nicht vor, Olgiatis Werk zu beurteilen. In meinem Rücken ist eine schmale Treppe und sie beweist, dass derselbe Rudolf Olgiati durchaus nett sein konnte: «Lieber Stephen», schreibt er am 17. Juni 1991 an Stephen Hunter, den Bauleiter des Umbaus, «hier das Plänchen für die Treppe. Die Tritte sollten durch einen kleinen Aufguss in Ordnung gebracht werden, im Übrigen soll aber alles möglichst erhalten werden. Ich bitte Sie, sich mit Frau Lauener über die Bezahlung Ihrer Arbeit zu verständigen. Gruss» Gezeichnet R. Olgiati. Auf dem Plan sind – mit orangem Filzstift – die Aufgüsse festgehalten. So detailbesessen war der berühmte Architekt, nichts war ihm zu klein, als dass er es nicht mitbedacht hätte. Die Treppe führt noch immer steil vom ersten Untergeschoss ins Erdgeschoss hinauf, sie ist wieder rein weiss gekalkt, ein schwarzer Handlauf mit geschwungenem Ende, auch er von Olgiati ausgesucht, hilft beim Auf- und Abstieg.
Leben, um zu arbeiten
Inzwischen sind seit Olgiatis Aufwertung fast dreissig Jahre vergangen. Das umgebaute Haus, – es stammt ursprünglich aus dem 17. Jahrhundert, atmet noch immer den Geist, den der berühmte Architekt ihm – auf subtile Weise – eingehaucht hat. Gehe ich zum Beispiel rechter Hand aus dem Haus, ist da der Olgiati-typische abgeflachte Rundbogen der Tür, vor der – am zauberhaften Sitzplatz – ein Pfau aus Marmor neben weissen Rosen steht. Dass das Haus jetzt wieder umgebaut wurde, hat seinen Sinn. Denn das Motto von Oliver Schulthess und seiner Firma Holzrausch lautet: «Wir schreiben die Geschichte des Hauses weiter.» Unter mir ist nur noch der Naturkeller mit seinen ausgelatschten Stufen – mag sein, dass hier einst Wirte über Jahrhunderte Tausende von Krüge und Flaschen mit Wein oder Bier heraufgetragen haben. Wenn ja, dann haben sie dem Haus jedenfalls nichts von seinem guten Geist genommen. Gleich oberhalb des Hauses – am selben Bach – ist die Säge von Masein, deren Rad sich noch immer dreht. Eine staubige Arbeit, die Durst macht, das Sägen – das macht es doch wahrscheinlich, dass hier einst gewirtet wurde. Frau Lauener nutzte die Liegenschaft, die sich über dem Bach an eine Terrasse klammert, als Wohnhaus mit Atelier, kunstreich bemalte Kacheln bei den Waschbecken, in der Küche und in den Bädern zeugen noch davon, dass sie hier über 20 Jahre gelebt hat. Später war das Haus vermietet, zuletzt hatte es leer gestanden.