Abos!

ERHALTEN UND ?WIEDERHERSTELLEN.

1907 wurde nach den Plänen von Nikolaus Hartmann ?mit dem Bau begonnen – 430 000 Franken sollte die Ausführung des Baus kosten. Die Bauleitung hatte das Hochbaubüro der RhB. 1908 konnten die Räume im Erdgeschoss bezogen werden, 1909 wurden das Direktionszimmer und der Verwaltungsratssaal mit «Kunstgetäfel» aus Arvenholz geschmückt – und 2015 bis 2017 wurde das inzwischen unter Schutz gestellte Verwaltungsgebäude für rund sechs Millionen Franken nach den Plänen von Vincenzo Cangemi restauriert und ?an die modernen Bedürfnisse angepasst.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Ralph Feiner; Mathias Kunfermann

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«Vorwärts, aufwärts!», so steht es über dem Eingang zum Verwaltungsgebäude der Rhätischen Bahn in Chur. Das Motto aus der Belle Époque ist hier seit 110 Jahren in Stein gemeisselt und bildet einen spannenden Kontrast zum Horaz-Motto auf der ebenso alten Standuhr, welche im kunstvoll mit Arvenholz ausgestatteten Direktionsbüro die Stunden schlägt: «Lebe und bedenke die Kürze des Daseins.» Man könnte also sagen, am 1907 von Nicolaus Hartmann geplanten Gebäude ist kaum etwas dem Zufall überlassen – weder die üppige Phantasie der Ornamente im Treppenhaus noch die Wandmalereien von Christian Conradin im Sitzungssaal des Verwaltungsrats, welch die Entwicklung der Verkehrsmittel in Graubünden zeigen.


Repräsentative Wirkung

Als die Direktion der Rhätischen Bahn Anfang des 20. Jahrhunderts entschied, aus der Villa Planta, die heute das Bündner Kunstmuseum beherbergt, auszuziehen und auf dem 3400 m2 grossen Grundstück gleich daneben neu zu bauen, platzte nicht nur das alte Chur aus seinen Nähten, auch die Eisenbahn in Graubünden startete im wahrsten Sinne des Wortes durch. Von Jahr zu Jahr kamen neue Linien zur Bahn, mit Hunderten von Tunnels und Brücken wurden auch die abgelegenen Orte Graubündens für den Personen- und Frachtverkehr erschlossen. Heute gelten viele dieser Bauten als Kulturerbe – die Albula- und die Berninalinie gehören sogar zum UNESCO-Welterbe. Und natürlich ist auch das Verwaltungsgebäude der Bahn ein national geschütztes Baudenkmal.

Denn der damals gerade mal 27-jährige Architekt Hartmann aus dem Engadin hatte – ganz im Sinne der Wirkungsarchitektur – eine Anlage geschaffen, die Pracht entfaltet und Eindruck machen soll. Durch eine imposante Portalanlage tritt man in den Garten, der heute mit einem Parkhaus unterkellert ist. Über diese Hauptachse geht man auf einen der mächtigsten Zeugen des Bündner Heimatstils zu. Das Gebäude ist – zusammen mit der Villa Planta, dem Neubau des Kunstmuseums und dem Grossrats­gebäude im Stil der Neorenaissance – Teil der prachtvollen Stadtanlage vor der ehemaligen Stadtmauer. Wer hier also etwas an neue Bedürfnisse anpassen will, muss eng mit der Denkmalpflege zusammenarbeiten.


Zeitgemässe Bedürfnisse

Obwohl die Räume des Verwaltungsgebäudes noch heute grosszügig wirken, entsprach vieles nicht mehr den Anforderungen an ein modernes Büro. Die Haustechnik, die elektrischen Leitungen, die Akustik – all das sollte vollständig erneuert werden. Gleichzeitig wollte man das Gebäude an die Fernwärme Chur anschliessen, um das Gebäude mit der Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlage von Trimmis heizen zu können. Für Niculin Vital, Leiter Hochbauten der RhB, und sein Team eine spezielle Aufgabe. Denn ihre Kolleginnen und Kollegen sollten sich im massigen Gebäude wohl fühlen und die Räume darin für ihre Arbeit als attraktive Büros nutzen. Vom Frühjahr 2015 bis zum Herbst 2017 wurde das Gebäudeinnere durch Cangemi Architekten, Chur, gesamthaft restauriert. Vincenzo Cangemi berichtet von der Restauration und von den besonderen Herausforderungen dieser Aufgabenstellung: «Es ist eine Aufgabe, die wir mit sehr viel Respekt angegangen sind, denn die Bausubstanz war zum grössten Teil original erhalten. Einzig 1989 gab es eine Sanierung mit Veränderungen am Gebäude durch das Architekturbüro Brosi.» Das Hauptthema war es, alles zu erhalten, was original war. «Wir haben wirklich restauriert, und zwar so, dass alles Neue, was wir machten, nicht auffällt.» So waren zum Beispiel die Bodenbeläge nicht mehr original erhalten. Hier machte das Architekturbüro ein Konzept übers ganze Haus. Die Böden wurden alle rückgebaut und die konzipierten Änderungen alle konsequent über das ganze Haus angewendet.


Seit mehr als 100 Jahren repräsentiert das Verwaltungsgebäude die Rhätische Bahn in der Stadtlandschaft von Chur.Auf der Rückseite wurde die Umgebung auf Strassenniveau gebracht.Die Korridore werden als Flächen genutzt.

Restauriert und rückgebaut

Dasselbe war es, so Cangemi, bei den Akustikdecken. In den Räumen gab es zwar Massnahmen zur Verbesserung, aber jeder Raum hatte verschiedene Akustikdecken. Auch hier wurden die Decken neu gezeichnet und das Konzept übers ganze Haus angewendet. Ebenso herausfordernd war der Einbau der zeit­gemässen Haustechnik – also konkret von Heizung, Lüftung und Elektroleitungen. «Wie können wir diese Leitungen im Haus versorgen, ohne dass es ersichtlich wird? Vier vertikale Steigzonen – je zwei in jedem Flügel – erschliessen das Gebäude vom Keller bis ins Estrichgeschoss. Die Verteilungen horizontal für die Erschliessung der Haustechnik wurden in die Akustikdecken integriert. Bei den Wänden wurde einiges rückgebaut, was später ergänzt worden war. An allen Wänden wurden einheitliche Glasfasertapeten angebracht. So konnte man beides – die Haustechnik unterbringen und zugleich einheitliche Oberflächen schaffen.»

Tatsächlich sind die Oberflächen im Gebäude jetzt neu – sowohl Decken wie auch Böden und Wände. Doch dies geschah so unauffällig, dass die bauphysikalischen Anforderungen erfüllt werden und es gleichzeitig nicht als Eingriff wahrgenommen wird.

Bei der Empfangszone im Eingangsbereich griff man in die Struktur ein, indem man ein Büro zum Empfang umfunktionierte. Die grosszügigen Korridore können ohne bauliche Veränderungen, aber feuerpolizeilich kompatibel als Flächen genutzt werden, nicht mehr bloss als Fluchtwege. «Die Möbel in den Verkehrs­flächen wurden neu gezeichnet. Dort, wo 1989 schon eingegriffen worden war, haben wir tiefer eingegriffen», sagt Cangemi. «Im ersten Dachgeschoss haben wir die Grundrisse korrigiert und die Materialisierung der Räume den unteren Geschossen entsprechend angepasst. Im zweiten Dachgeschoss entstand im Mitteltrakt ein grosszügiger Aufenthaltsraum fürs
Personal. Die Estrichräume des Nord- und des Südflügels beherbergen neu die Haustechnikzentralen. In einem Flügel ist auch die gesamte Lüftungsanlage untergebracht, es gibt im Haus jetzt teilweise kontrollierte Lüftung.»

Einige feine Korrekturen seien auch an den Fassaden gemacht worden – das meiste davon aber eher als Rückbau. So wurde zum Beispiel auf der Seite Zeughaus­strasse die Heizanlage ab­ge­brochen, der unterirdische Öltank wurde durch die Fern­wärmeleitung überflüssig. «So konnten wir die Umgebung hier auf Strassenniveau mit dem Kunst­hausplatz zurückbringen, der gleich daneben liegt. So, dass sich der Aussenraum von Kunsthaus und Verwaltungsgebäude stufenlos verbindet.» Diese Lösungen seien in Besprechungen mit den Verantwortlichen des Bündner Kunstmuseums gefunden worden. «Neu ist der Garten auch von hinten her wieder zugänglich, so, wie es ursprünglich war. Dazu wurden durch Cangemi Architekten neue Gartentore gezeichnet.» All das sei möglichst bescheiden, möglichst nicht auffällig, aber trotzdem mit einer zeitgemässen Architektur­sprache geschehen. «Es soll zur Struktur dazugehören. Wir ordnen uns der Gestaltung, die wertvoll ist, unter und integrieren uns in dieses Bild.»


Das Direktionsbüro als Arvenstube. Der Fries im Verwaltungsratssaal zeigt Bündner Verkehrsgeschichte.Der stilgerechte Aufenthaltsraum im zweiten Dachgeschoss.

Harmonisch

Schon beim Bau des Verwaltungsgebäudes waren einige Räume mit Arve getäfert worden, da man dem Arvenholz harmonisierende Wirkung zuschrieb und weil dieses Holz aus Graubünden stammt. Doch mit der Restaurierung hat sich für die Mitarbeitenden im Gebäude noch weit mehr zum Besseren verändert. Wo es früher kalt und zugig und im Sommer heiss war, herrschen jetzt ganzjährig angenehme Temperaturen. Auch in den grossen Büros kann man, dank der neuen Akustikdecken, ungestört arbeiten. Der Aufenthaltsraum im Dachgeschoss und die neu nutzbaren Verkehrsflächen in den Korridoren bieten die Möglichkeit, miteinander zu sprechen, einen Kaffee zu trinken und Pause zu machen. Und das grosse, repräsentative Treppenhaus mit seinen reich­haltigen bildhauerischen Details? Es sorgt dafür, dass man sich begegnet und vieles auf dem kurzen Dienstweg lösen kann.

 

Bauherr: Rhätische Bahn AG, Chur
Gesamtprojektleitung: Niculin Vital

Architekt: Vincenzo Cangemi, Chur
Projektleitung: Franziska Furger


Das 1. Dachgeschoss wurde in Material und Grundrissen angepasst.Spezielle Akustikdecke im hellen Grossraumbüro des Hochbaus.

Vincenzo Cangemi

Studierte Architektur in Lugano und diplomierte 1993 bei Professor O. Pampuri. Anschliessend arbeitete Vincenzo Cangemi (*1968 in Chur) sechs Jahre lang als Projektleiter im Architekturbüro D. Jüngling und A. Hagmann in Chur. Seit 1999 führt er sein eigenes Architekturbüro Cangemi Architekten in Chur und ist in den Bereichen Architektur, Planung, Gestaltung, Bauleitung und Begleitung von Planungswettbewerben tätig. Von 2006 bis 2008 war er Präsident des Schweizerischen Werkbundes, Ortsgruppe Graubünden. Seit 2013 ist er Dozent für Konstruktionslehre und Mitglied der Baukommission sowie der Inventarkommission der Stadt Chur, seit 2016 ist er Dozent an der FHO Fachhochschule Ostschweiz, Chur. Er ist auch regelmässig als Gastkritiker an Hochschulen im In- und Ausland tätig.


Christian Florin

Christian Florin (*1965 in Schiers) absolvierte nach einer Tiefbauzeichnerlehre in Chur die Fachhochschule für Bauingenieurwesen in Rapperswil. Anschliessend promovierte er an der ETH Zürich zum Bauingenieur ETH. Nach ersten Tätigkeiten in Zürich in einem renommierten Brückenbau-Ingenieurbüro und einer Anstellung als Assistent an der ETH Zürich in der Abteilung für Architekturwesen kehrte er 1996 nach Graubünden zurück. Dort arbeitete er als Projektleiter in einem Churer Ingenieurbüro vor allem im Brückenbau, bevor er 2005 zur Rhätischen Bahn wechselte und als Leiter Infrastruktur und Mitglied der Geschäftsleitung die Verantwortung für sämtliche Bauvorhaben der RhB übernahm. Nebenamtlich hat er über mehrere Jahre an den Fachhochschulen Rapperswil und Chur im Bauwesen unterrichtet. Seit 2012 ist er zudem stellvertretender Direktor der Rhätischen Bahn.


Vincenzo Cangemi (links) mit Christian Florin im Foyer des Verwaltungsgebäudes der Rhätischen Bahn.