Abos!

SPÄTE PASSION.

Ein Schicksalsschlag öffnete ihr den Blick für die Schönheit der Berge und weckte die Leidenschaft fürs Malen: Ursina Beeli aus Tschappina.


Text: Maya Höneisen

Bilder: Alice Das Neves

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Golden leuchten die Bergspitzen, kantige Schrunden und Felsen liegen im Schatten. Der Himmel ist unendliches Blau. Ein Hauch von Stille und Ewigkeit liegt über dem Bild. Es hat eine Strahlkraft, die unter die Haut kriecht, die leise und demütig macht, staunen lässt ob der Erhabenheit der Berge und der Natur. Das Bild hängt im Dachstock eines Hauses in Tschappina. Davor steht Ursina Beeli. «Ich wohnte 50 Jahre lang in den Bergen, bevor ich sie als etwas Spezielles wahrgenommen habe», sagt sie. Dann lag ein Kind im Sterben und alles wurde anders.


Pinselauswahl – die Qual der Wahl...

Der Berg vor der Haustüre

Ursprünglich stammt Ursina Beeli aus einer Bauernfamilie aus Furna im Prättigau. «Ganz oben am Hang. Es war ein stotziges Heimetli.» Schon als Kind mussten sie und ihr Bruder auf dem Betrieb mithelfen. Ferien, Hobbys, Freizeit gab es damals nicht. Auch wenn es ein karges Leben war, der Vater legte Wert auf die Ausbildung seiner Kinder. Beide durften die Sekundarschule in Schiers besuchen, was damals nicht unbedingt üblich war. Da eine Postautoverbindung zu dieser Zeit fehlte, blieben die beiden Schulkinder die ganze Woche über in Schiers, was für die Familie eine finanzielle Belastung bedeutete. Ursina Beeli aber war glücklich, denn das ermöglichte ihr die anschliessende Ausbildung zu ihrem Traumberuf als Krankenschwester im Kantonsspital in Chur.

«Nach der Ausbildung lief mir Leo, ein Bergbauer, über den Weg», erzählt Ursina Beeli weiter schmunzelnd. Zwei Jahre später heiratete sie ihn und zog zu ihm an den Heinzenberg. Hier ragte der Piz Beverin direkt vor ihrer Haustüre in den Himmel. «Ich sah ihn gar nicht, spürte ihn bloss, weil im Winter die Sonne nicht darüber hinwegschien. Das fand ich nicht so toll», denkt sie zurück. Auch in Tschappina gab es mehr als genug zu tun. Auf dem Hof mussten alle kräftig mit anpacken, nach und nach kamen die drei Kinder dazu, und über all die Jahre wurden regelmässig Feriengäste beherbergt. Sie kamen von überall her und brachten ferne Städte und Länder nach Tschappina. Leo und Ursina Beeli schätzten die Abwechslung und knüpften viele bleibende Kontakte.   


Vertiefte Arbeit am Piz Beverin; dreiteiliges Bild «Drilling».Farbmischung nach Art des Hauses.Klein, aber fein: In Ursina Beelis «Atelier» in Tschappina lässt es sich kreativ sein.

Wenn plötzlich die Berge leuchten

Leo Beeli war 52 Jahre alt, als die beiden den Hof an den ältesten Sohn übergaben. Es hiess für die beiden, in einer neuen Situation neu zu starten. Ursina Beeli nahm wieder eine Stelle in der Pflege im Altersheim Thusis an. Leo war jeweils den Sommer über auf der Alp. «Vor etwa 15 Jahren kamen dann körperliche Baustellen, die Operationen erforderten», erzählt Ursina Beeli weiter. Die harte Arbeit hatte ihre Spuren hinterlassen. «Es ging mir nicht sehr gut.» Ungefähr in der gleichen Zeitspanne und innerhalb von eineinhalb Jahren starben drei Familienmitglieder. Ursina Beelis Vater verunglückte tödlich in den Bergen, ihre Schwiegermutter starb – und dann war da dieses Enkelkind. Es lag im Sterben. Die Trauer legte das Leben beinahe still. Nach all den Jahren der harten Arbeit und diesen Schicksalsschlägen hatte Ursina Beeli keine Kraft mehr, wurde krank und rastlos. Sie wusste, dass sie etwas an ihrem Leben ändern musste, aber sie wusste nicht wie. Sie ging spazieren, dachte, das würde helfen. «Ich versuchte, zu verstehen und zu verarbeiten», sagt sie.

Oft setzte sie sich in dieser Zeit oberhalb ihres Weilers vor einen alten Stall. «In einem dieser Momente, es war im März, sah ich plötzlich die Berge leuchten. Zum ersten Mal nahm ich sie wirklich wahr. Ich sah das Licht, den Glanz, die Schatten, die Schrunden und Felsen.» Sie war fasziniert und zugleich getröstet. Ihr wurde klar, dass der Schöpfer dieser gewaltigen Bergwelt auch die Wege der Menschen in seiner Hand haben musste. «Es musste so weit kommen», sagt sie heute. «Alles musste zum Stillstand kommen, damit ich neue Wege gehen konnte.»


Sorgfältig bereitet Ursina Beeli die Farben zu.Detailarbeit am Berg.Grossformatiges Ölbild «Piz Beverin».

Die Malerei: Hingabe und Heilung

Ursina Beeli besuchte in der Folge einen Malkurs. In den ers­ten Lektionen malte sie ein Bild mit einer Blume. Blau der Hintergrund, die Blume gelb. «Als ich den ersten gelben Pinselstrich auf die blaue Farbe auftrug, hatte ich die Gewissheit, dass das das Richtige sei für mich.» In einen zweiten Kurs brachte sie ein Bild des Piz Beverin mit. Daran scheiterte sie aber, der Berg war zu anspruchsvoll. Ursina Beeli war überzeugt: «Berge malen, das mach ich nie mehr.» Aber der Hausberg Beverin hatte die Faszination für die Bergmalerei bereits geweckt. Zu hause im stillen Kämmerlein verfolgte sie die Kunst autodidaktisch weiter. Es war Leidenschaft, Hingabe und Heilung zugleich.

Ausgerüstet mit Fotokamera und begleitet von ihrem Mann Leo ist Ursina Beeli jeweils unterwegs, um die verschiedensten Stimmungen der Bergwelt aufzunehmen. «Mit Vorliebe schaue ich auf die Lichtverhältnisse und auf Wetter­situationen», erzählt sie. Die Fotografien setzt sie
anschliessend zu Hause in der Malerei um.


Biancograt: Öl auf Leinwand, 140?x?80 cmSilvrettagruppe: Öl auf Leinwand, 120?x?40 cm«Erster Frost am Pascuminsee»: Öl auf Leinwand, 100?x?80?cm

Bis heute hat Ursina Beeli über hundert Bilder gemalt, auch grossformatige. Auf allen lässt sie die Berge in allen Schattierungen, zu allen Jahres- und Tageszeiten auf der Leinwand leuchten. Würde sie ihr Leben nochmals von vorne beginnen können, so würde sie alles nochmals genauso machen, sagt sie. «Ich würde weder die schönen noch die schweren Momente missen, aber ich würde früher mit dem Malen beginnen.»


Ursina Beeli aus Tschappina