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ALTE STRUKTUR IN NEUEM GEWAND.

Bei der Restaurierung eines historischen Hauses den ursprünglichen Strukturen gerecht zu werden, erfordert viel Fingerspitzengefühl. In Pratval ist das gelungen.


Text: Maya Höneisen

Bilder: m2fel.ch; Evelyne Caminada

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Kaum vorstellbar, wie vor Jahrhunderten und vermutlich unter Knechtschaft der nötige Naturstein zur Baustelle nach Pratval geschafft wurde, um der Obrigkeit oder den zur Ernteüberwachung durch das Bistum Chur beorderten Gutsherren das feudale Patrizierhaus zu errichten. Manch einen dürfte das damals viel Schweiss gekostet haben. Das Gebäude steht strategisch an einer ehemaligen Handelsroute in einem landwirtschaftlich genutzten Anbaugebiet. Dies und der Blick auf zehn Schlösser und Burgen lassen die Nutzung durch den Adel vermuten. Wohl fanden auch Feste und Begegnungen mit Reisenden statt. Das Haus hätte aus seiner Geschichte wohl einiges zu Generationen- und Besitzerwechseln zu erzählen.  

Die Eigentümer des Hauses mit den auffälligen Zinnen in Pratval sind überzeugt: Solche Häuser haben eine Seele, die respektiert werden soll. Bei der Restaurierung galt es für sie also, ganz besonders respektvoll und sorgfältig mit der alten Bausubstanz aus dem 16. Jahrhundert umzugehen. In nur wenigen Monaten Bauzeit mit rund 1600 Stunden Eigenleistung, einer hervorragenden Bauleitung und dank Unterstützung von Lecio – einem Allrounder – sowie weiteren Familienmitgliedern, Freunden und Helfern schufen sie einen Ort, der die Geschichte weiterführt. Wie in früheren Epochen sollte das Haus wieder die Möglichkeit für Begegnungen schaffen.


Kombination von historisch und modern

Ganz wichtig war bei der Restauration, die Urstrukturen beizubehalten und doch moderne Akzente zu setzen. Schlichtheit und Reduktion aufs Wesentliche standen für Architekt und Bauherrschaft stets im Vordergrund. Trennwände in den Nasszellen sowie Geländer im Dachgeschoss wurden aus Glas lichtdurchlässig erstellt. Zeitgenössische Elemente, seien es Garderoben, Schiebetüren oder der Treppenaufgang ins Dachgeschoss – früher ein Kaltdach mit Einschubtreppe und heute ein Atelier –, integrieren sich nach dem Umbau dezent in die alte Bausubstanz. Verwendet wurden weiss lackiertes Holz und geschmiedeter Stahl, um alt und neu sichtbar voneinander zu trennen und Neues im Hintergrund verschwinden zu lassen. So passt sich auch die moderne neue Küche perfekt in den historischen Bau ein. Die Böden in den Nasszellen sowie teilweise Abschnitte der Wände wurden aus Naturofloor erstellt. Eine Materialwahl, die ideal mit den übrigen Materialien harmoniert und sich modern und zweckmässig präsentiert. Innenwände wurden schichtweise mineralisch aufgebaut und mit Weissputz versehen. Die Holzverkleidung im Wohnzimmer wurde im Bereich der Aussenwände entfernt und nach der Isolierung sandgestrahlt wieder montiert. Die Bauherrschaft legte viel Wert darauf, so viel altes Material wie möglich aus der Entkernung wieder einzusetzen. So wurden zum Beispiel 500 Jahre alte Bodenbretter zu einem Esstisch gefertigt. Bodenschiftungsbalken aus der ursprünglichen Bausubstanz wurden zu einer Bettumrandung. Bodenfriese wurden neu verlegt, alte Türen und Türrahmen umplatziert. Sie erfüllen ihren Zweck nun an einem anderen Ort im Haus. Alte Riemenböden wurden ausgebaut und im Dachgeschoss wieder eingebaut. Selbst Holzdübel fanden wieder die Verwendung, die sie von alters her hatten. Sämtliche Natursteine, welche durch die Abgrabung des Kellers oder durch Mauerausbrüche gewonnen wurden, sind wieder im oder ums Haus verbaut.


Hinter der alten Türe versteckt sich eine Garderobe.Das stattliche Patrizierhaus in Pratval aus dem 16. Jahrhundert diente früher Gutsherren.  Die freigelegten Steinplatten und Steingewände geben dem Haus  seinen alten Charme zurück.

Die komplett neue Elektroinstallation basiert auf DigitalSTROM. Dieses intelligente Smarthome-System wurde vom Elektroplaner D. Hodel Elektro AG gezielt so aufgebaut, dass alle Elektrogeräte in Küche und Waschküche konventionell über einen Schalter oder über eine App gesteuert werden können. Das betrifft: Heizung, Lüftung, Audio/Video, Alarmanlage, Beschattung, sämtliche Leuchten, Garagentor, Bewässerung sowie den Brunnen im Garten. So können beispielsweise Lichtsituationen und Musikwünsche per Tastendruck an der Wand oder über die App ausgelöst werden. Sämtliche Leuchtkörper im und um das Haus sind mit verbrauchsarmen, dimmbaren LED-Lampen ausgerüstet. Mit ihrem warmen Farbton tauchen die Innenräume in ein angenehm weiches Licht ein. Ein weiterer Vorteil dieser Installation ist, dass in die historischen Natursteinmauern und Gewölbe deutlich weniger Eingriffe erfolgen mussten. Nachträgliche Änderungswünsche oder neue Bedürfnisse können mit einer einfachen Umprogrammierung spielend einfach angepasst werden.

Modern und historisch funktionieren auch die Heizsysteme zusammen. Sensorgesteuert entfalten Bodenheizung, Wandheizungen aus Stahlblech und Stahlrohre ihre Wirkung. Die beiden Specksteinöfen mit der ungefähren Jahreszahl 1860 wurden sorgfältig restauriert und sind ebenfalls im Einsatz.


Nutzung wie einst

Was während des Rückbaus zum Vorschein kam, war für die Bauherrschaft schön und schwierig zugleich. So war zum Beispiel im Korridor des Erd- und Obergeschosses ein Klinkerboden mit einem zementösen Unterbau aus einer Renovation (ca. 1930) eingebaut. Dieser Klinkerboden musste entfernt werden, was bewirkte, dass die darunterliegenden Gewölbe instabil wurden und abgestützt werden mussten. Zur Überraschung aller kamen schöne alte Steinplatten zum Vorschein. Sie wurden ergänzt mit Steinplatten aus dem gleichen Gestein, um dem Haus den alten Charme zurückzugeben. Die übermalten Fenster- und Türgewände aus Schiefer wurden im Innen- sowie Aussenbereich behutsam sandgestrahlt und naturbelassen.

Ein besonderes Schmuckstück ist heute die Gewölbe-­Räucherkammer. Einst wurden darin Würste und Fleisch über dem offenen Feuer geräuchert sowie Obst und Pilze im historischen Dörrofen gedörrt. Sie bestand aus vier Feuerstellen, zwei offenen und zwei geschlossenen. Das an die Räucherkammer angemauerte Backhaus wurde mit Natursteinen komplett restauriert. Der ursprüngliche, zerstörte Holzbackofen wurde mit Schamottsteinen zu einem Rund­ofen aufgemauert. Der Rauchabzug sämtlicher Feuerstellen erfolgt nach wie vor über den bestehenden Kamin des Gewölberaumes. Dieser von aussen sichtbare Kamin wurde entsprechend restauriert. In diesen wurde auf der darüber liegenden Terrasse ein Grill integriert. Bei der Instandstellung und Rekonstruktion achteten Bauherrschaft und Architekt darauf, dass die Räucherkammer wieder, wie schon Jahrhunderte zuvor, genutzt werden kann. Gekocht wird darin heute wie früher über oder am offenen Feuer. Die gemütliche Atmosphäre, die entstanden ist, lässt vermuten, dass nicht nur Gäste hier öfters gerne mal sitzen bleiben.


Ein bewusst gestalteter Ort der Begegnung: 500 Jahre alte Bodenbretter werden heute als Esstisch genutzt. Schlicht und modern präsentieren sich die Nasszellen.

Whisky reift im Keller

Es wird vermutet, dass Kellerräume im Haus früher einmal als Taverne für Durchreisende, als Lagerräume oder Räume für die Zehntenabgabe dienten. Dokumentiert ist das aber nicht. Auch diese Räumlichkeiten sollten wieder nutzbar gemacht werden. Alle Kellerwände aus Naturstein mit ihren Gewölbedecken wurden im Ursprungzustand belassen. Der einzige mit einer Balkendecke versehene Kellerraum konnte dank einer speziellen statischen Konstruktion erhalten werden. Fussböden aus Erde, Steinen und teilweise Fels – das Haus steht auf einer Felsnase – wurden abgegraben und mit einem Kies- und Natursteinboden wieder aufgebaut. Auch die Haustechnik fand in einem der Kellerräume ihren Platz. Zudem entstand aus einem Lagerraum ein Weinkeller und aus einem weiteren eine Vorratskammer. Im ehemaligen Weinkeller ist trotz grösseren Umbauten des 18. Jahrhunderts eine Fundamentsmauerkrone aus dem 16. Jahrhundert noch sichtbar. Auf dieser Mauerkrone wird künftig der ORMA Swiss Whisky seinen Reifeausbau finden.


Der Specksteinofen ist restauriert und wieder funktionsfähig.Das Dachgeschoss ist zu einem lichten Atelier umgebaut worden.Die moderne Stahltreppe fügt sich leicht in die alte Bausubstanz ein.

Mit Rücksicht aufs Ortsbild

Beraten wurden Bauherrschaft und Architekt beim Umbau von der Denkmalpflege Graubünden. Wichtig war das vor allem bei der Südfassade, die denkmalpflegerisch als ortsbildprägend eingestuft ist. Für den Farbanstrich wurde ein warmer Weisston gewählt, eine Farbe speziell für historische Bauten. Die Dachuntersichten aus Holz wurden sandgestrahlt und originalgetreu mit grauer Ölfarbe gestrichen. Die Fenster im Erdgeschoss sind mit einer Dreifachverglasung und analog derjenigen im Obergeschoss mit Kreuzstöcken versehen. Damit passt sich das Haus auch nach der Renovierung komplett ins Ortsbild ein.

Um dem Ortsbild und der diffusionsoffenen Bauweise der Natursteinmauern gerecht zu werden, musste die in der letzten Renovation aufgetragene Farbe abgeschliffen werden. Etwa die Hälfte des zementösen Fassadenputzes wurde entfernt. Der komplette Neuaufbau der Fassade präsentiert sich nun wieder mit mineralischem Putz und Farbe.

Zu einem Herrschaftshaus gehört natürlich auch ein entsprechender Garten. Auch bei dieser Neugestaltung sind die Eigentümer sensibel vorgegangen. Im Vorgarten blühen Rosen rund um einen kleinen Sitzplatz. Auch drei Rebstöcke konnten mit viel Pflege erhalten werden. Aus Zement gefertigte Podeste im Treppenaufgang hat die Bauherrschaft mit Andeerer Granit ersetzt. Der nördlich liegende Treppen­abgang in den Garten wurde mit Natursteinen gestaltet. Grenzmauern im Garten sind im Stil der Domleschger Trockensteinmauern aufgebaut. Das in einem Erdwassertank aufgefangene Meteordachwasser speist nicht nur einen Brunnen, sondern dient gleichzeitig auch der Bewässerung des Gartens.

Nach der Restauration strahlt das historische Patrizierhaus nun wieder seine alte Erhabenheit und Würde aus. Dank viel Sensibilität und Sorgfalt des Architekten und der Bauherrschaft für die Ursubstanz darf es nun seine Geschichte weiterschreiben.


In der Räucherkammer fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt.

Historisch

Erbauung: ca. 1530
Erste Erweiterung und Umbau im 18. Jahrhundert
Eingriffe um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhundert mit zementöser Verstärkung einzelner Gewölbe und Böden.
Umbau und Umgestaltung des Schopfes zu Werkstatt-Garage und Terrasse, Umgestaltung zweier Räume im Obergeschoss sowie Kappung eines Kamins Ende der 1970er-Jahre.


Kennzahlen Restaurierung
Grobplanung: März bis April 2019
Entkernungsphase: April bis August 2019
Detailplanung: Mai bis Juli 2019
Umbauphase: September 2019 bis März 2020
Bezug: März 2020
Architektur/Innenarchitektur: Mario Solèr
Örtliche Bauleitung: Cavelti Derungs AG – Livio Arpagaus
Netto-Wohnfläche: ca. 325 m2
Nutzfläche: ca. 497 m2
Kubatur: ca. 2275 m3
Hybrides Heizsystem: Bodenheizung sowie Wandheizung über Geothermie, zwei Specksteinöfen
Energie: Digitalstromsystem – intelligente Gebäudetechnik
Wandisolation: diffusionsoffen mit Multipor
Bodenisolation: Misapor und Schaumbeton
Dachisolation: Steinwolle zwischen den Sparren