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JUSTIZVOLLZUGSANSTALT GRAUBÜNDEN: EINE NEUE STADT HINTER MAUERN.


Ende 2017 steht die Umfassungsmauer, parallel dazu werden Schritt für Schritt das endlos lang erscheinende Haupt und nicht weniger eindrückliche Nebengebäude für den Justizvollzug in Realta gebaut – im Oktober 2019 soll die Anstalt bezugsbereit sein. CUBATURA traf Kantonsbaumeister Markus Dünner, und erfuhr, was mit einem Gefängnisneubau alles zusammenhängt.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Alice Das Neves, Mathias Kunfermann

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In Cazis /Realta entsteht hinter einer mächtigen, sieben Meter hohen Betonmauer und sowohl aussen wie auch innen umlaufenden Sicherheitszäunen eine neue Stadt. Es ist keine Stadt wie Maienfeld oder das mittelalterliche Chur, kein mit Türmen bewehrtes Areal, wo die Bürger in romantisch verschachtelten Gebäuden und engen Gassen leben. Es wird auch keine historisch gewachsene Stadt, sondern eine Planstadt – eine geschlossene Justizvollzugsanstalt, die schon von Anfang an so angelegt ist, dass sie flexibel auf die Bedürfnisse des Vollzugs reagieren kann.


Es soll eine Stadt werden, wo die Wohnräume der Zellentrakte klar von den industriellen und gewerblichen Arbeitsgebäuden und auch von den Gebäuden für Freizeit, Sport und Kultur getrennt sind. Durchgehende Korridore machen es möglich, dass man die verschiedenen Typen des Vollzugs anpassen und so auf den Bedarf reagieren kann. Die Altersabteilung verfügt über grössere Zellen und ist behindertengerecht. Die Vollzugstypen sind aber voneinander getrennt untergebracht und es gibt separate Spazierhöfe für jeden Typ. Diese und eine Reihe weiterer Überlegungen stellte das Generalplanerteam in der Thesenkonkurrenz an.


Bauherr ist der Kanton, der auch den Grossteil der finanziellen Last tragen wird – also erkundigte sich CUBATURA Graubünden bei Kantonsbaumeister Markus Dünner, der mit überraschenden Überlegungen ins Gespräch einstieg. Im Grunde genommen wendet der Kanton beim Neubau eines Gefängnisses dieselben Qualitätskriterien an wie beim Bau eines Verwaltungsgebäudes oder einer Schule. Es wird eine bestimmte Qualität für den Bau definiert und dann sorgt der Kanton als Bauherr dafür, dass er auch das bekommt, was festgelegt wurde. Und – so seltsam es tönen mag – wie bei der Schule stehen auch beim Neubau eines Gefängnisses die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt, die der Insassen ebenso wie die der Vollzugsangestellten.


Hohe Qualität gefordert.Bei Beginn des Mauerbaus.Armierung.

Modernes Konzept verlangt Ersatz für den Sennhof

Die Konzepte des Strafvollzugs ähneln sich in der ganzen Schweiz, ja in ganz Mitteleuropa. Sie setzen heute nicht mehr auf Repression, sondern auf Wiedereingliederung. Strafvollzug bedeutet, dass den Insassen die Freiheit entzogen wird, doch auch in der Gefangenschaft haben sie ein Recht auf menschenwürdiges Leben. Die Justizvollzugsanstalt Realta bietet unterschiedliche Plätze an, welche die verschiedenen Typen des Vollzugs ermöglichen – Normalvollzug, Eintrittsgruppe, Altersvollzug und Abteilungen für stationäre therapeutische Massnahmen. Zudem sollen Insassen während des Vollzugs einem geregelten Tagesablauf nachgehen. Dazu braucht es genügend Arbeitsplätze, Spazierhöfe, Gruppenräume wie etwa den Speiseraum, Gemeinschaftsräume für kulturelle Veranstaltungen sowie einen Kultusraum, um die Religion leben zu können. Aufgrund der unbefriedigenden Vollzugs- und Arbeitssituation, der ausgewiesenen Sicherheitsdefizite und der fehlenden Entwicklungsmöglichkeit wurde entschieden, den Sennhof aufzugeben.


Wirtschaftsfaktor Gefängnis

Die Verantwortlichen des Kantons besuchten im Vorfeld verschiedene Justizvollzugsanstalten im europäischen Raum und vor allem in der Schweiz. Besichtigt wurden da die Justizvollzugsanstalten in Lenzburg, Solothurn und Regensdorf, was einen Überblick über deren Nutzungskonzepte ermöglichte. Da die Grösse einer JVA massgebend für die Wirtschaftlichkeit ist, beschloss der Kanton Graubünden, nicht bloss einen Neubau für den «Eigenbedarf», sondern zusätzliche Insassenplätze für das Ostschweizer Strafvollzugskonkordat, zu welchem auch Graubünden gehört, zu bauen. Es entsteht eine Anlage mit 140 Vollzugs- und 12 Untersuchungshaftsplätzen. Somit können die in der Ostschweiz heute fehlenden Plätze abgebaut werden. Zugleich können rund 80 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Da auch in Zukunft mit keinem Rückgang der Insassenzahlen zu rechnen ist, geht der Kanton damit auch kein finanzielles Risiko ein. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist hingegen infolge der besseren Wirtschaftlichkeit und der Schaffung von rund 80 Stellen hoch. Der gewählte Standort in Cazis /Realta ist optimal. Der Kanton verfügt über eigenes Land in ausreichendem Masse und betreibt dort bereits eine offene Justizvollzugsanstalt. So können Synergien bei der Energieversorgung genutzt werden und der bestehende Gutsbetrieb beliefert die Küche. Durch die Nähe zur psychiatrischen Klinik Beverin sind die ärztliche Betreuung und die Vornahme von Therapien vereinfacht möglich. Ebenfalls positiv ist die Nähe zu Chur, wo die Staatsanwaltschaft und die Gerichte ihren Sitz haben.


Besonderheiten bei Planung und Bau

Auch sonst war bei diesem Neubau schon in der Planungsphase einiges anders als bei anderen kantonalen Bauprojekten. Anstelle eines Projektwettbewerbs stellten sich die Generalplanerteams – nach einer durchgeführten Testplanung – einer Thesenkonkurrenz. Dabei sollte sich herausstellen, welches die richtigen Partner für die Planung sein würden. In der These des siegreichen Teams La Nicca – Architekten Jüngling und Hagmann, Chur – werden der Freizeit- und der Arbeitsbereich in klar getrennten Clustern organisiert und es werden Vorschläge ausgearbeitet, welche die aktuellen Trends im Strafvollzug berücksichtigen. Dabei erweitert das Sieger-Projekt «Step by Step», welches jetzt umgesetzt wird, die Anlage auf das gesamte Areal, das im Zonenplan reserviert ist, und passt die Umfassungsmauer der Topografie an. Architektonisch sind Mauer und Gebäude so gestaltet, dass sie sich in die Meliorationslandschaft von Realta – und speziell in die direkte Umgebung mit ihren landwirtschaftlichen und Justizvollzugs-Gebäuden – einbetten. «Die Justizvollzugsanstalt soll kein Fremdkörper, sondern Teil der Landschaft sein», heisst es dazu im Kommentar der Jury. Sowohl bei der Planung wie auch bei der Ausführung haben nur wenige einen vertieften Gesamtprojektüberblick. Je nach Tätigkeit haben die Projekt- und Baubeteiligten Strafregisterauszüge, Geheimhaltungserklärungen oder Ermächtigungen zur polizeilichen Personenüberprüfung abzugeben. Das Handling mit den Plänen erfolgt nach vorgegebenen Regeln. Mit dem Voranschreiten des Baus werden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, ein Zutritt ist für die Arbeiter nur mit Badge und nur durch die Kontrolle möglich. Natürlich ist es da auch nicht möglich, die Bauunternehmer während der Arbeit zu begleiten oder zu interviewen, denn sie dürfen aus Sicherheitsgründen zum Bau der Anstalt keine Informationen erteilen. 119 Millionen soll das Projekt kosten, im Herbst 2019 soll – nach intensiven integralen Tests – der Betrieb aufgenommen werden. Doch schon jetzt ist klar, dass die Kantone St. Gallen und Zürich eine grosse Zahl der neuen Insassenplätze von Realta dauerhaft belegen wollen.


Hinter dem Sicherheitszaun......und hinter dem Gefängnistor......entsteht eine ganze Stadt.

Markus Dünner leitet als Kantonsbaumeister das Hochbauamt des Kantons Graubünden. Als Baufachstelle des Kantons Graubünden vertritt diese Dienststelle die Interessen des Kantons als Immobilieneigentümer und -besitzer oder als Bauherrschaft und ist verantwortlich für alle Leistungen des Immobilienmanagements. Dieses umfasst die Strukturierung des Immobilienportfolios, die Planung, Realisierung und Bewirtschaftung von Immobilien sowie Beratungen. Markus Dünner studierte nach einer Lehre als Hochbauzeichner an der Fachhochschule Konstanz Architektur und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur Betriebswirtschaftsingenieur.


Markus Dünner