Abos!

WOHNEN MITTEN IN RIOM.


«Das Haus gibt das Konzept für die Restaurierung vor», sagt Max Rüedi. In mehrjähriger behutsamer, beharrlicher Arbeit hat der Restaurator ein unbewohnbares Haus in der Kernzone von Riom zum Wiedererblühen gebracht.


Text: Fridolin Jakober  

Bilder: Alice Das Neves

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Eigentümer Max Rüedi träumte von einem Alterssitz und fand ihn: Ein altes Haus in der Kernzone von Riom, auf beiden Seiten angebaut. An diesem Novembermorgen stehen davor zwei Stühle und ein rundes Bistrotischchen. Darauf liegen 20 cm Neuschnee. Auf dem Sims dahinter ein Mühlstein. Drinnen treffen Kunstverständnis und Liebe aufeinander, rechts die Garderobe im ehemaligen Durchgang zum Stall, wo im 19. Jahrhundert ein Haus angebaut worden war, unter den Füssen im Eingang ein Riemenboden aus Holz, der hier hineinpasst, als wäre er schon immer hier gewesen. «Vorher war hier ein garagengrün bemalter Fliessestrich», sagt Rüedi, «der antike Riemenboden ist eine Rückführung.»


Das Haus wurde immer wieder umgebaut und überlebte verheerende Dorfbrände.Im Entrée harmonieren antikes und neues Holz.

In Filzpantoffeln gehts in die Küche – am Boden Natursteinplatten. Er ist warm – eine Bodenheizung. Darauf ein eiserner Kochherd aus dem 19. Jahrhundert, wo Grossmutters Rezepte nachgekocht werden. Wo früher ein gemauerter Ofen stand, den man nicht mehr benutzen konnte, ist jetzt der offene Durchgang ins Wohnzimmer mit gotischer Decke. «Ein wahnsinniges Objekt», sagt Max Rüedi über das Haus. «Ich kenne die Fehler, habe Kompromisse gemacht, einrichtungsmässig. Es fängt an beim Möbelhaus und geht bis zum Designer­unikat.» Wo er keine Kompromisse macht, ist bei der Rückführung auf den Ursprungszustand des Hauses. «Es ist ein Arme-Leute-Haus an ungünstiger Lage im Zentrum, wie es sie in vielen Bergdörfern im Kanton Graubünden noch gibt. Es geriet etwas ab der Zeit, weil es über längere Zeit unbewohnt war, und war deshalb, als wir es kauften, in den oberen Stockwerken unbewohnbar. Einzig das Web­zimmer – die Stüva sura – wurde noch benutzt. Hier webte eine Verwandte des Vorbesitzers – eine Kinder­gärt­nerin – Flickenteppiche in einem mit einer Neonröhre erhellten Raum.»

Die Vorbesitzerin

Im ebenerdigen Teil hatte am Schluss Marie-Giseppa Caspar gelebt und sich alles so eingerichtet, dass sie keine Treppen steigen musste. Sie schlief in der Nebenstube, liess ein Etagen-WC einbauen und eine Küche mit Fliesenboden. Danach war dieses in der Kernzone von Riom gelegene Haus nicht mehr bewohnt. «Die Kernzonen dürfen nicht ausbluten», fordert Rüedi und meint damit, dass solche Häuser anderswo leer stehen, bis sie abgerissen werden. Dabei ist es eines der ältesten des Dorfes Riom, es stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert und überlebte als eines von wenigen den verheerenden Dorfbrand von 1864. «Es gab Zeiten, wo hier zwei Familien lebten, das Haus ist im Laufe der Jahre immer wieder umgebaut und angepasst worden.» Rüedi zeigt auf eine barocke Tür mit historischem Eisenschloss und Metall­beschlägen. «Diese Tür fanden wir im Estrich. Dort lag ‹meterdick› der Unrat.»


Freigelegte Friauler DeckeLuxus: pro Geschoss eine Nasszelle

Das Haus zurückführen und Zugeständnisse

Doch wie baut man so ein Haus um? «Wir erarbeiteten das Restaurierungskonzept, an einem über Jahrhunderte bewohnten Haus die Geschichtszeugnisse zu entdecken und zu belassen. Wir wollten nichts am Haus bleibend verändern, aber den Räumen wieder Leben geben.»

Wichtig war dem Restaurator, die Identität des Hauses zu gewährleisten. «Es wurden grössere Umbauten gemacht im Lauf der Jahrhunderte, die gotische Decke mit ihren gekratzt-gerillten Mustern wurde mehrmals umgesetzt, der Aufgang aus der Stube ins Schlafzimmer verlegt.» Man kann noch die Enden der Bretter sehen, wo einst die Treppe hinaufführte. «Doch erst einmal nahmen wir alles heraus, was herausgehört. Wir entfernten zusätzliche Einbauten wie das Etagen-WC im Parterre oder den Fliessestrich im Eingangsbereich. Ich kaufte einen historischen Boden und baute ihn ein. In der Küche legten wir die Balkenlage der Decke frei. Eine Friauler Decke mit eng stehenden dreieckigen Balken. Die Zwischenräume konnten von oben mit Steinen befüllt werden. Wir führten das Haus zurück in einen Zustand, wie es ein paar Jahrhunderte früher war, und je mehr wir arbeiteten, umso mehr fanden wir.»

Rüedi erklärt, wo er ein Stück der Strickwand ausbauen musste und den verbleibenden Wandteil nach rechts verschob. «So kommt mehr Licht in die Nebenstube.» Ein historisches Haus bewohnbar zu machen, führt oft zu einer Spurensuche, und dazu, diese Spuren zu respektieren. Seien es die geschnitzten Kästchen, die er auf dem Erdboden des Kellers fand, oder der Käsetisch, auf dem man einst die Laibe einschmierte. Zu den Konzessionen ans 21. Jahrhundert gehören die Wärmedämmung auf der Nord- und der Südseite und die Heizanlage. Ein weiteres Zugeständnis an die Gegenwart: pro Geschoss eine Nasszelle.


Das Wohnzimmer mit seiner gotischen DeckeDas Atelier: Wo früher Krempel im Dunkeln lag, vermitteln Bücher und Kunst Behaglichkeit. Die liebevoll restaurierte Schlafkammer.

«Im Herbst 2007 kauften wir das Haus, im Frühjahr 2008 begannen wir mit dem Bau, im Oktober 2011 zogen wir ein. Wenn man so ein Haus ausbaut, sind die Anforderungen schnell skizziert, denn das Haus gibt das Konzept für die Restaurierung vor. Es ist immer klar, welches die Gästekammer wird, welches das persönliche Schlafzimmer – das ist dort, wo es schon früher war.» Trotzdem muss jeder Schritt wohl überlegt sein und verlangt eine Güterab­wägung. «Wo kann man Steckdosen setzen? Wo kann man die Haustechnik einbringen – die Leitungen mit dem steigenden und dem fallenden Wasser –, ohne dass das Haus seine Identität verliert?» Und schliesslich die Reversibilität: «Wir haben den alten gemauerten Ofen entfernt und die Küchenwand hin zum Esszimmer vergrössert. Dabei wurde die hölzerne Strickwand auf Türformat ausgeschnitten, aber ich habe das Holz aufbewahrt. Dann kann es auch zurückgebaut werden.»


Keller, wo einst Käse eingeschmiert und Särge gezimmert wurden.

Mit weit über 50 in ein Bergdorf ziehen. Vier Jahre arbeiten in einem Haus, das links und rechts angebaut ist und wenig Aussicht bietet. Lohnt sich das? «In so einem Haus ist man geborgen, es birgt eine ausgesprochen persönliche Lebensqualität. Wer hierher zieht, bringt Leben ins Dorf. Wir wurden in Riom sehr offen aufgenommen, die Leute schätzten, dass das Haus endlich wieder Besitzer hatte.» Dann schenkt sich der Restaurator ein Glas Wein ein und holt ein Buch mit Sinnsprüchen hervor. «Dies Haus ist mein und doch nicht mein/Der nach mir kommt, kann's auch nur leih'n/Und bald wird es dem Dritten sein», steht da geschrieben.


Beidseitig angebaut in der Kernzone.