Abos!

VERBORGENES BIJOU HINTER ALTEM HOLZ.

Einen alten Stall zu erben, ist das eine. Ihn so umzubauen, dass er nicht zur rein romantisierenden Kulisse verkommt, ist das andere. In Scharans hat Jolanda Fazzone zusammen mit dem Architekturbüro Gasser Derungs mit viel Sorgfalt die Strukturen eines rund 200-jährigen Stalles mit einer zeitgenössischen Wohnsituation verbunden. Entstanden ist ein Haus im Stall oder – ein Stallhaus. 


Text: Maya Höneisen

Bilder: Mathias Kunfermann

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Man könnte glatt daran vorbeigehen. Die grossen Lauben sind wie dazumal. Auf den Bruchsteinmauern ruht das alte, von Wind und Sonne verwitterte Holz mit den ausgeschnitzten Ornamenten. Mauern und Holz schützten einst die Kühe. Fast würde man erwarten, dass gleich ein Bauer seinen Heuwagen rückwärts über die Rampe zur Heubühne manövriert, um nach Sommer und Kräutern duftendes Futter für den Winter abzuladen. Ein alter Stall, in der Zeit zurückgedacht für Mensch und Tier ein wichtiges Gebäude und Teil der bäuerlichen Dorfstruktur. Nichts lässt auf den ersten Blick vermuten, dass sich heute in diesem Stall ein kleines Wohnhaus versteckt. Erst die Verglasung des Scheunentors am Ende der Rampe deutet auf dahinter liegende moderne Wohnräume hin. Ins Haus gelangt man aber nicht etwa durch dieses Tor. Den Eingang ins Haus bildet eine der beiden ursprünglichen Stalltüren im Erdgeschoss. Und da steht Jolanda Fazzone. Mit einem freundlichen Lächeln bittet sie die Gäste ins Haus. Sie sei in Scharans aufgewachsen, viele Jahre aber weg gewesen, erzählt sie. Ein bisschen schlug aber ihr Herz stets für das Bündner Dorf im Domleschg. Etwas da in Scharans zu haben, was der emotionalen Bindung entgegenkommt, blieb immer ihr Wunsch. Bis – ja, bis sie den ?rund 200-jährigen Stall von ihren Grosseltern erbte. Das war der ?Moment, der diesen Traum real werden liess. Sie beschloss, sich diesen zu ihrem kleinen, persönlichen Refugium zu machen. ?Abseits von der Hektik der Grossstadt, wo sie wochentags ihrer ?Arbeit im Kulturbereich nachgeht.


Von aussen präsentiert sich der alte Stall unverändert, auch wenn darin neu ein Wohnhaus untergebracht ist.

Alt und neu verbinden

«Ich habe lange nach Architekten gesucht mit Verständnis für hiesige regionale Begebenheiten, die wertschätzend und sensibel mit alter Baukultur umgehen. Dies ohne eigene Vorstellung davon, wie das Haus respektive der Stall schlussendlich aussehen sollte», erzählt sie nun am Küchentisch weiter. Auf das Architektenteam Gasser Derungs sei sie schliesslich durch den zum Theater umgebauten Stall in Riom gestossen. «Der Respekt gegenüber der Struktur war von unserer Seite her von Anfang an da», erklärt Remo Derungs, der sich mit an den Tisch gesetzt hat. «Dann war es eine sehr schlüssige und pragmatische Herangehensweise, denn wie man darin leben soll, sofern man denn darin wohnen will, sagt der Stall. Also blieben Fragen nach der Anzahl von Zimmern und Abläufen eigentlich sekundär.» Bereits nach den ersten Entwürfen und Modellen war Jolanda Fazzone klar: «Das muss es sein», wobei bereits zu diesem Zeitpunkt ihre Wünsche möglichst berücksichtigt worden waren. So etwa ein Gästezimmer und ein offener Wohn-, Koch- und Essbereich. Vor allem aber sollte der Charakter des Stalls aussen und innen kompromisslos respektiert werden. Gleichzeitig sollte in dessen Bestand eine neue Raumdefinition und ?damit eine neue zeitgenössische Wohnsituation geschaffen werden, die mit dem alten Bestand eine Verbindung eingeht. Um dem entgegenzukommen, stellte das Architektenteam von Gasser ?Derungs, nach der Entfernung des alten Heubodens, vier unterschiedlich grosse, miteinander verbundene Kuben in die klassische Stallstruktur. Durch ihre Zurücksetzung in den ursprünglichen Raum führen sie dazu, dass es warme und kalte Räume gibt. Gleichzeitig geben sie durch die Sicht auf die Bruchsteinmauern und die Deckenbalken den Kontakt zum Stall und verbinden so die neue Atmosphäre mit der alten. Im Erdgeschoss befinden sich der erste Kubus mit Entrée, Garderobe und Waschküche sowie ein zweiter mit dem gewünschten Gästezimmer mit eigenem Bad. Ebenso sind die Haustechnik und die Heizung, eine Luft-Wärmepumpe, in einer Box eingesetzt. Dazwischen lassen die kalten Räume den alten Stall fühlbar werden. Eine Treppe aus unbehandeltem Beton als Anlehnung an den Bruchstein und die Archaik des Stalles führt in den auf die unteren Kuben aufgesetzten grössten Kubus. Hier befinden sich Küche, Essbereich, Wohnraum, eine Spensa und ein weiteres Schlafzimmer mit Bad. Letzteres gibt durch eine Verglasung nach oben den Blick frei in die Giebelbalken. Die alte Bausubstanz wurde, ebenfalls begleitet vom Architektenteam, sorgfältig restauriert.


Stilvoll sind alte und neue Materialien und Elemente  miteinander verbunden.Vom Erdgeschoss führt eine ungeschliffene Betontreppe in den Wohnkubus im ersten Stock.

Ein intensiver Prozess

«Von den Entwürfen bis zu den Materialien war es ein intensiver Prozess, auch mit Rückschlägen», erinnert sich Jolanda Fazzone. «Es brauchte viel Vorstellungsvermögen für mich, eine grosse ?Herausforderung.» Und weiter: «Wir haben deshalb viel bemustert und visualisiert. Bezüglich der Materialität ist das aber nur ein ?Ansatz. Man kann wohl den Raum, aber nicht die Atmosphäre erfassen.» Bedenken hatte sie zwischendurch wegen der Holz-flächen, denn das Innenleben ihres neuen Heims sollte keinesfalls rustikal werden. Auch dafür fanden die Architekten eine Lösung. Die Fenster wurden in Lärchenrahmen eingepasst. Die Räume wirken leicht und modern durch die weiss geölte Esche. Die Kuben passen sich mit der dunklen Lasierung zurückhaltend in die Hülle ein. Die geschliffenen Betonböden geben wiederum eine Referenz an den Bruchstein, das neue Holz eine an das alte. Für genügend Tageslicht im Wohnbereich sorgt das ehemalige, verglaste Scheunentor, das sich weit öffnen lässt. Neue Fensteröffnungen wurden nicht eingesetzt. Das hätte den Charakter des Stalls zerstört. Wobei ein punktueller Eingriff erfolgt ist. In der Küche wurde vom Restaurator eine Öffnung in der bestehenden Bretterwand vorgenommen. Eines der Bretter lässt sich nun je nach Bedarf ?öffnen und schliessen. Geschlossen ist dieser Eingriff aber kaum sichtbar.  

«Wir arbeiteten Schritt für Schritt», erklärt Remo Derungs. «Solange wie möglich wurde jeder Entscheid offen gelassen. Erst wenn er nötig war, kam der nächste Schritt.» Dass der Umbau ohne Termindruck realisiert werden konnte, war für beide Parteien ein grosser Vorteil. «Es gab immer genügend Zeit, um sorgfältig zu planen, was schliesslich auch der Qualität zugutegekommen ist», sind beide überzeugt. Für Jolanda Fazzone war dies auf jeden Fall die optimale Vorgehensweise: «Für mich war dieser Weg der richtige. Ich fühle mich heute sehr wohl mit der Atmosphäre, den Materialien und den Strukturen.»

 

Baubeginn: Herbst 2015
Bezug: Anfang 2017
Nettowohnfläche: 110 m2
Mauerwerk: Bruchstein mit klassischen Eckpfeilern
Heizung: Luft-Wärmepumpe, zusätzlicher Specksteinofen im Wohn-Essbereich


Die alten Holzelemente des Stalles blieben bestehen und sorgen durch den Lichteinfall  für ein einmaliges Ambiente.Die Verglasung des ehemaligen Scheunentors versorgt den Wohnraum mit genügend Tageslicht. Klare Linien und warmes Holz ergänzen  sich perfekt.