«Der Fundus meiner Arbeit ist die optische Sachlichkeit der Griechen.» Mit diesem Ausspruch umreisst Architekt Rudolf Olgiati (1910 – 1995) selbst, wie er dazu gekommen ist, eine eigene Architektursprache zu entwickeln. Manche Interpreten – etwa Ulrike Fischer in «Regionalistische Strategie in der Architektur Graubündens: von 1900 bis in die Gegenwart» – sehen Phasen, in denen sich die Architektur Graubündens stärker mit der lokalen Tradition verband, etwa in der «Heimatschutzarchitektur» von Nicolaus Hartmann, Otto Schäfer und Martin Risch vor dem 1. Weltkrieg, in den Bauwerken nach dem 2. Weltkrieg, wo sie Olgiati in einer Reihe mit Iachen Könz und Bruno Giacometti sehen, und schliesslich die aktuelle Phase mit Peter Zumthor und Gion A. Caminada. Tatsächlich haben sich alle diese Architekten mit den Traditionen des Bauens in Graubünden beschäftigt und knüpfen daran auf ihre individuelle Weise an.
Der Mensch im Zentrum
Womit also hebt sich Rudolf Olgiati von ihnen ab? Was macht ihn als Architekten einzigartig? Zuerst einmal ist es sein anthropologischer Zugang. Olgiati stellt den Menschen ins Zentrum und untersucht die sinnlichen Wirkungen, welche die Elemente der Architektur auf den Betrachter und den Bewohner haben. Die schützende Mauerschale, welche fest im Boden wurzelt und sich gegen den Himmel öffnet, die tiefliegende Feuerstelle als Mittelpunkt des Wohnbereichs, von dem die Raumbeziehungen ausstrahlen. Die annähernd quadratischen Öffnungen der Fenster, welche den Schalencharakter der Fassade respektieren. Die Wiederverwendung von handwerklich wertvollen Teilen aus dem Abbruchobjekt, welche ein lebendiges Verhältnis zur Vergangenheit schaffen. Aus diesen und weiteren Elementen seiner Architektursprache entstanden Häuser und Wohnungen, die selbstverständlich wirken und doch neu sind.
Thomas Boga, der 1977 die Monographie «Die Architektur von Rudolf Olgiati» verfasste, die wir – neben seinen Bauten – als wichtige Quelle für den vorliegenden Artikel verwendeten, beschreibt diese sinnliche Wirkung in seinem Vorwort sehr klar: «Im Februar 1962 verbrachte ich meine Ferientage zum erstenmal im Apartementhaus ‹Las Caglias›. Das Haus war erst seit anderthalb Jahren eröffnet. Ich versuchte damals nicht, die gewonnenen Eindrücke zu analysieren. Vertrautheit und Geborgenheit wirkten weit nachhaltiger als Gestalt und Formensprache. ‹Las Caglias› schien so selbstverständlich da zu stehen wie der Hügel, auf dem es gebaut ist.»