Bauen, das weiss Norbert Mathis nur zu gut, ist immer ein Eingriff in die Natur («Ein Einfamilienhaus im Grünen zum Beispiel finde ich problematisch»). Seine Haltung ist unmissverständlich. «Es ist eigentlich absurd, welche Ressourcen wir verbrauchen, nur um zu wohnen.» Dann fällt das Allerweltswort «Nachhaltigkeit». Bewusst habe er es erstmals 1996 während einer Vorlesung in Betriebswirtschaft gehört. Und in der Lehre? Nichts. Als Hochbauzeichner? Nichts. Im «Abendtechnikum»? Nichts. Ökologische Fragestellungen hätten ihn aber immer interessiert. «Wir sind ein Teil dieser Welt und müssen sorgsam damit umgehen», sagt’s und liefert ein paar Stichworte, wie er als Architekt den ökologischen Fussabdruck optimieren kann: «Nahe Wege, sich möglichst mit eigener Muskelkraft fortbewegen, kleine Räume, vernünftig beheizt . . . für die Umwelt am besten aber wäre eh der Nicht-Bau, was aufgrund unserer klimatischen Bedingungen schwierig ist.» Baut man trotzdem, kann man «einen Teil der negativen Auswirkungen über das Material, die Energie oder schlicht über die Positionierung eines Gebäudes mindern.» Mit Folgen: «Denn», erklärt Mathis an diesem Junitag in seinem Churer Atelier, «was energetisch intelligent ist, kann architektonisch falsch sein.» Eine Konzession, die Norbert Mathis bei seinem eigenen Haus in Trin eingegangen ist. Aus ökologischen Gründen hat er die Ausrichtung des Firstes architektonisch bewusst «falsch» gesetzt.
Beim Blick aufs Ganze gibt es weder ein Primat der Ästhetik noch der Ökologie. Norbert Mathis plädiert für deren optimale Synthese. «Nur schön bauen genügt nicht. Der Architekt hat auch eine Verantwortung. Er baut in einem gesellschaftlichen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Kontext und weder in einem luft- und schon gar nicht in einem wertfreien Raum.» Ab und zu wird’s beim Bauen dann auch ganz pragmatisch: «Ökologie ist nicht billig.» Und so steht der Wille zur Nachhaltigkeit gelegentlich in Konkurrenz zu den finanziellen Möglichkeiten der Bauherrschaft. «Nur wegen der Nachhaltigkeit», findet Norbert Mathis, «darf man den Hausverstand nicht verlieren.» Hausverstand? Heisst das: Erlaubt ist, was individuell möglich ist? Nein, was die Vernunft befiehlt.
Man hört Norbert Mathis zu und fragt: Sind Sie ein Fundi? Er schaut den Fragenden kurz an: «NEIN! Das wäre dumm!» Allein schon die Fakten verlangen Flexibilität. «Zugegeben: Minergie-P ist der Rolls Royce unter den ökologischen Häusern», sagt Norbert Mathis und relativiert gleich: «Sowohl ihre Herstellung wie auch ein allfälliger Rückbau fressen viel graue Energie.» Also gelte es beim Bauen – zum zweiten Mal fällt das Wort, das wir bis zu diesem Frühsommer nicht gekannt haben – «den Hausverstand walten zu lassen». Dazu gehöre eben auch, «eine schlaue Balance zu finden zwischen Effizienz, Suffizienz, Ästhetik und Konstruktion.»
Am Schluss unseres Gespräches steht Norbert Mathis auf, holt von einem Tisch einen versteinerten Kopffüssler, 150 Millionen Jahre alt, und erklärt dem Besucher sichtlich begeistert dessen Form, entstanden durch unergründliche Gesetzmässigkeiten der Natur. Der Besucher hört und schaut und denkt sich: Norbert Mathis orientiert sich auch an der Natur, wenn er etwas in die Natur setzt. Was, denkt sich der Besucher, wäre wohl aus dem sportlichen Mitvierziger geworden, wenn nicht Architekt? Er fragt, Norbert Mathis zögert kurz, setzt zu einer Selbstbefragung an: «Wanderer?» Pause. «Ja, Wanderer! Mit eigener Muskelkraft unterwegs sein, das wäre eine Alternative.»