Abos!

DER WAKKERPREIS IST EIN ANSPORN, UM IN DIE ZUKUNFT ZU BLICKEN.

Der Architekt Armando Ruinelli ist in Soglio geboren. Seit bald vierzig Jahren arbeitet er auch dort. Er kennt das Tal und seine Menschen und weiss, wo der Schuh drückt. Ein Besuch im Bergell und ein Gespräch: Über seine Arbeit, seine Visionen und was er sich vom Wakkerpreis 2015 fürs Tal erhofft.

Text: Marco Guetg
Bilder: Ralph Feiner, Raymond Meier, Ruinelli Associati

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Martial fährt ins Bergell. In Maloja angekommen, blickt der Protagonist in Walther Kauers Roman «Tellereisen» von der Passhöhe hinunter ins Tal und fühlt sich gleich in eine andere Welt versetzt: «So viel Licht konnte es gar nicht geben, wie hier auf jeden einstürmt, der auf der ersten Stufe der Treppe steht, die vom Engadin nach Italien hinunter führt.»

Weniger euphorische Worte entlockte Jahre zuvor der Blick vom gleichen Ort dem Dichter Rainer Maria Rilke (1875 – 1926). «Ahnungslos, wie ich es geografisch bin», schreibt er im August 1918 einer Freundin, «hatte ich mir auch vorgestellt, auf ein offenes Italien hinunterzuschauen.» Doch nichts davon! Rilke war vielmehr enttäuscht, «dass auch da noch Berge im Wege sind» und mokierte sich über die dominierende Granit-Phalanx und ihr «Grosstun den ganzen Tag».

Das Bergell. Sehnsuchtsort. Heimat der Giacomettis. Verbindungskorridor. Lichtzauber. Dichterrefugium. Kletterparadies . . .  Die Wahrheit liegt wohl in der Mischung und wird letztlich vor allem von jenen erlebt, die dort leben – der Architekt Armando Ruinelli, 61-jährig, gehört dazu. Er wohnt und arbeitet in Soglio, nachdem er ausgeflogen war: 1970 fuhr er nach Zürich, lernte Hochbauzeichner und kehrte 1976 in sein Heimatdorf zurück, «um nachzudenken, wie es weiter gehen soll.» Das Resultat seines reflexiven Zwischenstopps? Die Antwort liefert der Ort, an dem Armando Ruinelli Bruchstücke seiner Biografie Revue passieren lässt: Wir befinden uns in seinem Atelier mitten in Soglio. Denn Armando Ruinelli kam, dachte nach und blieb. Heute sagt er: «Ich bin nicht unglücklich darüber.»

Am Anfang war eine Mauer. Der Gemeindepräsident drückte dem zukunftsoffe­n­en­ Zeichner Ruinelli einen Zettel in die Hand mit den Massen und Materialien für eine Mauer auf dem Friedhof. Ruinelli zeichnete. Später bat ihn die Gemeinde um ein Häuschen. Ruinelli zeichnete, aber in einem Anflug architektonischer Autonomie «ein bisschen, wie ich wollte». Dann kam die Wende. 1986 schrieb die Gemeinde einen Ministudienauftrag aus. Ruinellis Projekt wurde auserkoren, er aber warf seinen eigenen Vorschlag gleich über den Haufen und machte sich an Neues. Geweckt war damit definitiv sein Interesse am Entwurf. Wenig später wünschte sich erstmals ein «Auswärtiger» ein Haus. Das war dann die Geburtsstunde des Architekten Ruinelli. Ruinelli baute 1987/88 im Dorf ein Atelier. Es kamen weitere Aufträge. Anregungen holte sich der Autodidakt von aussen: auf Reisen, durch Schauen und Lesen, vor allem aber auch durch den Kontakt mit dem Basler Architekten Michael Alder, der in den 1980er-Jahren in Soglio mit Studenten die Studie «Soglio. Siedlungen und Bauten» erstellte. Ruinelli half mit und es öffneten sich ihm Welten. «Die Methodik typologischer Aufnahme, das Befragen von Raum, Konstruktion, Material, die Suche nach Struktur und Proportion – das war meine Schule, der Glücksfall meines beruflichen Weges.»

Ruinelli Associati Architetti SIA ist inzwischen ein Fünf-Personen-Büro, seit 2000 mit Fernando Giovanoli als Partner. Und sie setzen im Bergell architektonische Zeichen. Es entstanden Einfamilienhäuser, ein Fotostudio, ein Bauernhof, eine Turnhalle, eine Schreinerei; sie renovierten die Dorfkirche von Soglio, sie bauten Ställe aus und Hotels um, und sie erstellten Zweitwohnungen. «Die Kleinräumigkeit des Bergells», sagt Ruinelli, «hat uns vieles ermöglicht und gleichzeitig dazu gezwungen, uns in diese Themen hinein- und über die hiesige Gesellschaft nachzudenken.» Zeugnis dieser Denkarbeit sind zahlreiche nationale wie internationale Auszeichnungen sowie Publikationen. Ihre Arbeit in der Region hatte auch Wirkung in die Welt: Zurzeit entstehen in Mecklenburg-Vorpommern ein Einfamilienhaus und ein Atelier nach einem Entwurf von Ruinelli & Co. Und Armando Ruinelli wird in Jurys berufen, zu Gast­kritiken oder Gastprofessuren eingeladen. Der Erfolg ermöglichte den Ausbruch aus der drohenden Enge.
 
Armando Ruinelli, ein Insider mit dem Blick von aussen. Am grossen Zeichentisch in seinem Atelier spielt er auf der Klaviatur seiner Biografie, schlägt hier einen Ton an, lässt dort einen aus. Wir tasten uns vom Kleinen ins Grössere, vom Dorf ins Tal und fragen: Wie steht es ums Bergell? Armando Ruinelli sagt: «Jetzt stossen wir auf des Pudels Kern.» Seine sibyllinische Antwort: «Ehrlich gesagt: gut, aber auch nicht so gut.»

Was folgt, ist kein Lamento, eher ein Herantasten – auch nach einer möglichen Antwort auf die Grundsatzfrage: «Wer will in einem so kleinen Tal leben, wer hält das aus?» Das allerdings ist kein spezifisches Bergeller Thema. Es  überzieht vielmehr den gesamten Alpenraum. «Deshalb muss man das Bergell nicht gleich neu denken», findet Ruinelli. Es genüge, ein paar «heilige Sachen» zu überdenken. Zum Beispiel: «Wie entwickelt man verdichtete und über das ISOS-Inventar geschützte Haufendörfer, in denen 30 Prozent der Bauten ungenutzt sind?» Und dann spitzt Ruinelli zu: «Was geschieht, wenn man diese Dörfer entdichtet?»

Ruinelli setzt das Wort, wiederholt es: e-n-t-d-i-c-h-t-e-n. Ein Wortspiel mit tieferer Bedeutung. Wieder schwimmen Fragen obenauf: «Weshalb kann man bestimmte Ställe in der Kernzone nicht abbrechen, um neuen Raum zu schaffen – für eine Bocciabahn oder was immer?» Oder noch verwegener: «Weshalb einem Stall in der Kernzone nicht das Dach kappen, um einen Hochgarten zu schaffen?» Ein Tabubruch! Das weiss auch Ruinelli, aber diese Frage ist gleichzeitig auch ein programmatischer Fingerzeig: Entdichten, um nicht in der Dichte zu ersticken.

Ruinelli plädiert nicht für einen Hauruck-Eingriff in bestehende Substanz. Der Prozess der Entdichtung müsse vielmehr «intelligent und mit Bedacht geschehen». Impulse erhofft sich Ruinelli von einer «Sommerakademie». Seine Vision: «Architekturprofessoren kommen mit Studenten ins Bergell, studieren das Thema der Dorfentwicklung und machen Vorschläge. Danach zieht die Kara­wane mit wechselnden Dozenten an einen anderen Ort, es entstehen neue Impulse . . .» Erste Vorgespräche mit Universitäten hätten bereits stattgefunden.  

Eine einstige Vision ist seit über zehn Jahren Wirklichkeit: Die Fondazione Villa Garbald in Castasegna, die eng mit der ETH Zürich zusammenarbeitet. Seit 2004 ist die Villa Garbald mit ihrem modernen Annexbau nicht nur ein architektonisches Highlight, sondern auch ein Ort für Retraiten und Workshops in einem wissenschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Kontext, der das Bergell mit Leben und Anregung beseelt.

Ein Tupfer im Tal. Es müssen noch mehr werden. Einen könnte künftig das Centro Giacometti in Stampa bilden. Doch was euphorisch begann, ist ins Stottern geraten. Die Krux liegt in seiner Grösse. Denn was klein begann, wuchs zu einem 17-Millionen-Projekt heran mit geplanten 25 000 bis 30 000 Besuchern pro Jahr. «Das ist absurd», findet Ruinelli, «das sind ebenso viele Besucher, wie das Bündner Kunstmuseum in Chur jährlich verzeichnet oder das Segantini-Museum in St. Moritz, wo immerhin die drei wichtigsten Bilder des Malers im Original hängen.» Ruinelli glaubt, dass nur ein «massgeschneidertes» und den hiesigen Verhältnissen angepasstes Centro Giacometti realistisch sei.

Augenmass. Das gelte auch für die Wirtschaftsförderung: «Wir können nicht Schritt halten mit ökonomisch stärkeren Regionen», findet Ruinelli und schielt auf die Produktion von Nischenprodukten, bei denen 50 Franken Mehrkosten für den Transport nicht ins Gewicht fallen. Für das Bergell wäre es wichtig, jeweils die «kleinste wirtschaftliche Einheit zu fördern und begleiten – nicht nur mit Geld, sondern vor allem strukturell. Denn grosse Sachen klappen eh nicht.» Ein beredtes Beispiel: die Industriebrache am Dorfrand von Domat/Ems.

Das Bergell als Marke. Das Image der Talgemeinde aufpoliert hat die Vergabe des Wakkerpreises 2015 durch den Schweizerischen Heimatschutz. Ruinellis spontane Reaktion auf diesen Ritterschlag: «Ich hatte Freude! Früher hatte der Wakkerpreis einen eher denkmalpflegerischen Touch. Heute aber ist er kein Heile-Welt-Preis mehr», sondern die explizite «Anerkennung für Gemeinden, die versuchen, ihren Weg zu gehen, ohne die Tradition zu vergessen, die Neues zulassen und darauf achten, dass dieses Neue gestalterische Qualität hat.» Der Wakkerpreis sei ein «Förderpreis, ein Ansporn, um in die Zukunft zu blicken und darauf zu achten, dass auch das, was entsteht, gut ist.» Schliesslich aber sei es auch ein Preis, um «uns die Augen zu öffnen und der Zukunft zu stellen: Sind wir auf dem richtigen Weg oder müssen wir uns von lieb gewonnen Sachen verabschieden?»

Armando Ruinelli sitzt an seinem Zeichentisch, es liegen Blätter und Zeichnungen darauf, auch ein Plan mit der Szenografie einer Werk-Ausstellung in der Holzfachschule Garmisch-Partenkirchen. Der Besucher streift mit seinem Blick über Bücherrücken, viel Kunst und Architektur. An einer Wand hängt eine Schwarzweiss-Fotografie von Alberto Giacometti. Der berühmte Bergeller in seinem Pariser Atelier. Der Besucher schaut und fragt: «Herr Ruinelli, wie sieht das Bergell aus, wenn Sie Ihr Bergell träumen? Der Architekt liefert keine Bilder. Sein Traum ist ein Prozess. «Wir sollten versuchen, modellhaft auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.» Eine Idee: «Das Bergell als Raum für Teilzeit-Bewohner.» Der international tätige Fotograf Raymond Meier lebt es vor. Etwa vier bis fünf  Monate im Jahr weilt er in Soglio, den Rest in New York. Doch dann kehrt Ruinelli ganz schnell wieder von der weiten Welt ins nahe Bergell zurück und träumt, «dass sich künftig mehr als die immer gleiche Handvoll Menschen mit dem Tal beschäftigen. Das kreiert nicht nur mehr Ideen, sondern verteilt auch die Kräfte.»


Grosse Geste im kleinräumigen Dorf. Dach- und Fassadenlandschaft von Soglio.Das Atelier Ruinelli in Soglio (1998). Holz ist das Material der Ställe und sagt an dieser Stelle: Hier wird gearbeitet, nicht gewohnt.

Ruinelli Associati Architetti SIA ist inzwischen ein Fünf-Personen-Büro, seit 2000 mit Fernando Giovanoli als Partner. Und sie setzen im Bergell architektonische Zeichen. Es entstanden Einfamilienhäuser, ein Fotostudio, ein Bauernhof, eine Turnhalle, eine Schreinerei; sie renovierten die Dorfkirche von Soglio, sie bauten Ställe aus und Hotels um, und sie erstellten Zweitwohnungen. «Die Kleinräumigkeit des Bergells», sagt Ruinelli, «hat uns vieles ermöglicht und gleichzeitig dazu gezwungen, uns in diese Themen hinein- und über die hiesige Gesellschaft nachzudenken.» Zeugnis dieser Denkarbeit sind zahlreiche nationale wie internationale Auszeichnungen sowie Publikationen. Ihre Arbeit in der Region hatte auch Wirkung in die Welt: Zurzeit entstehen in Mecklenburg-Vorpommern ein Einfamilienhaus und ein Atelier nach einem Entwurf von Ruinelli & Co. Und Armando Ruinelli wird in Jurys berufen, zu Gast­kritiken oder Gastprofessuren eingeladen. Der Erfolg ermöglichte den Ausbruch aus der drohenden Enge.
 
Armando Ruinelli, ein Insider mit dem Blick von aussen. Am grossen Zeichentisch in seinem Atelier spielt er auf der Klaviatur seiner Biografie, schlägt hier einen Ton an, lässt dort einen aus. Wir tasten uns vom Kleinen ins Grössere, vom Dorf ins Tal und fragen: Wie steht es ums Bergell? Armando Ruinelli sagt: «Jetzt stossen wir auf des Pudels Kern.» Seine sibyllinische Antwort: «Ehrlich gesagt: gut, aber auch nicht so gut.»

Was folgt, ist kein Lamento, eher ein Herantasten – auch nach einer möglichen Antwort auf die Grundsatzfrage: «Wer will in einem so kleinen Tal leben, wer hält das aus?» Das allerdings ist kein spezifisches Bergeller Thema. Es  überzieht vielmehr den gesamten Alpenraum. «Deshalb muss man das Bergell nicht gleich neu denken», findet Ruinelli. Es genüge, ein paar «heilige Sachen» zu überdenken. Zum Beispiel: «Wie entwickelt man verdichtete und über das ISOS-Inventar geschützte Haufendörfer, in denen 30 Prozent der Bauten ungenutzt sind?» Und dann spitzt Ruinelli zu: «Was geschieht, wenn man diese Dörfer entdichtet?»

Ruinelli setzt das Wort, wiederholt es: e-n-t-d-i-c-h-t-e-n. Ein Wortspiel mit tieferer Bedeutung. Wieder schwimmen Fragen obenauf: «Weshalb kann man bestimmte Ställe in der Kernzone nicht abbrechen, um neuen Raum zu schaffen – für eine Bocciabahn oder was immer?» Oder noch verwegener: «Weshalb einem Stall in der Kernzone nicht das Dach kappen, um einen Hochgarten zu schaffen?» Ein Tabubruch! Das weiss auch Ruinelli, aber diese Frage ist gleichzeitig auch ein programmatischer Fingerzeig: Entdichten, um nicht in der Dichte zu ersticken.

Ruinelli plädiert nicht für einen Hauruck-Eingriff in bestehende Substanz. Der Prozess der Entdichtung müsse vielmehr «intelligent und mit Bedacht geschehen». Impulse erhofft sich Ruinelli von einer «Sommerakademie». Seine Vision: «Architekturprofessoren kommen mit Studenten ins Bergell, studieren das Thema der Dorfentwicklung und machen Vorschläge. Danach zieht die Kara­wane mit wechselnden Dozenten an einen anderen Ort, es entstehen neue Impulse . . .» Erste Vorgespräche mit Universitäten hätten bereits stattgefunden.  

Eine einstige Vision ist seit über zehn Jahren Wirklichkeit: Die Fondazione Villa Garbald in Castasegna, die eng mit der ETH Zürich zusammenarbeitet. Seit 2004 ist die Villa Garbald mit ihrem modernen Annexbau nicht nur ein architektonisches Highlight, sondern auch ein Ort für Retraiten und Workshops in einem wissenschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Kontext, der das Bergell mit Leben und Anregung beseelt.

Ein Tupfer im Tal. Es müssen noch mehr werden. Einen könnte künftig das Centro Giacometti in Stampa bilden. Doch was euphorisch begann, ist ins Stottern geraten. Die Krux liegt in seiner Grösse. Denn was klein begann, wuchs zu einem 17-Millionen-Projekt heran mit geplanten 25 000 bis 30 000 Besuchern pro Jahr. «Das ist absurd», findet Ruinelli, «das sind ebenso viele Besucher, wie das Bündner Kunstmuseum in Chur jährlich verzeichnet oder das Segantini-Museum in St. Moritz, wo immerhin die drei wichtigsten Bilder des Malers im Original hängen.» Ruinelli glaubt, dass nur ein «massgeschneidertes» und den hiesigen Verhältnissen angepasstes Centro Giacometti realistisch sei.

Augenmass. Das gelte auch für die Wirtschaftsförderung: «Wir können nicht Schritt halten mit ökonomisch stärkeren Regionen», findet Ruinelli und schielt auf die Produktion von Nischenprodukten, bei denen 50 Franken Mehrkosten für den Transport nicht ins Gewicht fallen. Für das Bergell wäre es wichtig, jeweils die «kleinste wirtschaftliche Einheit zu fördern und begleiten – nicht nur mit Geld, sondern vor allem strukturell. Denn grosse Sachen klappen eh nicht.» Ein beredtes Beispiel: die Industriebrache am Dorfrand von Domat/Ems.

Das Bergell als Marke. Das Image der Talgemeinde aufpoliert hat die Vergabe des Wakkerpreises 2015 durch den Schweizerischen Heimatschutz. Ruinellis spontane Reaktion auf diesen Ritterschlag: «Ich hatte Freude! Früher hatte der Wakkerpreis einen eher denkmalpflegerischen Touch. Heute aber ist er kein Heile-Welt-Preis mehr», sondern die explizite «Anerkennung für Gemeinden, die versuchen, ihren Weg zu gehen, ohne die Tradition zu vergessen, die Neues zulassen und darauf achten, dass dieses Neue gestalterische Qualität hat.» Der Wakkerpreis sei ein «Förderpreis, ein Ansporn, um in die Zukunft zu blicken und darauf zu achten, dass auch das, was entsteht, gut ist.» Schliesslich aber sei es auch ein Preis, um «uns die Augen zu öffnen und der Zukunft zu stellen: Sind wir auf dem richtigen Weg oder müssen wir uns von lieb gewonnen Sachen verabschieden?»

Armando Ruinelli sitzt an seinem Zeichentisch, es liegen Blätter und Zeichnungen darauf, auch ein Plan mit der Szenografie einer Werk-Ausstellung in der Holzfachschule Garmisch-Partenkirchen. Der Besucher streift mit seinem Blick über Bücherrücken, viel Kunst und Architektur. An einer Wand hängt eine Schwarzweiss-Fotografie von Alberto Giacometti. Der berühmte Bergeller in seinem Pariser Atelier. Der Besucher schaut und fragt: «Herr Ruinelli, wie sieht das Bergell aus, wenn Sie Ihr Bergell träumen? Der Architekt liefert keine Bilder. Sein Traum ist ein Prozess. «Wir sollten versuchen, modellhaft auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.» Eine Idee: «Das Bergell als Raum für Teilzeit-Bewohner.» Der international tätige Fotograf Raymond Meier lebt es vor. Etwa vier bis fünf  Monate im Jahr weilt er in Soglio, den Rest in New York. Doch dann kehrt Ruinelli ganz schnell wieder von der weiten Welt ins nahe Bergell zurück und träumt, «dass sich künftig mehr als die immer gleiche Handvoll Menschen mit dem Tal beschäftigen. Das kreiert nicht nur mehr Ideen, sondern verteilt auch die Kräfte.»


Mehrzweckhalle BondoArmando Ruinelli

Ein Tupfer im Tal. Es müssen noch mehr werden. Einen könnte künftig das Centro Giacometti in Stampa bilden. Doch was euphorisch begann, ist ins Stottern geraten. Die Krux liegt in seiner Grösse. Denn was klein begann, wuchs zu einem 17-Millionen-Projekt heran mit geplanten 25 000 bis 30 000 Besuchern pro Jahr. «Das ist absurd», findet Ruinelli, «das sind ebenso viele Besucher, wie das Bündner Kunstmuseum in Chur jährlich verzeichnet oder das Segantini-Museum in St. Moritz, wo immerhin die drei wichtigsten Bilder des Malers im Original hängen.» Ruinelli glaubt, dass nur ein «massgeschneidertes» und den hiesigen Verhältnissen angepasstes Centro Giacometti realistisch sei.

Augenmass. Das gelte auch für die Wirtschaftsförderung: «Wir können nicht Schritt halten mit ökonomisch stärkeren Regionen», findet Ruinelli und schielt auf die Produktion von Nischenprodukten, bei denen 50 Franken Mehrkosten für den Transport nicht ins Gewicht fallen. Für das Bergell wäre es wichtig, jeweils die «kleinste wirtschaftliche Einheit zu fördern und begleiten – nicht nur mit Geld, sondern vor allem strukturell. Denn grosse Sachen klappen eh nicht.» Ein beredtes Beispiel: die Industriebrache am Dorfrand von Domat/Ems.

Das Bergell als Marke. Das Image der Talgemeinde aufpoliert hat die Vergabe des Wakkerpreises 2015 durch den Schweizerischen Heimatschutz. Ruinellis spontane Reaktion auf diesen Ritterschlag: «Ich hatte Freude! Früher hatte der Wakkerpreis einen eher denkmalpflegerischen Touch. Heute aber ist er kein Heile-Welt-Preis mehr», sondern die explizite «Anerkennung für Gemeinden, die versuchen, ihren Weg zu gehen, ohne die Tradition zu vergessen, die Neues zulassen und darauf achten, dass dieses Neue gestalterische Qualität hat.» Der Wakkerpreis sei ein «Förderpreis, ein Ansporn, um in die Zukunft zu blicken und darauf zu achten, dass auch das, was entsteht, gut ist.» Schliesslich aber sei es auch ein Preis, um «uns die Augen zu öffnen und der Zukunft zu stellen: Sind wir auf dem richtigen Weg oder müssen wir uns von lieb gewonnen Sachen verabschieden?»

Armando Ruinelli sitzt an seinem Zeichentisch, es liegen Blätter und Zeichnungen darauf, auch ein Plan mit der Szenografie einer Werk-Ausstellung in der Holzfachschule Garmisch-Partenkirchen. Der Besucher streift mit seinem Blick über Bücherrücken, viel Kunst und Architektur. An einer Wand hängt eine Schwarzweiss-Fotografie von Alberto Giacometti. Der berühmte Bergeller in seinem Pariser Atelier. Der Besucher schaut und fragt: «Herr Ruinelli, wie sieht das Bergell aus, wenn Sie Ihr Bergell träumen? Der Architekt liefert keine Bilder. Sein Traum ist ein Prozess. «Wir sollten versuchen, modellhaft auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.» Eine Idee: «Das Bergell als Raum für Teilzeit-Bewohner.» Der international tätige Fotograf Raymond Meier lebt es vor. Etwa vier bis fünf  Monate im Jahr weilt er in Soglio, den Rest in New York. Doch dann kehrt Ruinelli ganz schnell wieder von der weiten Welt ins nahe Bergell zurück und träumt, «dass sich künftig mehr als die immer gleiche Handvoll Menschen mit dem Tal beschäftigen. Das kreiert nicht nur mehr Ideen, sondern verteilt auch die Kräfte.»