Abos!

DIE FASSADE ALS ENERGIELIEFERANT.

An der Unteren Plessurstrasse in Chur realisierte das Architekturbüro Robert Albertin ein Mehrfamilienhaus. An sich nichts Ungewöhnliches für einen Architekten. Das Spezielle bei diesem Haus ist aber die energiespendende Fassade und die vertikale Begrünung.


Text: Maya Höneisen

Bilder: Ingo Rasp

Zurück zur Übersicht

Innovative Energiesysteme, ein intelligenter Umgang mit Ressourcen und der Einsatz von erneuerbaren Energien sind ein Muss für Bauherrschaft und Architekten, um die Klimaziele 2050 zu erreichen. Neue Denkweisen und Ansätze sind deshalb gefragt. Auf dem Areal der Gärtnerei Urech an der Unteren Plessurstrasse in Chur wurde ein den Klimazielen entsprechendes Konzept in einem Mehrfamilienhaus umgesetzt. Das Gebäude wurde mit einer energiespendenden Fassade und einer vertikalen Begrünung ausgestattet.


Komplexe Vorgaben

«Wir haben uns viel Zeit genommen und uns zusammen mit der Bauherrschaft – der Familie Felix Urech – die Frage gestellt, wie dieses Haus gebaut werden sollte», erklärt der Architekt Robert Albertin. Aus der Diskussion heraus entstand der Wunsch, nachhaltig zu bauen. Von Beginn weg war klar, dass man Minergie P als Grundlevel festlegen wollte, eines der höchsten Levels, mit welchen heute gebaut wird. Im Laufe des Planungsprozesses wurde dann entschieden, eine Photovoltaik-Fassade zu errichten und die Gebäude­seite mit reduzierter Sonne für den ökologischen Ausgleich zu begrünen. Letzteres auch als Bindeglied zur Firma Urech Garten. Klar war auch, dass Rücksicht geboten war auf die Gärtnerei, die Fläche auf dem Areal beanspruchte. Die Stellung des Hauses hat sich vor allem daraus ergeben.
Entsprechend nahe steht das Gebäude heute an der Unteren Plessurstrasse. Eine weitere Rahmenbedingung war die Garagenabfahrt. Sie musste so geplant werden, dass auch eine hinter dem neuen Gebäude liegende Liegenschaft noch erschlossen wäre. Dies im Falle, dass
die Treibhäuser zu einem späteren Zeitpunkt abgerissen würden.


Die Planung des Hauses verlangte eine Verbindung zur dahinterliegenden Gärtnerei.Nicht nur das Walmdach war Grund für die Fassade, auch der klimagerechte Anspruch war wichtig.

Fassaden-Elemente prädestiniert für Graubünden


In einem ersten Wurf wurde für die Photovoltaik-Anlage ein Flachdach geplant. «Das wäre eine konventionelle Lösung gewesen», erklärt Robert Albertin. Leider war das baugesetzlich nicht möglich. Als Lösung bot sich ein Walmdach an, das wiederum die Nutzfläche für Photovoltaik eingrenzte. Das ergab für Bauherrschaft und Architekt den ausschlaggebenden Grund, Photovoltaik-Elemente an der Fassade einzusetzen. «Gerade bei uns im Kanton Graubünden sind Fassaden-Anlagen prädestiniert, weil wir längere Winter haben, in denen in höheren Lagen der Schnee auf den Dächern liegen bleibt. Zudem ist der Sonnenstand im Winter zwangsläufig tief», erklärt der Architekt. Gemeinsam mit der Bauherrschaft hat sich das Architekturbüro für die Firma Eternit AG als Produzenten der Fassaden-Anlage am Mehrfamilienhaus entschieden. Die Eternit AG verfügt über eine eigene Abteilung für Solar, die handliche und leichte Solarzellen entwickelt. Das heisst, der Unterbau bleibt konventionell. Hinter den Panels sind Isolation und Mauerwerk aus Backstein und Beton und nur die Oberfläche ist mit Photovoltaik-Elementen ausgestattet.


Optimale Ausrichtung als Herausforderung

Die Solarzellen der Eternit AG sind als Normgrösse vorge­geben. Das bedeutete eine spezielle Herausforderung in der Planung der Geometrie des Gebäudes. Eine weitere war, dass man per se die grössten Fensteröffnungen nach Süden oder Südwesten ausrichten will, auf der anderen Seite aber, gleich ausgerichtet, die grössten Flächen für die Photovoltaik-Anlage braucht. Denn optimal viel Energie ist nur durch die direkteste Sonneneinstrahlung auf die Panels zu gewinnen. «Diese Balance zu finden, war nicht ganz einfach», erzählt Robert Albertin. Zudem musste die Beschattung durch die Balkone berücksichtigt werden, die ebenfalls einen Minderwert auf die Panels gibt. Es hiess also, zu optimieren, damit die Planung optisch wie auch grafisch stimmt. Dies immer unter der Vorgabe der Masse der Photovoltaik-Platten. Und natürlich bestand zusätzlich auch ein ästhetischer Anspruch. «Gerade diese Symbiose aus Architektur und Nachhaltigkeit war für uns in der Umsetzung sehr spannend», hält Robert Albertin fest.


 Die Beschattung durch die Balkone musste berücksichtigt werden.

Kühlung mit Pflanzen

Zum Konzept gehörte auch die Begrünung an der West- und Nordfassade. «Der Wärmeschutz ist heute im Sommer fast wichtiger als im Winter. Heisse Sommertage heizen die Fassaden auf», erklärt der Architekt. «Die Begrünung wirkt als Filter, ein ökologischer Effekt, der dem Klima hilft.» Tatsächlich ist nachgewiesen, dass damit in stark bebauten Siedlungen, zum Beispiel in Grossstädten, bis zu vier Grad Celsius Kühlung erreicht werden kann. Beim Mehrfamilienhaus Urech, das mitten im Grünen steht, habe die bepflanzte Fassade eher einen dekorativen Charakter und einen Bezug zur Gärtnerei, hält Robert Albertin fest. Der Firma Urech Garten, welche neben dem klassischen Gartenbau vertikale Begrünungsoptionen im Innen- und Aussenbereich anbietet, ist es gelungen, aufzuzeigen, wie Fassen- und Innen­räume stilvoll vertikal begrünt werden können. Was die Fassadenbegrünung dem Mikroklima bringt, kann Robert Albertin noch nicht sagen. Es sei durchaus möglich, dass es für Insekten und Schmetterlinge Lebensraum bedeute.


Konstruktive Zusammenarbeit

Für Kopfzerbrechen sorgte nebst der Photovoltaik-Fassade das Walmdach aus vorfabrizierten Holzelementen. «Wir hatten Respekt vor der Neigung des Daches und befürchteten, dass es den Innenräumen zu viel Fläche nimmt», sagt Robert Albertin. Dadurch, dass es sehr steil ist, ergab sich aber keine Beeinträchtigung des Wohnkomforts. Eher gegenteilig: «Aus dem Müssen konnten wir etwas Schönes mit einem speziellen Wohngefühl machen. Das grosse Fenster nach Südwesten und die grosszügigen Lukarnen funktionieren zusammen perfekt.»

Wie viel Energie nun die Photovoltaik-Anlage abgibt, kann Robert Albertin noch nicht sagen. Das Haus wurde im letzten Herbst fertiggestellt. Die Erfahrung reicht also erst über einen Winter. Welche Leistung die Solarzellen im Sommer erbringen, steht noch aus. Grob rechnet der Architekt übers Jahr mit 30 bis 40 Prozent des Eigenbedarfs. Über Smart-Green wird die Bauherrschaft künftig messen, wann wie viel Strom produziert wird. Ein erster Überblick wird in zwei bis drei Jahren möglich sein.

Für Robert Albertin war die Zusammenarbeit mit der Familie Felix Urech sehr konstruktiv. Die Ziele seien immer bei allen dieselben gewesen. Schon früh hätten sie festgestellt, dass Vorstellungen sich ergänzen würden, erzählt er. Obwohl auf Seiten der Bauherrschaft fünf Parteien beteiligt waren, fielen stets gemeinsame Familien-Entscheide. «Für mich war das nicht selbstverständlich. Ich habe das sehr geschätzt und war sehr dankbar dafür.»


Vertikale Begrünungen wirken auch im Innenbereich stilvoll.

Kennzahlen

Bauherrschaft: Familie Felix Urech, Chur
Architekten: Albertin Architekten, Haldenstein
Mitarbeiterin: Melissa Meier
Bauzeit: Oktober 2019 bis November 2020
Anzahl Wohnungen: 7
Anzahl Geschosse: 3
Kubatur: 5500 m3
Heizsystem: Erdsonde


Fenster und Lukarnen harmonieren perfekt.