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EINE BRÜCKE IST EINE BRÜCKE IST EINE BRÜCKE.


Graubünden und seine Brücken im 20. Jahrhundert. Diese Geschichte fängt 1930 mit Robert Maillarts Salginatobelbrücke an und führt über die A-13-Bauten von Christian Menn hin zu Arbeiten von Walter Bieler und Jürg Conzett und ist voller Preziosen. Eine weitere könnte dazukommen: Die St.-Luzi-Brücke in Chur – so man denn will.


Text: Marco Guetg; Fridolin Jakober

Bilder: Mathias Kunfermann

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Das Anliegen ist alt. Bereits in den 1960er-Jahren wurde darüber diskutiert, wie man Chur vom Verkehr nach Arosa befreien könnte. 1970 präsentierte das kantonale Tiefbauamt ein erstes Vorprojekt: Eine Brücke über die Plessur, 575 Meter lang und 150 Meter hoch. Sechs schlanke Stützen würden die sieben Meter breite Fahrbahn tragen. Voraussichtliche Baukosten: 12 bis 15 Millionen Franken.

Der kühne Wurf scheiterte an der Finanzierung.  Danach kehrte Ruhe ein. Erst 2006 forderte der Grosse Rat die Regierung explizit auf, die «Arosafrage» erneut aufzugreifen, eine Machbarkeits­studie zu erstellen und Varianten zu studieren. Ein Auflageprojekt lieferte 2008 Einsichten. Als zweckmässigste wie nachhaltigste Variante wurde wiederum zwischen Araschgenrank und Schanfiggerstrasse eine Brücke über die Plessur vorgeschlagen, 430 Meter lang und mit einer Fahrbahnbreite von sieben Metern. Kosten: 33 Mio. Franken. Es folgten Einsprachen – bis vor das Bundesgericht. Dieses hiess 2014 die Beschwerde von sechs Anwohnern teilweise gut. Die Regierung musste weitere Varianten prüfen. Das ist inzwischen geschehen, sodass in absehbarer Zeit mit einem neuen Auflageprojekt gerechnet werden kann. Immerhin hat die Regierung Ende August 2016 dieses 60-Millionen-Brückenprojekt ins Strassenprogramm 2017 bis 2020 des Kantons Graubünden aufgenommen. Das bedeutet: Mit dem Bau könnte somit noch vor 2020 begonnen werden.

So weit die Fakten. Nur, wie soll diese Brücke aussehen? Diese Frage ist insofern von Belang, als dass die St.-Luzi-Brücke an einem Ort geplant ist, wo jede Intervention sich auf das Churer Stadtbild auswirkt. In technisch-ästhetischer Hinsicht wurde beim kantonalen Tiefbauamt bereits beim Auflageverfahren von 2008 eine Marke gesetzt. «Wir haben damals sämtliche Brückentypen durchgespielt, Brücken mit mehreren Pfeilern, Schrägseilbrücken wie Hängebrücken», sagt der stellvertretende Kantonsingenieur Roger Stäubli, «und uns schliesslich aus topografischen wie geologischen Gründen für den Bau einer Betonbogenbrücke entschieden, die zudem das Stadtbild an diesem sensiblen Ort am wenigsten belasten würde.» An dieser Einschätzung, so Stäubli, habe sich nichts geändert.  

Das letzte Wort dürfte allerdings noch nicht gesprochen sein. Gut möglich, dass noch ein Planungswettbewerb ausgeschrieben wird, über den die Brücke dann ihre definitive Form finden wird. Dieses Vorgehen wäre der Stadt Chur eigentlich zu wünschen. Denn eine Brücke von solchen Dimensionen ist ein Wechselspiel zwischen Natur und Technik und somit immer auch eine Inszenierung. Ein Wettbewerb liefert dabei über die Funktionalität hinaus ästhetische Varianten. Dass sich eine solche Weitung des Blicks lohnt, zeigt die Taminabrücke bei Pfäfers. 2007 schrieb der Kanton St. Gallen einen internationalen Wettbewerb aus. Von den 24 Projektverfassern wählte die Mehrheit als Trag­system den Bogen (http://www.taminabruecke.ch/24-­brucken-vier-rangierte-projekte). Ein Vergleich dieser Vorschläge mit dem inzwischen realisierten Siegerprojekt des deutschen Ingenieurbüros Leonhardt, Andrä & Partner dokumentiert, dass der gleiche Typus nicht zwingend gleich aussehen muss. In diesem Fall befand die Jury, sei der lange, schmale Bogen «ästhetisch kraftvoll. Gerade ihrer Asymmetrie verdankt diese Bogenbrücke ihre geschickt austarierte Einbettung.»

Am Südrand von Chur bestünde die Möglichkeit, am Kapitel der Bündner Brückengeschichte des 20. Jahrhunderts weiterzuschreiben, das mit Robert Maillarts (1872 – 1940) Salginatobelbrücke bei Schiers 1930 seinen Anfang nahm und seinen Ruf nachhaltig prägte. Sie soll, wie kürzlich zu vernehmen war, gar mit dem Label Unesco-Welterbe geadelt werden. Es ist übrigens nicht die einzige Marke, die Maillart in Graubünden gesetzt hat. Die erste stammt aus dem Jahre 1925: Die Valtschielbrücke bei Donat, Maillarts erste, heute noch erhaltene Stabbogenbrücke. Seine dritte Bündner Arbeit entstand fünf Jahre später: Die Landquartbrücke der RhB in Klosters, die allerdings 1993 abgebrochen und durch ein klobiges Ungetüm ersetzt worden ist.


Bald ein Weltkulturerbe der Unesco? Robert Maillarts Salginatobel-Brücke oberhalb von Schiers (1930)

Ironie des Schicksals: Der seither die Landquart querende Betonbrocken wurde von den Nachfolgern im Büro von Christian Menn entworfen, dem für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zweifelsohne wichtigsten Brückenbauer der Schweiz! Christian Menn (89) führte ab 1957 in Chur ein eigenes Ingenieurbüro, lehrte ab 1971 an der ETH in Zürich Brückenbau und war für mehrere Ingenieur-Generationen die prägende Figur. Menns Brücken-­Palmarès ist beeindruckend. Von 1957 bis 1971 projektierte er über hundert Brücken, 80 davon allein im Kanton Graubünden. Unübersehbar ist seine Handschrift entlang der A13, die Reichenaubrücke, die Viamalabrücke . . . und die Bogenbrücke bei Mesocco mit ihren 112 Metern Spannweite. Sie ist das sichtbarste Zeichen dafür, wie Christian Menn weiterdachte, wo
Robert Maillart vierzig Jahre zuvor angesetzt hatte. Quasi als Schlussbouquet seines immensen Schaffens hat Christian Menn, dieser national wie international tätige Brückenbauer (Ganterbrücke VS, Felsenauviadukt BE, Zakim Bridge, Boston USA) mit der Sunni­bergbrücke (1998) bei Klosters-Serneus seinem Heimatkanton ein bleibendes Geschenk gemacht.


Lebende Brückenlegenden

Christian Menn, the Grand Old Man des Bündner Brückenbaus. Längst aus seinem Schatten getreten sind in den letzten Jahren in erster Linie zwei Bündner Ingenieure: Der Bonaduzer Walter Bieler (69) und Jürg Conzett (60), der in Chur ein eigenes Büro betreibt. Während Walter Bieler sich früh schon auf Holz fokussierte und als Holzbauingenieur im Kanton und darüber hinaus zahlreiche Preziosen schaffte, hat sich Jürg Conzett mit seinem Büro in die Tradition des klassischen Brückenbauers gestellt.  Er baut viel beachtete Fussgängerbrücken (u. a. Traversinersteg in der Viamala) wie Auto- und Bahnbrücken (Vorder­rheinbrücke, Danis; Farbtobelviadukt der RhB, Peist), ist als Ingenieur aber auch an Hochbauten beteiligt (Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich; Umbau und Erweiterung des Kongresshauses und der Tonhalle in Zürich).

Conzetts Wirken weist weit über das rein Bauliche hinaus. Er ist Brückenhistoriker und Brückenerklärer. Er hat die Broschüre «Die Albulabahn» in der Reihe «Kunstführer der Schweiz» verfasst und war massgeblich an der Restaurierung der historischen RhB-­Viadukte beteiligt. 2010 schliesslich hat Conzett an der Architekturbiennale in Venedig mit der Konzeption des Schweizer Pavillons sein intellektuelles Gesellenstück abliefern dürfen. Neben der grossen Geste widmet sich Conzett jedoch immer auch der Miniatur. Seinen wohl poetischsten Beitrag hat er 2013 mit dem Wasserweg «Trutg dil Flem» in Flims geleistet, mit seinen sieben Brücken dem Flimser Dorfbach entlang. Er hat damit keinen weiteren Themenweg geschaffen, wie man sie hier und dort antrifft. In Flims steht vielmehr der Ingenieur Conzett im Dialog mit dem Romantiker Conzett und inszeniert eine stimmige Symbiose zwischen Technik und Natur.


Christian Menns Geschenk ans Prättigau: die Sunnibergbrücke bei Klosters-Serneus (1998)Jürg Conzetts statischer Seiltanz in der Viamala: der Traversinersteg (2005)

Weltbekannte Brücke als Kantonswahrzeichen

Graubünden mit seinen 150 Tälern war seit je ein Eldorado für Bauingenieure – das Kommerzialstrassennetz, das Schienennetz der Rhätischen Bahn mit seinen Tunnels und Brücken und – in neuerer Zeit – die Strassenverbindungen in die entlegenen Dörfer und die Bauten der A13; jede Aufgabe ist anders und führt zu funktionalen und formschönen Lösungen aus Holz, Stahl und Beton, die weit über den Kanton hinaus Beachtung finden.

Sie ist inzwischen UNESCO-Welterbe: die Albulalinie der Rhätischen Bahn. Zu ihr gehören zahlreiche Brücken und Viadukte, deren berühmtestes – das Landwasser-Viadukt – zum Wahr­zeichen Graubündens werden soll, ein Wahrzeichen, das den Vergleich mit Big Ben und Eiffelturm nicht zu scheuen braucht. Bis in einem Jahr wollen die RhB, die Region Albula und Graubünden Ferien (GRF) das Konzept «Landwasserviadukt – Wahr­zeichen Graubündens» erarbeiten. Schon früh beschäftigten sich Ingenieure und Brückenbauer mit dem Bau von kühnen Eisenbahnlinien und legten damit das Fundament für die heute weltberühmten Bauwerke der kleinen Roten.

Richard La Nicca (1794 – 1883)

Der in Tenna geborene erste kantonale Oberingenieur Graubündens war als Brückenbauer Autodidakt. Als Ingenieur betreute er den Bau der wichtigen Hauptachsen des bündnerischen Strassennetzes (Julier, Maloja, Bernina) und konstruierte selber auch einige Brücken, etwa die Rania-Brücke am Südeingang der Viamala (1836) oder die Holzbrücke über das Versamertobel. Er setzte sich für eine alpenquerende Bahn in Graubünden ein. Seine technisch brillanten Bahn-Projekte (Lukmanier) wurden aus politischen Gründen nicht umgesetzt.

Hans Studer (1875 – 1957)

Der dipl Ing. ETH war der Projektingenieur des Wiesener Viaduktes (1907/1908), das ist die grösste Steinbogenbrücke der RhB. Diese Brücke wurde nach der Elastizitätstheorie berechnet, die Hans Studer beim Wiesener Viadukt erstmals in die Praxis umsetzte. Er trat 1898 eine Stelle bei der RhB an. Nach dem Bau der Solisbrücke und des Wiesener Viaduktes übernahm er als Sektions­ingenieur die Bauleitung der Strecke Bever – Zernez. Später gründete er als beratender Ingenieur ein Büro in Zürich und war als Experte für Kraftwerksbauten engagiert.

Richard (Risch) Coray (1869 – 1946)

Der Zimmermeister und Gerüstbauer aus Trin ermöglichte mit seinen Lehrgerüsten den Bau weit gespannter Brücken aus Stein und Beton. Über seinen eleganten und filigranen Lehr­gerüsten konnten wichtige Brücken der Rhätischen Bahn aufgemauert werden: der Soliser Viadukt (1902), der Wiesener Viadukt (1907/1908), der Langwieser Viadukt und der Gründjitobel-­Viadukt (1913). Zusammen mit seinen Söhnen entwickelte Risch Coray eine neuartige Konstruktionsweise für das Lehrgerüst der Salginatobelbrücke (1929) von Robert Maillart.


Landwasserviadukt: der Eiffelturm GraubündensDer Wiesener Viadukt von Hans Studer