Abos!

WOHNEN IM SCHIFFSCONTAINER.


Eine unkonventionelle Lösung für ihr Wohn- und Geschäftshaus haben Sara und Franco Passanante in Chur gefunden. Die Grundelemente schipperten auf dem Seeweg zum neuen Heim.


Text: Maya Höneisen

Bilder: Mathias Kunfermann

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Es fällt nicht auf, wenn man in die hell gestalteten Geschäftsräume im Parterre des Hauses an der Raschärenstrasse in Chur tritt. In der Mitte ein verglaster Treppenaufstieg, davor ein grosser Marmortisch, dahinter die Ausstellung der Arbeiten des Bildhauers Franco Passanante, links sein Büro. Der Boden aus griechischem Marmor – etwas anderes kam für ihn im Parterre nicht in Frage – rechts in der Wand zwei antike Holztüren. Die cappuccino farbenen Wände fallen keineswegs auf. Wer richtet beim Eintreten in ein Haus den ersten Blick schon auf die Wände? Es braucht einen zweiten, um dann doch zu stutzen. Wie nochmals? Die Überraschung lässt Sara und Franco Passanante, die dem Blick folgen, schmunzeln. «Ja, Schiffscontainer.» Sie kamen von China über Rotterdam nach Basel und fanden schliesslich in einer neuen, unkonventionellen Verwendung ihren Platz in diesem Bau. Im Dezember 2016 wurde er fertiggestellt.

Ein steiniger Weg

Eigentlich beginnt die Geschichte des Hauses aber ganz anders. Nämlich im Gebäude nebenan, einem 117-jährigen Riegelbau. Darin waren einst Bauarbeiter des Baugeschäftes Mazzoleni untergebracht. Franco Passanante hatte schon länger ein Auge auf dieses Haus geworfen, um den historischen Bau als Raum der Kreativität und Inspiration für seine Arbeit zu nutzen. «Fünf Monate lang habe ich Mazzoleni bearbeitet, dass er es mir verkauft », erzählt er. Schliesslich gab Mazzoleni nach. Im Jahr 2006 konnte Franco Passanante sein Atelier ins «Hüsli», wie er es nennt, verlegen. Die Freude dauerte neun Jahre, bis im Jahr 2015 das Baudepartement der Stadt Chur der Familie gegenüber harsche Töne anschlug. «Sie müssen weg, wenn Sie sich weigern, werden Sie enteignet», hiess es. So erzählen es Franco Passanante und seine Frau. Grund war die Verlängerung der Rheinfelsstrasse, für deren Anbindung an die Raschärenstrasse auf der Höhe Rheinfels ein Kreisel geplant war. Dafür sollte das historische «Hüsli» weichen. «Das war für uns existenzgefährdend. Wir haben Blut geschwitzt», erinnern sich die beiden. Also schlugen sie, nach zahlreichen Vorstudien der Stadt und in langwierigen Verhandlungen, einen Landabtausch vor. Mit dem neu gewählten Stadtrat, Tom Leibundgut, und dem Leiter des Tiefbauamtes, Roland Arpagaus, klappte dies schliesslich. Allerdings nur unter der Bedingung, dass das «Hüsli» um fünf Meter gekürzt würde. Im Gegenzug stand aber das abgetauschte Land zur Verfügung. «Zu dieser Zeit kam uns erstmals der Gedanke, hier ein Geschäfts und Wohnhaus zu bauen.» Die Familie wandte sich an den Freund und Architekten Erik Böcherer. Dieser schlug als Lösung sechs 40-Fuss-Schiffscontainer anstelle einer Tragekonstruktion aus Mauerwerk oder Holz für den Bau vor. Die Entscheidung war bald getroffen: «Wir fanden die Idee super», halten Sara und Franco Passanante übereinstimmend fest. Die Vorgaben für die Planung an den Architekten waren wenige: Offenes Bauen, die Anzahl Zimmer, und vor allem musste der Neubau zum daneben stehenden rotbraunen Ziegelbau, dem «Hüsli», passen.


Der verglaste Treppenaufstieg verbindet die Stockwerke.Im Parterre empfängt der Bildhauer Passanante seine Kunden.

Einheimische Materialien

Sechs Container, die auf dem Seeweg von China nach Basel reisten, wurden gekauft, hochwertige Bauteile, wasser- und witterungsbeständig und nicht rostend. Jeweils drei wurden in einer mit Beton ausgegossenen, isolierten Wanne einander gegenüber aufgestapelt und mit je einer Holz-Beton-Verbunddecke miteinander verbunden. In die Decken wurde eine Bodenheizung integriert. Zusätzlich zu Eisenstahlträgern in der Aussparung des Treppenschachtes stabilisieren aussen angebrachte vertikale Holzpfeiler mit einer eingefügten Aussendämmung das Haus. Gedeckt ist der Bau mit einem flachen Giebeldach aus Chromstahl. Die Container sind das einzig Weitgereiste am Bau. Die übrigen Materialien sowie die geleisteten Arbeiten stammen aus der Region. Für die Fassade und die Balkone wurde einheimische Lärche eingesetzt, für den Innenausbau Fichten- und Eichenholz. Die Chromstahltreppe, welche die Geschosse in der Mitte des Hauses in einem Lichtschacht miteinander verbindet, stammt von einem Sarganser Metallbauer. Alle anderen am Bau beteiligten Unternehmen sind in Chur ansässig. Meist sind deren Inhaber Freunde der Familie.

«Man darf sehen, dass es Container sind»

«Wir fühlen uns wohl in unserem Haus. Es ist unsere Insel zum Leben und zum Arbeiten», meint Sara Passanante. Tatsächlich strahlt diese Kombination von Stahl und Holz eine behagliche, warme Atmosphäre aus. Die Fenster wurden aus den Containern ausgeschnitten, so dass jeder Raum Tageslicht hat. Auf dem Weg in den ersten Stock weist Franco Passanante auf die sichtbaren Schweissnähte der Stahltreppe hin. «Ich bin Handwerker und mag es ehrlich. Solches darf man sehen», erklärt er. Ebenfalls sichtbar sind überall im Haus die ursprünglichen Container-Nummern. Sie dienen als Wanddekoration und schaffen gleichzeitig über Räume und Geschosse hinweg eine Verbindung. Auch hier ist die Bauherrschaft überzeugt: «Man darf sehen, dass es Schiffscontainer sind.» Ansonsten sind die sichtbaren Stahlwände in warmen Farben gestrichen. Und, wie Sara Passanante lachend anmerkt: «Sie wirken ausserdem wie Magnettafeln für allerlei Notizen oder Ansichtskarten.»


Eine stylische Küche mit Bar schliesst im ersten Stock an den offenen Wohnraum an.Die einladende und grosszügige Wohnfläche für die ganze Familie, wohnlich gestaltet mit viel Holz.Gemütlich eingerichtete Nische im Container.Schlafzimmer im ersten Stock mit in den Container eingebautem Bad.

Die an der Ost- und der Westseite übereinander gestapelten Container wurden geschickt für die Architektur genutzt. Viel Holz und warme Materialien vermitteln ein angenehmes Wohnklima. In den Containern untergebracht – immer zur offenen Mitte hin gerichtet – sind im Parterre, nebst dem Büro und dem Ausstellungsraum, eine Waschküche, die technischen Anlagen und ein Gästezimmer. Im ersten Obergeschoss überraschen eine offene, gemütliche Wohnküche mit vorgelagertem Balkon, ein Schlafzimmer mit angrenzender Nasszelle und begehbarem Kleiderschrank. In der obersten Etage gibt der Lichtschacht genug Licht für eine kleine Bürofläche für Sara Passanante. Links und rechts davon sind Studiowohnungen für die beiden Kinder. Auch hier sind die sanitären Anlagen und begehbaren Kleiderschränke in den Containern untergebracht. Beide Studios verfügen ebenfalls über je einen Balkon. «Die Kinder durften sich ihre Räume selber gestalten», erklären Sara und Franco Passanante und fügen schmunzelnd an: «Jedes der Studios verfügt auch über eine
eigene Türglocke und einen eigenen Briefkasten.»


Details mit Stil

Bestechend sind die Details. Sie zeugen von Sara und Franco Passanantes Vorliebe für historische Einzelstücke und Kunst, die sie mit viel Sinn für Design und zeitgenössisches Wohnen verknüpfen. Die antiken Holztüren im Erdgeschoss sind schon erwähnt. Die eine gehörte zum Haus von Franco Passanantes Grosseltern, die andere stammt aus dem abgebrochenen Teil des Ateliers. Ebenso die in die Lärchenholzfassade eingefügte Haustüre. Waschbecken hat der Bildhauer selber aus rohem Stein gehauen. Seifenhalter aus von ihm bearbeitetem Kalkstein fallen auf. Sie wirken wie antike Skulpturen und setzen eigenwillige Kontraste. Gäste finden in der Gäste-Toilette ein rund 400 Jahre altes Lavabo eingesetzt. Ein historisches Fenster mit farbigen Butzenscheiben führt von der Küche in den Wohnraum und trägt, hinterleuchtet, viel zu einer heimeligen Atmosphäre bei. So wie die elegant geschwungene Kirschbaumskulptur eines Freundes der Familie im Wohnbereich oder eigene skulpturale Arbeiten des Bildhauers. Nebst der originellen Idee und einer grosszügigen Gestaltung sind es gerade diese liebevoll eingesetzten Details, die dem Haus einen sehr persönlichen Charakter geben. Zusammen mit dem nebenan stehenden Riegelbau, der nach wie vor als Atelier dient, ist neben dem neuen Kreisel zu aller Zufriedenheit ein harmonisches Ensemble entstanden.


Waschbecken aus rohem Stein gehauen.Das historische Fenster mit Butzenscheiben trägt zur wohnlichen Atmosphäre bei.

Bauherrschaft: Sara und Franco Passanante, Chur
Architekt: Erik Böcherer, e.boe-architektur, Chur
Spatenstich: Juni 2016
Bezug: 10. Dezember 2016
Bauzeit: 5,5 Monate
Nettowohnfläche: 360 m2
Heizung: Gas