Ruinelli Associati Architetti SIA ist inzwischen ein Fünf-Personen-Büro, seit 2000 mit Fernando Giovanoli als Partner. Und sie setzen im Bergell architektonische Zeichen. Es entstanden Einfamilienhäuser, ein Fotostudio, ein Bauernhof, eine Turnhalle, eine Schreinerei; sie renovierten die Dorfkirche von Soglio, sie bauten Ställe aus und Hotels um, und sie erstellten Zweitwohnungen. «Die Kleinräumigkeit des Bergells», sagt Ruinelli, «hat uns vieles ermöglicht und gleichzeitig dazu gezwungen, uns in diese Themen hinein- und über die hiesige Gesellschaft nachzudenken.» Zeugnis dieser Denkarbeit sind zahlreiche nationale wie internationale Auszeichnungen sowie Publikationen. Ihre Arbeit in der Region hatte auch Wirkung in die Welt: Zurzeit entstehen in Mecklenburg-Vorpommern ein Einfamilienhaus und ein Atelier nach einem Entwurf von Ruinelli & Co. Und Armando Ruinelli wird in Jurys berufen, zu Gastkritiken oder Gastprofessuren eingeladen. Der Erfolg ermöglichte den Ausbruch aus der drohenden Enge.
Armando Ruinelli, ein Insider mit dem Blick von aussen. Am grossen Zeichentisch in seinem Atelier spielt er auf der Klaviatur seiner Biografie, schlägt hier einen Ton an, lässt dort einen aus. Wir tasten uns vom Kleinen ins Grössere, vom Dorf ins Tal und fragen: Wie steht es ums Bergell? Armando Ruinelli sagt: «Jetzt stossen wir auf des Pudels Kern.» Seine sibyllinische Antwort: «Ehrlich gesagt: gut, aber auch nicht so gut.»
Was folgt, ist kein Lamento, eher ein Herantasten – auch nach einer möglichen Antwort auf die Grundsatzfrage: «Wer will in einem so kleinen Tal leben, wer hält das aus?» Das allerdings ist kein spezifisches Bergeller Thema. Es überzieht vielmehr den gesamten Alpenraum. «Deshalb muss man das Bergell nicht gleich neu denken», findet Ruinelli. Es genüge, ein paar «heilige Sachen» zu überdenken. Zum Beispiel: «Wie entwickelt man verdichtete und über das ISOS-Inventar geschützte Haufendörfer, in denen 30 Prozent der Bauten ungenutzt sind?» Und dann spitzt Ruinelli zu: «Was geschieht, wenn man diese Dörfer entdichtet?»
Ruinelli setzt das Wort, wiederholt es: e-n-t-d-i-c-h-t-e-n. Ein Wortspiel mit tieferer Bedeutung. Wieder schwimmen Fragen obenauf: «Weshalb kann man bestimmte Ställe in der Kernzone nicht abbrechen, um neuen Raum zu schaffen – für eine Bocciabahn oder was immer?» Oder noch verwegener: «Weshalb einem Stall in der Kernzone nicht das Dach kappen, um einen Hochgarten zu schaffen?» Ein Tabubruch! Das weiss auch Ruinelli, aber diese Frage ist gleichzeitig auch ein programmatischer Fingerzeig: Entdichten, um nicht in der Dichte zu ersticken.
Ruinelli plädiert nicht für einen Hauruck-Eingriff in bestehende Substanz. Der Prozess der Entdichtung müsse vielmehr «intelligent und mit Bedacht geschehen». Impulse erhofft sich Ruinelli von einer «Sommerakademie». Seine Vision: «Architekturprofessoren kommen mit Studenten ins Bergell, studieren das Thema der Dorfentwicklung und machen Vorschläge. Danach zieht die Karawane mit wechselnden Dozenten an einen anderen Ort, es entstehen neue Impulse . . .» Erste Vorgespräche mit Universitäten hätten bereits stattgefunden.
Eine einstige Vision ist seit über zehn Jahren Wirklichkeit: Die Fondazione Villa Garbald in Castasegna, die eng mit der ETH Zürich zusammenarbeitet. Seit 2004 ist die Villa Garbald mit ihrem modernen Annexbau nicht nur ein architektonisches Highlight, sondern auch ein Ort für Retraiten und Workshops in einem wissenschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Kontext, der das Bergell mit Leben und Anregung beseelt.