Abos!

KRIMINALISTISCH UNTWEGS.

Sie graben dort aus, wo Fundstellen bedroht sind oder zerstört werden, sie untersuchen, bevor historisch wertvolle Gebäude abgerissen oder umgebaut werden, und sie leisten Hilfestellung, wo restauriert wird – die Mitarbeitenden vom Archäologischen Dienst Graubünden. Sie sind Kriminalistin und Bauarbeiter in einem, bewahren die Funde auf und vermitteln das Verständnis für das reiche Erbe Graubündens.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Alice Das Neves

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Ob beim händischen Ausgraben mit der Kelle, beim akribischen Dokumentieren mit Papier und Stift, oder neuerdings auch bei der digitalen Arbeit mit der Drohne, der Begriff «Dienst» steht im Vordergrund der Arbeiten. Das zeigt die Kampagne, die das dreiköpfige Team von Archäologin Yolanda Sereina Alther von Mai bis Juli 2019 im Nordtrakt der Burg Neu-Aspermont, oberhalb von Jenins, durchführte. Wie fast immer arbeitete das Team dabei unter Zeitdruck. Das Gerüst stand bereits, vom 4. bis zum 10. August war die Arbeitswoche des Burgenvereins Graubünden geplant, wo die teilweise einsturzgefährdeten Teile der Burg saniert werden sollten.

Was verloren geht

Dabei geht bei einer Sanierung notgedrungen immer auch ein Teil der historischen Bausubstanz unwiederbringlich verloren. Denn zum Schutz der Mauer werden die abbruchgefährdeten Steine weggenommen und es wird an der Mauerkrone ein etwa 50 cm hohes Stück aufgemauert – teilweise mit Steinen, welche im Lauf der Zeit hinunterstürzten oder die man aus Sicherheitsgründen entfernte, und natürlich mit neuen, spezifisch auf das Objekt abgestimmten Mörteln. Das Original «verschwindet» also in diesem Bereich durch die baulichen Massnahmen. Doch bevor dies auf Neu-Aspermont geschah, stellten sich Yolanda Alther, Annina Krüttli und Fabrizio Salvi in den Dienst der inzwischen über 800-jährigen Geschichte der Burg, indem sie den Bau – und insbesondere den Nordtrakt – erforschten.


Archäologin Yolanda Alther nimmt den Nordtrakt mit dem Tachymeter auf.

Was bleibt

Denn alles, was die Archäologen vor einer Sanierung oder einem Abriss untersuchen und dokumentieren können, wird für die Ewigkeit aufgehoben und kann – auch in 500 Jahren – wieder hervorgeholt, neu interpretiert und als Basis für die Forschung verwendet werden. Deshalb arbeitet das Team von Yolanda Alther nicht nur mit Lot und Winkel, Schaufel und Pickel, sondern vor allem mit Zeichenstift und Tachymeter. In der Bauforschung geht es zuerst einmal darum, den Ist-Zustand zu dokumentieren. Mit fotogrammetrischen Aufnahmen oder – etwa dort, wo das nicht möglich ist – mit dem Zeichenstift. Dabei wird jeder Stein, jede Fuge, jedes Verputzstück abgebildet.

Zuerst wird der Zustand vor dem Eingriff fotografisch dokumentiert – inklusive der Bäume, die auf der Mauerkrone wuchern, mit allen Moosen und Gräsern, die in den Mauerritzen wachsen. Danach wird die Mauer mit dem Staubsauger und Feinwerkzeugen gereinigt. Schutt und Staub werden entfernt, ebenso die Pflanzen. Auch der gereinigte Zustand wird wiederum dokumentiert. Dies geschieht, ohne dass Hypothesen aufgestellt werden. Im Gegenteil: «Wir sind zeitlos unterwegs!», sagt Yolanda Alther. Erst nachdem alle Befunde aufgenommen sind und nach Vergleichen – etwa von Mörteln oder von verwendeten Materialien – lässt sich eine relative Abfolge der Befunde und damit eine Baugeschichte festlegen.


Annina Krüttli beim Vermessen.Auf der Zeichnung ergibt sich plätzlich ein Bild der zugemauerten Zinnen.Diese Tür war einmal breiter.Beim Ausmass für die genaue Zeichnung.

Ein Bild entsteht

Dabei entsteht nicht nur eine eindruckgebietende Dokumentation mit Plänen, Fotografien und teilweise kolorierten technischen Zeichnungen der Bauphasen. Es entsteht nach und nach auch ein Bild – fast wie man es von einer kriminologischen Untersuchung kennt. Es zeigt sich eine Reihe von Gerüsthebellöchern, dort, wo einst die Erbauer der Burg ihr Gerüst festmachten, es kommen Mauerzinnen zum Vorschein, welche im Laufe der Jahrhunderte zugemauert worden waren. Schiessscharten wurden in kriegerischen Zeiten errichtet, Fenster vermauert oder verbreitert. Unter geraden Fensterstürzen entstanden runde Bogen, zum Heizen wurde ein Ofen eingebaut und ein Kaminzug in die Mauer ein­gelassen. Man findet einen Armbrustbolzen, der noch im Mauerwerk steckt, und archiviert ihn. Auf dem Plan bekommt er eine Positionsnummer und wird als Befund beschrieben. Der Bolzen selbst wird untersucht und kommt dann in den Kulturgüterschutzraum Haldenstein, die Funde werden erfasst und in einer Datenbank aufgelistet.


Von Neu-Aspermont hat man das Rheintal im Blick.

Beschreiben statt erklären

Einiges ist auch am Ende der Kampagne noch nicht erklärt und manches bleibt im Dunkeln. So fanden die Archäologinnen in den Balkenauflagen Knochenstücke von Tieren. Dienten sie einer Abwehrmagie oder sind es die Reste eines brausenden Festmahls? Wer weiss. Vielleicht wird es die Zukunft zeigen. Anderes dagegen klärt sich. Einige der Balkenreste wurden durch das Dendrolabor des Archäologischen Dienstes untersucht und siehe da, der Vergleich der Jahrringe zeigt: Das Holz in der Deckenstruktur des Palas wurde zwischen 1234 und 1238 gefällt. Das gibt einen ersten Anhaltspunkt, wann der Palas erbaut worden ist.


Dokumentationen publizieren

Nach Abschluss der Kampagne steht das ganze Material dann jenen zur Verfügung, welche weiterarbeiten oder die ebenfalls ein Interesse an der Burg haben. Das sind der Architekt, der das Projekt leitet, der Burgenverein Graubünden, der zusammen mit Bauberater Christian Stoffel von der Denkmalpflege die Burg saniert, die Baufirma, die ebenfalls rund um die Burg arbeitet. Es können aber auch andere Forscher sein. So hat die Denkmalpflege bei der Burg Neu-Aspermont auch Barbara Beckett von der Hochschule der Künste Bern beigezogen, wo sich Studierende im Rahmen ihrer Masterarbeiten mit Konservierung und Restaurierung der Burg befassen. Sie machen Klimamessungen, untersuchen, wie der Mörtel auf Feuchtigkeit reagiert, und erarbeiten dann Konzepte, wie man die Burg restaurieren kann.


Mathias Seifert beim Präparieren der Balkenabschnitte.Unter dem Mikroskop werden die Jahrringbreiten ausgemessen.Nach dem Abtrag haudünner Späne sind die Jahrringe bereit für die Messungen.

Den Wert erhalten

Die Burgruine steht als A-Objekt auf der Kulturgüterschutz­liste des Bundes. Deshalb, so Christian Stoffel, ist das Projekt für die Denkmalpflege unterstützungswürdig. Zudem soll die Burg auch kommenden Generationen als authentisches Zeugnis bewahrt werden – und dies eben möglichst mit ihrer historischen Substanz. «Der Wert einer historischen Bausubstanz wird oft missachtet», so Stoffel, dabei sei die historische Bauweise ökologisch und nachhaltig, weshalb sie so authentisch wie möglich erhalten werden sollte. Ausgegrabene Teile einer Anlage werden mit einem Vlies bedeckt und wieder zugeschüttet. Dort, wo sie gezeigt werden sollen, wie etwa die Mauerstrukturen auf Hohen Rätien, müssen sie natürlich entsprechend durch Bauten geschützt werden.


Unterwegs

Doch wenn die Bauarbeiten beginnen oder die Sanierungsmassnahmen weitergehen, ist das Team vom Archäologischen Dienst schon weitergezogen. Mit dem Bauwagen und dem Pick-up geht es zur nächsten Baustelle, wo etwas zu verschwinden droht. Archäologen arbeiten unter Zeitdruck, damit es wegen der Untersuchungen im Baufortschritt nicht zu Verzögerungen kommt. Gerade, wenn ein Haus in einer archäologischen Zone gebaut wird oder wenn es historisch von Bedeutung ist, wird der Archäologische Dienst im Voraus gerufen. Die Arbeiten werden bereits beim Bauprogramm mit eingerechnet und die Archäologie spricht sich vorher mit der Bauherrschaft ab, um eine Lösung zu finden. Aber manchmal weist auch «Kommissar Zufall» den Archäologen den Weg. Bei Arbeiten neben einer Kirche wird «etwas» gefunden; während man den Graben für eine neue Leitung aufreisst oder eine Baugrube öffnet, kommen Schätze zutage; bei einem Umbau wird ein «alter» Balken freigelegt und der Hausbesitzer will wissen, von wann denn sein Haus ist.

Auch hier stellt sich die Archäologie in den Dienst der Bevölkerung. So kann man etwa Holz vom eigenen Haus, aber auch Möbelstücke im Dendrolabor untersuchen lassen. Weiter werden Boden- und Bauuntersuchungen durchgeführt, es gibt Luftbild-Dokumentationen, und wenn diese Untersuchungen abgeschlossen sind, so werden Funde und Dokumentationen bewahrt, Archive geführt und die gewonnenen Daten ausgewertet. All dies geschieht im Dienste der Allgemeinheit, damit die Erkenntnisse dereinst vermittelt werden können – in Publikationen oder in archäologischen Schutzbauten, wie etwa im Welschdörfli oder in St. Stephan in Chur. Auch auf Neu-Aspermont soll man das archäologische Erbe Graubündens schon bald wieder live besuchen können. Schliesslich führt der Burgenweg zum beliebten Ausflugsziel und sensationellen Aussichtspunkt hoch über Jenins.



Weitere Informationen zum Archäologischen Dienst Graubünden
www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/ekud/afk/adg

Zur Denkmalpflege Graubünden
www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/ekud/afk/dpg