Mensch, Ort und Theater
Anders in Riom, dem Sitz des Origen Festivals. Oder doch nicht so anders? Der Ansatz, die Menschen im Ort, den Ort und das Theater zusammenzuführen, blieb auch beim Umbau der Scheune des Anwesens Sontga Crousch derselbe. Ursprünglich wurde das herrschaftliche Anwesen, zu welchem Haupthaus und Scheune gehören, von Lurintg Carisch gebaut. Carisch wanderte im 19. Jahrhundert nach Paris aus. Mit noblen Restaurants und teuren Liegenschaften erwirtschaftete er ein Vermögen. Mit dem Geld kehrte er nach Riom zurück, wo er die Sommerresidenz für seine Familie errichtete. Nach seinem Tod wurden Haus und Hof zum Feriendomizil der Menzinger Schwestern. Im Jahr 2011 verkauften sie es an das Kulturfestival.
Die Scheune als Spielstätte
Die schon im Jahr 2005 zum Theater ausgebaute Burg Riom und die temporären Bauten erlaubten Origen den Spielbetrieb im Sommer. Mit Sontga Crousch eröffnete sich die Möglichkeit zum Ganzjahrestheater. Beim Intendanten entstanden erste Gedanken zu einem Umbau: «Diese Scheune mit ihrer Atmosphäre, ihrem speziellen, durch die Holzdekorationen einfallenden Licht und ihren Symmetrien könnte ein Theater sein.» Das erste Projekt aus diesen Gedanken verfügte zwar über alle Funktionen eines Theaters, gerade aber die spezifische
Atmosphäre, von welcher der Raum lebt, war damit nicht zu erhalten. Giovanni Netzer suchte nach einer subtileren Vorgehensweise zum Umbau, engagierte Carmen Gasser und Remo Derungs von Gasser Derungs Architekten und bildete eine Baukommission. Das Team traf zwei Grundsatzentscheidungen: Zum einen sollten die beiden in der Scheune eingebauten Ställe und die darin liegenden Zwischenböden entfernt werden, um damit einen einzigen grossen Raum zu schaffen. Zum anderen sollte der Durchgang von der ehemaligen Scheune in den Pferdestall belassen und über diesem – verbunden mit einer Treppe – ein neuer Zwischenboden eingezogen werden. Entstanden sind ein zentraler Theaterraum, ein Foyer und darüber liegend ein weiterer Raum für kleinere Veranstaltungen – die ganzjährig bespielbare «Clavadeira».
Nichts tun, was zerstören könnte
Ganz wichtig war es Giovanni Netzer, für den Umbau aus der kollektiven Erinnerung des Dorfes heraus eine reduzierte Sprache zu finden. «Die Scheune soll nicht die Echtheit von damals darstellen, sondern ein Gefäss sein, um Geschichten zu erzählen», sagt er. Dies in einer spezifisch theatralischen Form, in welcher sich Zuschauer und Schauspieler vermischen. Diese sanfte Transformation einer bäuerlichen Struktur in eine kulturelle zu führen, die wiederum vom Ort inspiriert ist, hiess auch: Möglichst nichts zu tun, was die Raumstimmung hätte zerstören können. So wurde das alte Mauerwerk, welches über die Jahrzehnte eine eigene Patina angesetzt hatte, belassen, ebenso der Flusskieselboden im Foyer. Die Holzlamellen wurden mit einer Aussenverglasung versehen, um im Innenraum die Licht- und die akustische Qualität zu erhalten. Damit das Theater auch im Winter bespielbar ist, wurde eine Fussbodenheizung eingezogen sowie das Dach neu isoliert. Im Saal selbst wurden 210 Sitze auf drei Bankstufen um eine quadratische Spielfläche eingebaut. «Was die Scheune ausgemacht hat, konnten wir erhalten, respektive verstärken. Der Theaterraum hat eine ganz eigene Magie erhalten», sagt Giovanni Netzer nach der ersten Winterspielzeit. Inzwischen wurde das Wintertheater innerhalb der Vergabe des «Award Marketing & Architektur 2016» als eines von sieben Objekten in der ganzen Schweiz mit einem Kategorienpreis prämiert. Weitergehen soll es in Sontga Crousch nun mit der Restaurierung der Flusskieselpflästerung im Hof des Anwesens, die während der Bauarbeiten unverhofft gefunden wurde. Sie soll wiederhergestellt werden.