Unikate weiterpflegen
Zwar unterscheidet die Broschüre prinzipiell drei Typen, doch ist wohl jede der überschlagsmässig 70 000 historischen Stallscheunen in Bündner Bauzonen ein Unikat. Entsprechend sind ein wenig Fingerspitzengefühl, Kreativität und die Kooperation mit Spezialisten gefragt. Es werden zeitgemässe architektonische Lösungen gesucht, bei denen die thermisch notwendige Hülle hinter der historischen Fassade entsteht. Denn, ob gestrickte Stallscheune, Pfeilerstall oder gemauerter Stall, Ziel sind Massnahmen innerhalb des Hauptvolumens – also das «Haus im Stall». Einfache Bilder und Skizzen in der Wegleitung zeigen entsprechende Umbaustrategien auf. So sollen die entstehenden Konzepte auf die unterschiedlichen Raumqualitäten des Stalls abgestimmt werden. Das untenliegende, gedrungene, eher geschlossene Stallgeschoss lässt sich beispielsweise für Technik, Nasszellen oder zum Schlafen nutzen. Der darüber liegende Heuraum ist gross und hoch. Hier wird durch den lichtdurchlässigen Wandaufbau eine luftige und geräumige Atmosphäre erzeugt. Dieser Heuraum eignet sich für die Aufenthaltsräume. Grosse Wohn- und Esszimmer in Kombination mit der Küche lassen sich hier verwirklichen. Nicht nur bei der Raumaufteilung, auch bei der Gestaltung der neuen, inneren Fassade braucht es Ideenreichtum: Etwa, indem bestehende Öffnungen wie das grosse Scheunentor zur Belichtung genutzt werden oder indem grosse Fenster hinter der historischen Fassade entstehen und interessante Lichtspiele in den Wohnräumen erzeugen. Mit vielen Konstruktionsbeispielen zeigt die Wegleitung, wie neue Wohneinheiten in die alte Struktur eingeflochten werden. Wo die Scheune eine Einheit mit dem Wohnhaus bildet, ist es gerade die Inszenierung des Kontrasts von Alt und Neu, die den Reiz im Innenraum zum Ausdruck bringt.
Bewusst wurden Handskizzen gezeichnet, die das Prinzip einer Lösung aufzeigen. Sie inspirieren und geben nicht starre Vorschriften wieder. Eine Reihe von Beispielbildern zeigt für alle drei Stalltypen gelungene Raumeindrücke, welche die Spannung zwischen historischem Stall und neuem Wohnen sichtbar machen.
Neue Dynamik im Dorf
Das neue Raumplanungsgesetz, RPG I, bewirkt ein wesentliches Umdenken in der Siedlungsentwicklung. Nicht die Erweiterung der Dörfer mit zusätzlichen Speckgürteln aus Einfamilienhäusern ist die Zukunft, sondern eine gezielte und qualitätsvolle Innenentwicklung – die Nutzung der vorhandenen Potentiale. Die Gemeinden in Graubünden sind aufgefordert, die Nutzungsplanung ihrer Dörfer und Weiler in den kommenden fünf Jahren zu überarbeiten. Hierbei spielt die Zukunft der prägenden bekannten Dorfkerne und ihrer Ställe eine wichtige Rolle. In unterschiedlichen Gesetzestexten wird die Wichtigkeit der geschützten und ortsbildprägenden Bauten erwähnt, nicht zuletzt im Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) und im Kantonalen Natur- und Heimatschutzgesetz (KNHG). Deshalb hat die Bündner Vereinigung für Raumentwicklung zusammen mit dem Amt für Raumentwicklung von der BauSatz GmbH und dem Institut für Bauen im alpinen Raum IBAR die «grüne Wegleitung» für die Verankerung dieser Bauten in der Nutzungsplanung erarbeiten lassen. Sie bietet den Gemeindebehörden und den zuständigen Kommissionen eine Hilfe bei der Bezeichnung der geschützten und ortsbildprägenden Bauten.
Bündner Gemeinden erlassen bereits seit langem in ihrer Nutzungsplanung Bestimmungen, um ihr historisches Ortsbild (in Schutz- und Erhaltungsbereichen) oder einzelne Bauten zu schützen. Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative hat jedoch eine neue Dynamik bewirkt. Das neue Bundesgesetz über Zweitwohnungen verbietet in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von mehr als 20 Prozent das Schaffen und Erstellen von privaten Zweitwohnungen. Aber es sieht eine Ausnahme vor: Unter bestimmten Voraussetzungen können in geschützten und ortsbildprägenden Bauten neue Zweitwohnungen zugelassen werden. Ziel des Gesetzgebers ist es, den Gemeinden einen Freiraum zu bewahren, um prägende Bauten – und somit das Ortsbild – zu schützen. Bei geschützten Gebäuden ist dies natürlich nur im Rahmen der für das Objekt erlassenen Schutzbestimmungen möglich, bei ortsbildprägenden Gebäuden verlangt das Zweitwohnungsgesetz, dass der Schutzwert nicht beeinträchtigt wird, so wie es in der «blauen Wegleitung» skizziert wird.
Der Weg zum Schutz
Für Bündner Gemeindeverantwortliche und Kommissionsmitglieder wurde diese «grüne Wegleitung» entwickelt. Sie stellt eine einfach verständliche und nützliche Übersicht dar, wie Bauten als ortsbildprägend eingestuft werden können. Sie nennt Arbeitsschritte und zeigt Methoden, wie geschützte und ortsbildprägende Bauten – über die Entwicklung eines Gesamtkonzepts für das Ortsbild und die Abstimmung mit dem kommunalen räumlichen Leitbild – in der Nutzungsplanung verankert sein können. Ein Verfahrensschema zeigt den Weg von der Absicht bis zum Genehmigungsverfahren auf. Diese Bestimmungen werden in die Revision der Nutzungsplanung integriert – eine grosse und verantwortungsvolle Aufgabe für die 106 Gemeinden im Kanton.