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ERLKÖNIG IN TRUN.

2016 konnte das Erweiterungsprojekt des Campings von Trun abgeschlossen werden. Nach den Plänen von Architekt Iso Huonder aus Chur ist hier eine Anlage mit zwei Gebäuden entstanden, die sich nahtlos in die bestehende idyllische Landschaft am Ufer des Rheins einfügt.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Ralph Feiner

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«Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind...» Es gibt in der deutschen Literatur wohl kaum einen bekannteren Gedichtanfang als jener zur Ballade «Erl­könig» von J. W. von Goethe. Denn wie kaum in einer anderen Gedichtzeile ist hier die archaische Situation des Menschen ausgedrückt, der unterwegs ist, und die Magie des Erlkönigs mit seinem Schweif, der das kranke Kind in seine Wildnis lockt. Zwischen dem Ortskern der 1000-Seelen-Gemeinde Trun und dem wilden Wasser des jungen Vorderrheins wächst in der Auenlandschaft ein lichtes Erlenwäldchen, das dem Camping «Ogna» (Erlen) seinen Namen gab. Dieser Camping sollte, so der Wunsch von Trun Turissem und der politischen Gemeinde Trun (heute Campadi Trun SA), modernisiert und erweitert werden und einen ganzjährigen Campingbetrieb ermöglichen. Der Auftrag im Projektwett­bewerb von 2012 verlangte, die Infrastrukturen und den Aussenraum den veränderten Anforderungen anzupassen und zugleich ein neues Betriebsgebäude zu planen. Das Siegerprojekt «Tuturna» von Architekt Iso Huonder aus Chur, Landschaftsarchitekt Lorenz Eugster aus Zürich und Holzbauingenieur Walter Bieler aus Bonaduz setzt sich intensiv mit dem mythischen Gehalt dieser idyllischen Erlenlandschaft aus­einander, die ja – am Rand des Siedlungsgebietes – auch so etwas wie den Übergang in die wilde Natur markiert. Tuturna, die römische Brunnennymphe, steht nämlich den Wassersuchern bei, die mit ihren Wünschel­ruten aus Haselnuss oder Schwarzerle nach unterirdischen Brunnen und Quellen suchen, entsprechend reich sind die magischen Wirkungen, die man im Laufe der Jahrtausende der Erle zugestand. Schon bei Homer steht die Erle für Trauer und Trügerisches und noch bei Goethe ist es der Erlkönig, der das kranke Kind des Vaters holt. Diesem Bedrohlichen und Magischen soll die strenge und dunkle Form des Haupthauses einen Schutz entgegenstellen, einen Zufluchtsort der Camper vor der wilden Natur.


Der Steg vom Parkplatz zum Haupthaus.

Auf die Landkarte kommen

Doch eigentlich wollte man mit dem Erweiterungsprojekt im Erlenwald von Trun etwas ganz anderes erreichen: Der Camping von Trun sollte in der Schweiz und in Europa auf die Landkarte des Campings kommen – im Vergleich zu der ganzen Mythologie ein ganz pragmatisches Ziel. Die spezielle Qualität der bestehenden Campinganlage zeigte sich vor allem in der umgebenden Natur, in welche sie eingebettet ist. In der Nähe zum Rhein, im lichten Erlenwald, im Wasser und in ihrer Lage im Tal.

So teilte das Projekt das Programm der Nutzung auf zwei Gebäude auf: Auf ein un­beheiztes Badehaus auf der Prau Lung, welches nur in den warmen Jahreszeiten genutzt wird, und auf ein Hauptgebäude auf der Prau America, welches als Vierjahreszeiten-Haus den Gästen auch in den Wintermonaten Schutz bietet. Das ein­stöckige Badehaus ordnet vier Einheiten windmühlenartig um einen Hof an, darin kann man sich beim Kaffeeautomaten treffen oder auch die sanitären Anlagen in den vier Gebäudeeinheiten nutzen.


Im Haupthaus Schutz finden

Das Hauptgebäude mit dem Empfang und dem Restaurant grenzt direkt an den Wald und den Weiher und bildet – zusammen mit Fischzucht und Tennishaus – ein Ensemble. Auch dieses Gebäude ist einstöckig und – wegen des hohen Grundwasserspiegels – ohne Unterkellerung gebaut, doch setzt das steile Dach über dem Restaurant- und Küchenbereich einen starken Akzent, so dass sich die Silhouette auf der erhöhten Prau America markant und schützend vom Wald abhebt.

Auf der Innenseite des L-förmig angeordneten Haupthauses können Camping- und Restaurantgäste auf der winkelförmigen gedeckten Veranda draussen sitzen oder zu den Toiletten, Duschen und zum Trockenraum gehen. Hier liegt auch die Vorfahrt, was den Platz zum zentralen Treffpunkt mit dem Haupteingang macht. Auf der äusseren Seite des «L» gegen die Waldlichtung hin liegt vorgelagert die ebenfalls gedeckte Haupt­veranda des Restaurants, die ein höheres Dach aufweist und von wo man einen weiten Blick hinauf ins Vorderrheintal und in die Strahlen der Abendsonne geniesst. Über einen Steg kann hier auch der Parkplatz Prau America erreicht werden und im Sommer kann man hier auf einem Vorplatz unter Lichtgirlanden auf mobilen Festgarnituren feiern.


Im Sommer genutzt: das unbeheizte Badehaus.Vorfahrt und Haupteingang zum Vierjahreszeiten-Haus.Auf dem Vorplatz und auf der Hauptveranda kann man auch abends draussen sitzen.

Raffiniert und zugleich einfach

Die äussere Fassadenverkleidung des Haupthauses besteht aus schwarz lasiertem Fichtenholz, innen dagegen ist die Verkleidung unbehandelt. Wie ein Campingzelt spannen die vier Binder aus unverleimtem Holz das helle Restaurantgebäude auf – der 8,70 Meter hohe Gastraum wirkt wie das Schiff einer hohen Holz­kirche. In der Deckenunterschicht sind akustische Massnahmen integriert, unter der Schalung absorbiert ein dichter, aber offenporiger Schafwollfilz die Schallwellen und neutralisiert Schad- und Reizstoffe aus der Raumluft. Die Stühle der Möblierung sind schwarz wie die Aussenhaut des Gebäudes, die Tische und Sitzbänke sind aus Esche geschaffen. Während alle anderen Räume über Epoxidharzböden verfügen, wählte man für das Restaurant einen Boden aus massiver, gebürsteter Fichte. Über der Küche dagegen befindet sich im Dachgeschoss der Lüftungsraum. Auf der sonnenexponierten Seite des mit 50 Grad geneigten steilen Daches wurden zudem zirka 35 Quadratmeter Warmwasserkollektoren installiert, sie versorgen die Campinganlage mit einem Teil des nötigen Warmwassers zum Duschen. So verbindet die Architektur auf raffinierte Weise architektonische und gestalterische Anpassungen mit der gewünschten Funktionalität der infrastrukturellen Einrichtungen. Gleichzeitig aber – und dies ist die eigentliche Leistung – hat sie einen Ort der Mythen und Sagen erhalten, welcher von den Campinggästen als «echte» Landschaft weiter wahrgenommen werden kann.