«Vorwärts, aufwärts!», so steht es über dem Eingang zum Verwaltungsgebäude der Rhätischen Bahn in Chur. Das Motto aus der Belle Époque ist hier seit 110 Jahren in Stein gemeisselt und bildet einen spannenden Kontrast zum Horaz-Motto auf der ebenso alten Standuhr, welche im kunstvoll mit Arvenholz ausgestatteten Direktionsbüro die Stunden schlägt: «Lebe und bedenke die Kürze des Daseins.» Man könnte also sagen, am 1907 von Nicolaus Hartmann geplanten Gebäude ist kaum etwas dem Zufall überlassen – weder die üppige Phantasie der Ornamente im Treppenhaus noch die Wandmalereien von Christian Conradin im Sitzungssaal des Verwaltungsrats, welch die Entwicklung der Verkehrsmittel in Graubünden zeigen.
Repräsentative Wirkung
Als die Direktion der Rhätischen Bahn Anfang des 20. Jahrhunderts entschied, aus der Villa Planta, die heute das Bündner Kunstmuseum beherbergt, auszuziehen und auf dem 3400 m2 grossen Grundstück gleich daneben neu zu bauen, platzte nicht nur das alte Chur aus seinen Nähten, auch die Eisenbahn in Graubünden startete im wahrsten Sinne des Wortes durch. Von Jahr zu Jahr kamen neue Linien zur Bahn, mit Hunderten von Tunnels und Brücken wurden auch die abgelegenen Orte Graubündens für den Personen- und Frachtverkehr erschlossen. Heute gelten viele dieser Bauten als Kulturerbe – die Albula- und die Berninalinie gehören sogar zum UNESCO-Welterbe. Und natürlich ist auch das Verwaltungsgebäude der Bahn ein national geschütztes Baudenkmal.
Denn der damals gerade mal 27-jährige Architekt Hartmann aus dem Engadin hatte – ganz im Sinne der Wirkungsarchitektur – eine Anlage geschaffen, die Pracht entfaltet und Eindruck machen soll. Durch eine imposante Portalanlage tritt man in den Garten, der heute mit einem Parkhaus unterkellert ist. Über diese Hauptachse geht man auf einen der mächtigsten Zeugen des Bündner Heimatstils zu. Das Gebäude ist – zusammen mit der Villa Planta, dem Neubau des Kunstmuseums und dem Grossratsgebäude im Stil der Neorenaissance – Teil der prachtvollen Stadtanlage vor der ehemaligen Stadtmauer. Wer hier also etwas an neue Bedürfnisse anpassen will, muss eng mit der Denkmalpflege zusammenarbeiten.
Zeitgemässe Bedürfnisse
Obwohl die Räume des Verwaltungsgebäudes noch heute grosszügig wirken, entsprach vieles nicht mehr den Anforderungen an ein modernes Büro. Die Haustechnik, die elektrischen Leitungen, die Akustik – all das sollte vollständig erneuert werden. Gleichzeitig wollte man das Gebäude an die Fernwärme Chur anschliessen, um das Gebäude mit der Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlage von Trimmis heizen zu können. Für Niculin Vital, Leiter Hochbauten der RhB, und sein Team eine spezielle Aufgabe. Denn ihre Kolleginnen und Kollegen sollten sich im massigen Gebäude wohl fühlen und die Räume darin für ihre Arbeit als attraktive Büros nutzen. Vom Frühjahr 2015 bis zum Herbst 2017 wurde das Gebäudeinnere durch Cangemi Architekten, Chur, gesamthaft restauriert. Vincenzo Cangemi berichtet von der Restauration und von den besonderen Herausforderungen dieser Aufgabenstellung: «Es ist eine Aufgabe, die wir mit sehr viel Respekt angegangen sind, denn die Bausubstanz war zum grössten Teil original erhalten. Einzig 1989 gab es eine Sanierung mit Veränderungen am Gebäude durch das Architekturbüro Brosi.» Das Hauptthema war es, alles zu erhalten, was original war. «Wir haben wirklich restauriert, und zwar so, dass alles Neue, was wir machten, nicht auffällt.» So waren zum Beispiel die Bodenbeläge nicht mehr original erhalten. Hier machte das Architekturbüro ein Konzept übers ganze Haus. Die Böden wurden alle rückgebaut und die konzipierten Änderungen alle konsequent über das ganze Haus angewendet.