Abos!

EINE NEUE VERBINDUNG.

«In allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch», schrieb Goethe. Mit Blick auf Laax und seinen neuen Baumwipfelpfad, welcher Laax Dorf mit Murschetg verbindet, müsste er nun schreiben: «Zwischen den Wipfeln ist Erlebniswelt.» CUBATURA Graubünden sprach mit Reto Durisch vom Architekturbüro Hofmann & Durisch in Flims über die Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Architekten und mit dem Projektleiter Maurus Cavigelli vom Revierforstamt Sagogn-Laax über den Wald als Erlebnisort.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Philipp Ruggli

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Mit dem Bau der Waldhütte Salums Sura bewiesen Reto Durisch und sein Team von Hofmann & Durisch, dass sie im Wald sorgfältig bauen können. Entstanden ist ein Begegnungsort für rund 60 Personen mit einer kleinen Küche und sanitären Anlagen, der über die Gemeinde Laax gemietet werden kann.

Beim neuen Projekt, welches Hofmann & Durisch mit der Gemeinde Laax realisieren durften, ging es um nichts weniger als um ein interaktives Erlebnis in der Natur.

 

Die «Senda dil Dragun»

Es ist wohl kein Zufall, dass die neue Attraktion von Laax sich «Drachenweg» nennt. Denn dieser Weg, auf dem Gross und Klein von Laax-Murschetg zu Fuss nach Laax Dorf gelangen, schlängelt sich als Steg über 1,6 Kilometer durch die Baumwipfel und ist damit der längste Baumwipfelpfad der Welt. Am Anfang und am Schluss stehen zwei Türme, dazwischen sind vier Plattformen mit Sitzmöglichkeiten gestaltet, aber im Gegensatz zur Waldhütte, wo die moderne Architektur in den Wald gebracht wurde, steht hier die Architektur ganz im Dienste der Ingenieure und Geometer.


Akzente gesetzt

«Normal schreibt der Architekt vor, wie ein Bauwerk auszu­sehen hat», sagt Reto Durisch. «Hier aber legte Clemens Arpagaus von Clarplan GmbH, der leitende Ingenieur in diesem Projekt, fest, wos langgeht und wie es realisiert werden kann. Wir durften es nachher verfeinern – zum Beispiel mit dem Turm in Murschetg, um den sich eine 70 Meter lange Chromstahlrutschbahn windet wie im Märchen ‹Hans und die Bohnenranke›. Der Turm besteht aus einem Betonkern mit Lift, um den die Rutschbahn konstruiert ist, und darum herum die Holzbinder für die Plattformen.» Arno Deplazes von Hofmann & Durisch sorgte für die gute Architektur. «Wir suchten eine Architektur, welche auch die Bevölkerung anspricht», sagt Reto Durisch. «Das führte zum Erfolg bei der Waldhütte, und es wird auch beim Baumwipfelpfad so sein.» Das ging von den insgesamt 3,2 Kilometern Handlauf über die Wahl der Geländernetze bis zu den Schwertern zwischen den statischen Hölzern. Sie sollten auch von unten schön anzusehen sein. Die vier Plattformen wurden ähnlich wie der Hochsitz von Jägern gestaltet, denn dort kann man verweilen. Eine der Plattformen gibts mit Fernrohr, eine ist mit einem Loch zum Runterschauen gestaltet. Der Weg startet im Rocksresort, wo ebenfalls bereits architektonisch Akzente gesetzt sind. «Wir wollten das Bauwerk mit einfachen Mitteln in die Landschaft einfügen und es so konstruieren, dass es auch im Unterhalt funktioniert.»


In den Wipfeln geht es von Murschetg zum See von Laax.Die Stützen sind mit Bohrankern schonend im Waldboden befestigt.

Einheimische Wertschöpfung

Der Pfad ist ja nicht nur eine neue Infrastruktur, sondern auch ein touristisches Produkt. Deshalb wurden auch die Aufträge lokal vergeben. «Für uns als junges Architekturteam ist der Pfad eine wichtige Referenz in der Region, wir sind stolz, dass wir ihn realisieren durften», so Durisch. Das Holz stammt aus dem einheimischen Wald. «Zwar ist Lärche dauerhafter als einheimische Fichte, aber das Einheimische ist bei diesem Projekt wichtiger. Der Handlauf und die Elemente aus Fichte können durch die Forstgruppe Sagogn-Laax ausgewechselt werden, sobald das nötig wird. Dafür verwendeten wir am Fuss des Geländers feuerverzinkte Abweiser als markantes Detail, damit das Netz beim Schneeräumen nicht beschädigt wird.» So ist die Architektur keineswegs banal, aber es wurde von den Kosten her reduziert. «Die Architektur in diesem kupierten Gelände ist auch deshalb spannend, weil der Weg maximal sechs Prozent Steigung und Neigung aufweisen darf, damit er auch behindertengerecht ist. Zuerst musste also der Geometer den Weg so vermessen, dass er trotz Terrain und Bäumen realisierbar wurde. Danach entstanden in einem zweiten Schritt die Fundamente mit Mikropfählen. Für die Stützen wurden – wie schon bei der Waldhütte – Rundholzstämme aus dem einheimischen Wald geschlagen, dieses Konstruktionsholz wurde in einer regionalen Sägerei eingeschnitten. Auch der Gehbelag aus einheimischer Fichte stammt aus der Region.» Revierförster Maurus Cavigelli sagt stolz: «Wir konnten 1000 m3 Holz aus eigenem Wald nutzen. Die Gemeinde legte Wert darauf, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt. Einheimisches Holz, das hier verarbeitet und verbaut wird. Das ist heutzutage nicht mehr das Übliche. Es wird zwar oft mit Holz gebaut, doch dieses wird in vielen Fällen im Ausland verarbeitet oder es kommt sogar von dort. Bei diesem Projekt mit regionalen Handwerkern und Firmen blieb der grösste Teil der 7,5 Millionen Franken Investitionskosten als Wertschöpfung in der Region.»


Entstehung Baumwipfelpfad LaaxEntstehung Baumwipfelpfad LaaxEntstehung Baumwipfelpfad LaaxEntstehung Baumwipfelpfad LaaxEntstehung Baumwipfelpfad LaaxEntstehung Baumwipfelpfad LaaxDank der Berechnung des Geometers führt der Pfad durch die Wipfel und hat eine sanfte Neigung.

Schonend gebaut

Cavigelli betont, dass der Pfad schonend in den Wald gebaut wurde. «Es ist alles auf Stützen, wir haben versucht, den Waldboden so wenig wie möglich zu beschädigen. Die Bohranker sind eine feine Bauweise, so kam es kaum zu Erdverschiebungen im Wald. Darunter wachsen die Pflanzen weiter, die Tiere können weiter unter dem Pfad durchgehen. Das ist ein Vorteil. Und die Besucher, die oben in den Wipfeln gehen, sind kanalisiert – das können die Wildtiere schnell einschätzen, dass diese für sie keine Gefahr darstellen.» Die Besucher – auch wenn sie in Strömen kommen – stören weniger, als wenn sie etwa mit Hunden links und rechts vom Weg abweichen, wenn sie durch den Wald schweifen. Zwar wurde hier weitgehend ausserhalb der Bauzone gebaut. «Aber der Eingriff hält sich im Rahmen», so Cavigelli. «Da der Pfad nicht weit vom Siedlungsgebiet gebaut wurde, wo schon vorher Wege und Bauten bestanden, ist auch die Störung für die Natur nie so gross, wie wenn man so einen Baumwipfelpfad im Grosswald realisiert hätte. Hier hatten wir den Vorteil der Nähe, es gab schon Wanderwege, Winterwanderwege und auch Skilifte, und doch geht man da durch den Wald, wo es ein bisschen ruhiger ist. Deshalb wurde das Projekt aus Sicht der Ämter auch bewilligt.»


Touristen und Einheimische

Entstanden ist zuerst einmal eine Infrastruktur, wo Einheimische und Touristen den Wald erleben. Die Grundidee des Gemeindepräsidenten Franz Gschwend war es, die zwei Dorfteile von Laax – also Murschetg und Laax Dorf – über den Baumwipfelpfad zu verbinden. Das bringt auch die Einheimischen dazu, diesen Pfad zu nutzen. Die Weisse Arena übernimmt den Betrieb des Pfades und kann ihn so als touristisches Angebot vermarkten, das heisst: Es wird Eintritt verlangt, Zweitwohnungsbesitzer und Einheimische bezahlen einen reduzierten Preis. Dafür wird die Weisse Arena den Pfad bespielen. Es wurde in Zusammenarbeit mit Linard Bardill die Geschichte vom «Senda dil Dragun» geschaffen. Für die Kinder wird Edutainment geboten, der Bergsturz ist ein Drache, der sich über die Gegend legt, für Erwachsene gibt es dann – ebenfalls als digitales Edutainment – die geografische Erklärung. Auf dem Pfad erfahren sie, wie durch den Bergsturz das Gebiet mit Rheinschlucht und Caumasee entstand. Denn vieles von diesem geologischen Ereignis ist aus den Baumwipfeln heraus auch zu sehen.


Mit 1,6 Kilometern ist der neue Pfad eine Sommer- und Winterattraktion für den Tourismus von Laax. Elemente aus einheimischer Fichte bilden den Baumwipfelpfad.

Mehr erleben

Touristisch ist in Laax vieles auf Murschetg konzentriert, durch den Pfad wächst das Dorf jetzt stärker zusammen. Denn damit sind – im Sommer wie im Winter – auch die Attraktionen von Laax Dorf erreichbar. Für Förster Cavigelli ist neben dem Edutainment mit Augmented Reality aber auch das Erlebnis Baumkrone lohnenswert: «Wenn man erhöht durch den Wald läuft, ergibt das eine neue, andere Sichtweise auf die Bäume. Man kann den Wald aus einem anderen Blickwinkel anschauen, das ist spannend. Der Pfad führt durch verschiedene Waldtypen, man durchläuft zuerst einen dichten Fichtenwald, dann einen ebenso dichten Fichten-/Tannenwald mit Buchen- und Laubholz, was es sonst bei uns weniger gibt, und kommt dann in einen trockenen Erika-/Föhrenwald. Das sind sehr unterschiedliche Waldtypen und diesen Wechsel, diese Veränderung kann man gut sehen. Dazu geniesst man die abwechslungsreiche Aussicht auf die Berglandschaft, auf den Laaxersee und auf das Dorf. Zudem hört man hier die Vögel pfeifen, man sieht mal ein Eichhörnchen und – etwa morgens, wenns noch
ruhig ist – mit etwas Glück auch Rehe auf den Wiesen zwischen den Bäumen.»

Rechtzeitig auf die Sommersaison 2021 – wo wiederum viele Schweizer in die Berge drängen – bietet der Pfad ein spezielles Erlebnis und ergänzt das Angebot der Tourismusregion, insbesondere im Sommer, der touristisch immer wichtiger wird. Zudem kann dieses Angebot sommers wie winters genutzt werden und es ist – obwohl europaweit bereits mehrere Baumwipfelpfade entstanden sind –  in der Schweiz nach dem in Mogelsberg erst der zweite Pfad und zudem der weltweit längste. «Er passt», da ist Cavigelli überzeugt, «gut in die Landschaft und wird die Besucher anziehen.» Und es mussten dafür keine Waldstücke gerodet werden. Vielmehr wird der Pfad schon bald selbst ein Teil des Waldes sein.


Der Turm in Murschetg mit der 70 Meter langen Chromstahlrutschbahn.Baumwipfelpfad in Laax