Abos!

WOHNEN MIT SERVICE.

Altersgerecht zu bauen heisst, an viele Details zu denken. Am südlichen Dorfrand von Fläsch hat die Genossenschaft «WohnenPlus» ein Zentrum errichtet, welches, ohne die Ästhetik zu vernachlässigen, die Dorfbevölkerung und die älteren Menschen zusammenbringt.

 

Text: Maya Höneisen   

Bilder: Frederic Saladin

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Kommt man von Maienfeld her, wirkt es unspektakulär und zurückhaltend. Ein schlichter Bau, dem man die Grosszügigkeit und Multifunktionalität im Innern kaum zutrauen würde. Und doch ist es zu einem Zentrum für das Dorf Fläsch geworden. Denn darin untergebracht sind vier 2,5-Zimmer-Wohnungen und drei 1,5-Zimmer-Wohnungen für betagte Menschen, ein Gästezimmer sowie ein öffentliches Bistro, der Dorfladen und die Postfiliale. Aber von Anfang an. Im Dorfkern von Fläsch besass die Landwirtschaftliche Genossenschaft eine sanierungsbedürftige Liegenschaft, in welcher der darin eingemietete Dorfladen androhte, seine Tore zu schliessen, wenn keine Sanierung der Liegenschaft erfolge. Die Genossenschaft suchte nach Lösungen für eine Umnutzung der Liegenschaft. Das rief die inzwischen pensionierte Leiterin Fachstelle Alter des kantonalen Gesundheitsamtes und Präsidentin der evangelischen Kirchgemeinde Fläsch, Margrit Weber, auf den Plan: Man könnte darin einen Generationen-Treffpunkt mit Laden, Mittagstisch für Senioren und Schulkinder einrichten. Um für diese Idee eine Trägerschaft zu bilden, wurde im Jahr 2010 die Genossenschaft «WohnenPlus» gegründet. Sechs Architekten wurden daraufhin eingeladen, ein Projekt auszuarbeiten. Angestrebt wurde aufgrund einer Machbarkeitsstudie ein qualitativ hochstehender Neubau, der sich gut in die Umgebung und den Dorfkern einfügen sollte. Aus den Wett­bewerbseingaben wählte eine Expertenjury daraus das Projekt der beiden Architekturbüros Marc Saladin, Sargans, und Hutter Nüesch Architeken, Berneck, aus. Für die Planung sei es eine sehr beengte Situation gewesen, dafür eine prominente Lage mitten im Dorf, erklärt Marc Saladin im Gespräch in seinem Büro in Sargans. Er schlug einen abgewinkelten Baukörper vor, der die Grenzen des Grundstückes einhalten konnte. Alles hätte funktioniert, bloss die Ladenfläche war relativ klein und Parkplätze fehlten. Dazu kam aus der Nachbarschaft eine Einsprache wegen Lärmbelästigungen während der Bauzeit. Das Projekt kam zum Kippen, obwohl es baueingabereif war. «2012 mussten wir die ganze Übung abbrechen und schweren Herzens aufgeben», hält Margrit Weber fest.


Die Gebäudehülle wurde in Anlehnung an alte Wohnbauten mit einem muralen Charakter ausgebildet.

Glück im Unglück

Aufgeben wollte hingegen die Landwirtschaftliche Genossenschaft nicht. Sie bot zur Realisierung des Projektes als Bauherrschaft ein Grundstück am südlichen Dorfrand von Fläsch an. Damit fiel das Risiko der Baufinanzierung für die Genossenschaft «WohnenPlus» weg. Diese sollte Wohnungen und Bistro als Mieter betreiben. Ebenso sollten Dorfladen und Postfiliale zur Miete stehen. Für die Genossenschaft «WohnenPlus» ein Glücksfall. Allerdings hiess es, sozusagen auf der grünen Wiese wieder anzufangen. Mit den Erfahrungen des ersten Projektes im Gepäck, begann man also von vorne. Wichtig für Margrit Weber war, dass behinderten­gerecht gebaut wurde. Marc Saladin passte in Zusammenarbeit mit Hutter Nüesch Architekten AG in Berneck das bestehende Projekt in diesem Sinne den neuen Gegebenheiten an. Im Oktober 2014 wurde die Baubewilligung erteilt, im August 2015 das noch auf dem Grundstück Ökonomiegebäude rückgebaut. Baubeginn war im Januar 2016. Die ersten Mieter zogen per 1. November 2016 ein.

In Nord- und Südteil getrennt

Das heute bestehende Gebäude liegt an einer leichten Hang­lage mit einer Höhendifferenz von knapp vier Metern. Da die Grundmasse des dreieckigen Grundstücks relativ eng war, legte der Architekt den Dorfladen und die allgemeinen Räume, wie Waschküche, Heizung und Werkraum, in den Keller. Zugänglich ist der Laden von der unteren Seite des Hauses her. Der Haupt­zugang zu «WohnenPlus» wurde im Erdgeschoss von Osten her gebaut. Der grosszügig gestaltete Erschliessungsbereich mit Treppe und Lift erstreckt sich auf allen Geschossen in Ost-West-Richtung und trennt die Grundrisse in einen Nord- und einen Südteil. Darin ist auch ein allen Bewohnern zur Verfügung stehender Aufenthaltsraum untergebracht, der bis in den Dachraum reicht. Der Südteil umfasst im Erdgeschoss das öffentliche Bistro, zugänglich vom Erschliessungsbereich als auch von aussen her. Im selben Hausteil sind die Bistro-Küche, ein Lagerraum, ein Büro, zwei behindertengerechte Toiletten und ein Gäste­zimmer, welches Passanten oder Besuchern vermietet werden kann, untergebracht.


Für eine gute Atmosphäre wurde im ganzen Haus Eichenparkett verlegt. Hier im Aufenhaltsraum. Schlaf- und Wohnbereiche sind durch Schiebetüren trennbar.

Durchdachtes Raumkonzept

Über Bistro und dem Eingangsbereich liegen die Wohnungen, behindertengerecht nach den Planungsrichtlinien für alters­gerechte Wohnbauten der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen konzipiert. «Das heisst, grosszügige Verkehrsflächen für Menschen im Rollstuhl», erklärte Margrit Weber bei einem Rundgang durchs Haus. Als Fachfrau weiss sie, was Menschen mit Behinderungen hilfreich ist. So sind auch die Bäder gross, Spiegelschränke wegen der Höhe weggelassen, Hilfsapparaturen vorhanden. In der Küche ist der Backofen für ältere Menschen bequem erreichbar. Die Abwaschmaschinen haben keine Normgrösse, sondern sind kleiner. Dafür sind grosse Fensteröffnungen eingebaut, welche die Verbindung zum Dorf und zur Aussenwelt schaffen. Versehen sind sie mit schmalen Lüftungsfenstern, um das Bild beim Ausblick nicht zu teilen. Da im Keller kein Platz vorhanden war für Abstellräume, ist in jede Wohnung ein solcher integriert. In den grösseren Wohnungen sind der Schlaf- und der Wohn-/Essbereich durch Schiebetüren trennbar. Offen gelassen, vermitteln sie den Eindruck von zusätzlicher Gesamtfläche. Unter dem Dach steht Rekonvaleszenten, welche vorübergehend Betreuung brauchen, oder pflegenden Ange­hörigen eine möblierte Gastwohnung zur Verfügung.

Das Gesamtkonzept von WohnenPlus ist umfassend. Die Genossenschaft bietet in Zusammenarbeit mit der Spitex Bündner Herrschaft auch ein Betreuungsangebot, welches aus einem Basis-Service-Paket und einem möglichen individuell vereinbarten Angebot besteht. Zudem bildet das Bistro einen integrativen Teil mit dem Hauptziel, den Bewohnerinnen und Bewohnern Begegnungsmöglichkeiten auch mit Besuchern und externen Gästen anzubieten. Der Mittagstisch ist auch für Passanten und Dorf­bewohnern geöffnet. Zusätzlich wird er für Schulkinder angeboten. Betrieben wird das Bistro von «WohnenPlus». Fünfzehn freiwillige Helfer und Mitarbeiter seien im Team für das Bistro und die allenfalls nötige Betreuung bereit, erklärte Margrit Weber. Auch sie selbst hat das ganze Projekt von Anfang an ehrenamtlich begleitet. Sie kann sich diesen öffentlichen, geführten Raum durchaus auch als kleiner kultureller Treffpunkt vorstellen. Inzwischen gestalten die Landfrauen Fläsch einen Nachmittag pro Monat für die Bewohnerinnen und Bewohner. «Vielleicht kommen andere Vereine dazu und erweitern das Programm. Aber wir machen Schritt für Schritt. Wenns funk­tioniert, ist es genial, wenn nicht, haben wir es mindestens probiert», hält sie fest.

Ein weiter Weg der Materialisierung

Zurück zum eigentlichen Gebäude. Die Gebäudehülle wurde in Anlehnung an die alten Wohnbauten in der Kernzone von Fläsch mit einem muralen Charakter ausgebildet. Die Materialisierung sei ein recht langer Weg gewesen, erklärt Marc Saladin. Ursprünglich war eine Betonfassade angedacht. Sie fiel dann aus Kostengründen weg und ist nun in einer speziellen Putztechnik gehalten. Auch die Parkettböden waren aus demselben Grund Diskussionsthema. Saladin setzte sich stark dafür ein. Parkett sei ein entscheidendes Element für die Atmosphäre im Gebäude. Verlegt wurde schliesslich Eichenparkett. Die Bäder in den Wohnungen sind gefliest.

Auch wenn die Idee und das Gesamtprojekt einen nicht ganz einfachen Weg hinter sich haben, sind Marc Saladin und Margrit Weber heute mit dem Ergebnis zufrieden. Das ist auch die Land­wirtschaftliche Genossenschaft Fläsch als Bauherrin und deren Präsident Leonhard Kunz: «Es sollte ein Bau für die Allgemeinheit werden. Wir wollten dem Dorf etwas zurückgeben. Das ist gelungen.»


Ein offenes Treppenhaus verbindet die Stockwerke miteinander.Das Bistro ist separat zugänglich.