Abos!

AUSSERGEWÖHNLICH NORMAL.

Wer von moderner Architektur spricht, meint damit oft Leuchtturmprojekte, die mit ihrer Individualität den Blick auf sich ziehen. Dagegen setzen sich die Bauten der beiden jungen Architekten Sacha Conte und Daniel Auer von auer.conte architekten fh wohltuend und bewusst ab, indem sie sich an die Normen halten und damit gleichzeitig Aussergewöhnliches schaffen.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: EMIL Fotografie

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Sie studierten zusammen an der HTW Chur (Fachhochschule Ostschweiz) Architektur und trafen sich danach hin und wieder zum verbindenden Hobby Fliegenfischen. Daniel Auer, der seit 2011 das Architekturbüro seines Vaters in Fideris weiterführte, hatte gerade einen grossen Auftrag an Land gezogen. Doch dazu brauchte er die Unterstützung eines zweiten Architekten. Sacha Conte war – nach Anstellungen bei renommierten Architekten – zurück in seinen Heimatkanton nach Ennenda gezogen. Beide hatten sich also in zwei verschiedenen Alpentälern fest­gesetzt. Von dieser räumlichen Distanz liessen die beiden sich aber nicht abhalten, sondern gründeten die auer.conte architekten fh mit Büros in Fideris im Prättigau und in Ennenda im Glarnerland.


Getreu dem Quartierplan

Diese betreffenden Mehrfamilienhäuser für die Bauherrschaft Gebrüder Reinstadler mit ihren zwei, im rechten Winkel zueinander angeordneten Baukörpern stehen am Dorfeingang im Quartier Palottis in Sichtdistanz zum historischen Dorfkern von Fideris. Beim einen steht der First zum Hang, beim anderen der Ortgang. Verbunden sind sie über eine gemeinsame Erschliessung – einen markanten Treppenaufgang und einen Lift. Horizontale Bänder auf der Höhe der Geschossecken schnüren die beiden Baukörper und das Treppenhaus zusammen. Durch diese Betonung der Horizontalen wirken die beiden Gebäude miteinander verbunden, ihre Proportionen fügen sich ins Ortsbild ein und passen zu den umgebenden Bauten. Vertikal wird die Fassade durch Holz­elemente, den Treppenaufgang und die Balkone gegliedert. Das Spiel zwischen Gemauertem und Holzteil, wie sie es bei diesen Mehrfamilienhäusern zeigen, kennt man in Fideris – wo einige murale Häuser mit den zugehörigen Stallscheunen verbunden sind.


Originelle Ruhe der Dächer

aniel Auer und Sacha Conte haben bei den Satteldächern bewusst auf jegliche Dachaufbauten wie Lukarnen oder Dachgauben verzichtet, denn auch die Häuser der Umgebung weisen ruhige Satteldächer auf. «Gauben wollten wir nicht», sagt Sacha Conte, «da es im Dorf viele Dächer gibt, die ruhig sind.» Um aber im Dachgeschoss trotzdem auf die nötige Höhe für die Fenster zu kommen, entschieden sie sich, die Dächer im unteren Bereich auf der gesamten Länge durch Aufschieblinge zu brechen. Dieses Element kennt man auch aus der traditionellen Baukunst, es ist bei den Mehrfamilienhäusern «Palottis» aber auf eine neue Art ausgeführt.

Denn die Philosophie von auer.conte architekten fh ist bodenständig und versucht nicht, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr geht es den jungen Architekten darum, bestehende Bauten und Bauteile weiterzuentwickeln und neu zu interpretieren. Sie suchen die Verwurzelung mit dem Ort und wollen, dass ihre Lösungen für heute gelten und zugleich für die langjährige Zukunft ihre Daseinsberechtigung behalten.


Wohnhaus Palottis in Fideris.Blick vom Balkon zum Treppenaufgang.

Der historische Bezug

Das ist bei diesen Mehrfamilienhäusern gelungen. Fideris ist mit seiner Sternform einzigartig in der Schweiz. Seinen Dorfkern prägen die Patrizierhäuser, welche von den Herren Bavier, Beeli, Bühler, Engel, Gujan, Planta und Rofler erbaut wurden. Sie waren als Podestaten im Veltlin oder als Offiziere in fremden Diensten zu Geld und Ansehen gelangt und hatten sich als Landammänner und Richter des Kreises und des Zehn-Gerichte-Bundes eingesetzt. Das lässt sich an ihren stattlichen Steinhäusern mit den breiten Fassaden ablesen. Da Daniel Auer grosses Interesse an der historischen Bausubstanz und dem kulturellen Erbgut hat und deshalb das Nachdiplomstudium «Denkmalpflege und Umnutzung» an der Berner Fachhochschule absolvierte, suchte er auch bei der Planung dieser Mehrfamilienhäusern im Palottis-Quartier den Bezug zur historischen Bausubstanz von Fideris. Sie orientieren sich also in Grösse und Gestalt an den Patrizierhäusern im Dorfkern. Ihre Fassaden in gebrochenem Weiss, verputzt mit natürlichen Materialien auf Kalkbasis, die ruhige Anordnung der Fensteröffnungen und die Staffelung der um ein halbes Geschoss versetzten Volumen greifen architektonisch sorgsam in die Umgebung ein und zeigen sorgfältige Planung.


Auf den zweiten Blick

Auch bei der Nachhaltigkeit wurden Akzente gesetzt. Einerseits ist das Haus sehr gut gedämmt und wird von einer Sole-Wasser-Wärmepumpe beheizt. Andererseits wurden seine Aussenwände mit Einsteinmauerwerk erstellt, was im Inneren für ein angenehmes Raumklima sorgt. Die Grossblocksteine für das Einsteinmauerwerk stammen von der Ziegelei Landquart und haben ein System, um behagliche Wohnqualität zu schaffen. Denn die Isolation ist in den Stein eingebaut, was Heizkosten spart und auch die Unterhaltskosten reduziert. Die Wahl der Bodenbeläge orientierte sich an der Funktion der Räume, wobei man sich einerseits für Holz, andererseits für schwarze Plattenbeläge entschied. «Die Beläge im öffentlichen Bereich, dort wo der Gast die Wohnung erlebt, sollen hölzern sein. Die Küche dagegen bekommt traditionelle Zementplatten.»

Doch wie kam Fideris zu diesen neuen Mehrfamilienhäusern? Die Gebrüder Marco, Armin und Beat Reinstadler als Bauherren waren auf der Suche für eine nachhaltige Investition, welche dem Dorf einen Mehrwert bringen soll. Da in Fideris das Angebot von Mietwohnungen für junge und alte Menschen, für Alleinstehende und Paare, aber auch für Familien sehr beschränkt ist, verlangten sie verschieden grosse Wohnungen mit attraktiven Raumprogrammen. Und so entstanden insgesamt sieben neue Wohnungen mit zeitgenössisch hohem Ausbaustandard und direktem Blick aufs Dorf – zwei 2,5-Zimmer-Wohnungen, drei 3,5-Zimmer-Wohnungen und zwei 5,5-Zimmer-Wohnungen.  

Den Fischen bleiben die beiden jungen Architekten von auer.conte treu, zwischen Ennenda und Fideris liegt der Walensee.  Gerade arbeiten sie an einem An- und Umbau in Quinten für ein Bed & Breakfast-Projekt. Dabei werden die fünf Gästezimmer mit Balkon zum Walensee in den Farben von Rotfeder, Hecht, Egli, Forelle und Felche gestaltet. Zweifellos originell, aber auch mit dem engen Bezug zur Umgebung und zur Siedlungsstruktur. Mehr Informationen: www.auerconte.com


Wohnzimmer, Küche und der eingezogene Balkon treffen aufeinander.Die Fenster rahmen die Aussicht.