Abos!

AUF DER SUCHE NACH DER ZEIT VORAUS.


Im Juni 2017 genehmigte der Grosse Rat einen Kredit von 31,4 Millionen Franken, mit dem das Konvikt von Chur in den kommenden drei Jahren (2018 – 2020) denkmalgerecht renoviert wird. Eine Gratwanderung zwischen Heimatschutz und Energiegesetz.


Text: Fridolin Jakober

Bilder: Alice Das Neves

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Wer sich heute in das Gebäude des Konvikts an der Arosastrasse aufmacht, begibt sich auch auf die Suche nach einer inzwischen verlorenen Zeit. Die Räume mit ihren Naturholzwänden und Klinkerböden, die vor- und zurückspringenden Trakte, die Verbindungsgänge, die hohen Räume – alles erinnert an die 1960er-Jahre, als man sich in der Architektur an die Moderne der 1930er-Jahre zurückbesann. Denn damals schufen die Architekten Otto Glaus – er war unter anderem Praktikant bei Le Corbusier –, Ruedi Lienhard und Sep Marti dieses Monument aus Sichtbeton mit insgesamt neun Geschossen in drei hintereinander und übereinander gestaffelten Trakten. Wie eine mittelalterliche Burg wächst das Wohnheim für Kantonsschülerinnen und Kantonsschüler aus dem Fels und genau aus diesem Hochmittelalter stammt die Idee, Bursen zu gründen oder Konvikte, wie man sie später nannte. Im Mittelalter legten die Studenten ihre Börsen, also dass, was im Geldbeutel war, zusammen, um sich aus der Gemeinschaftskasse das Leben in den teuren Universitätsstädten leisten zu können, später nannte man das einen Ort des Convivere, also des Zusammenlebens, eben ein Konvikt.


Monument aus Sichtbeton.Die Staffelung der Trakte schafft Terrassen.

Zusammenleben für Studenten


Es gab Wohn-, Ess-, Schlaf- und Studienräume und es gab strenge Regeln – die älteste Burse wurde 1257 in Paris für arme Theologiestudenten gegründet, es ist das Collège de Sorbonne. Schon fast nach klösterlichen Regeln waren ihre Nachfolgeinstitutionen, die Theologenkonvikte, die Stifte und Studienhäuser organisiert, die meist dem Bistum und der Theologischen Fakultät nahestehen. 1957, also genau 700 Jahre nach der Gründung der ersten Burse, proklamierte Raumplaner Hans Marti im modernen Richtplan das Idealmodell für Chur, die Stadt wuchs und mit ihr die Wohnsiedlungen – vom Bananenblock bis zum Lacuna-Quartier. Die Schülerzahlen explodierten, und so wurden Schulhäuser und ein Lehrerseminar gebaut. Teilweise baute man noch nach dem Vorbild der Landi-Architektur, manch anderes Gebäude aus dieser Zeit – etwa die Heiligkreuzkirche – wird dem Brutalismus zugerechnet. Und weil das alte Konviktsgebäude von 1901 neben dem alten Kantonsschulhaus – das man ja auch neu bauen wollte – im Weg war, verlegte man das neue Wohnheim für die Schüler aus den entlegenen Tälern am gleichen Hang stadtauswärts.


Herausragenden Bau erhalten

Tatsächlich aber entstand dort von 1967 bis 1968 nicht nur ein Wohnheim für 100 Schüler – seit 2004 sind auch Schülerinnen zugelassen –, sondern der markante Abschluss der Alpenstadt gegen das Schanfigg und den Montalin hin, ein herausragendes Denkmal der Nachkriegsmoderne in Chur. Insbesondere wer auf die Lenzerheide fährt, kann es nicht übersehen. Es bestanden kaum Zweifel daran, dass das Konvikt als Zeitzeuge erhalten werden muss, und das Gesetz über die Mittelschulen sieht auch vor, dass der Kanton seinen Mittelschülern ein preiswertes und betreutes Wohnen ermöglichen soll. Allerdings fehlten die Finanzmittel, um an den Gebäuden Werterhaltung zu betreiben. Aus demselben Grund wurde in den 1990er-Jahren die energetische Gesamtsanierung abgeblasen. Fazit: Notwendige Investitionen zur Werterhaltung wurden nicht durchgeführt, es besteht heute grosser Unterhaltsbedarf.


Herausragenden Bau erhalten.Roher Beton im Wohnbereich.Auch das Mobiliar ist historisch.So leben Studenten zusammen.Naturholzwände werden übernommen.

Bescheidenheit und ökologische Instandsetzung


Also ist es wohl durchaus konsequent, dass der Kanton – als kostenbewusster Bauherr – sich für das Renovationsprojekt «Weniger ist mehr» von Architekt Pablo Horváth entschied. Denn es minimiert die baulichen Eingriffe am Denkmal und übt sich auch beim Ausbau des Komforts – etwa bei den Sanitärräumen – in Bescheidenheit. Der Beton wird im Trockeneisstrahl-Verfahren gereinigt und soll wieder so hell werden wie bei der Einweihung des Gebäudes. Die bestehenden Materialien werden wo möglich erhalten und der Eingriff in die Bausubstanz wird gering gehalten. Die notwendigen Veränderungen dienen der Anpassung an die heutigen Bedürfnisse der jungen Bewohner. Zur ökologisch sinnvollen Sanierung gehört es, so Markus Dünner, Kantonsbaumeister, dass kein Schaum und keine Lösungsmittel verwendet werden und dass wenig graue Energie aufgewendet werden muss. Eine anspruchsvolle Aufgabe für Architekten und Planer. Die Leitungen bleiben auf Putz, es wird nicht aufgespitzt und wieder einbetoniert. Man hat sich auch bei den energetischen Aspekten für eine massvolle Umsetzung im ECO-Standard entschieden und will so den Energieverbrauch senken. Denn es wäre bei der denkmalpflegerischen Instandsetzung nicht möglich, den strengeren Minergie-P-Standard zu realisieren. Gleichzeitig nutzt man die Synergien, die sich ergeben, wenn der Ergänzungsneubau und die Gesamterneuerung der Bündner Kantonsschule Ende 2017 abgeschlossen sind. Für die Zeit der Instandsetzung des Konvikts werden die Schüler in einem gemieteten Provisorium aus Holz in Modulbauweise wohnen, das westlich vom Schulhaus Cleric aufgebaut und nach der Erneuerung andernorts wiederverwendet wird. Das Mittagessen werden die Schüler zukünftig in der neuen Mensa bekommen, so kann die Kücheninfrastruktur des Konvikts deutlich verkleinert werden. Die einst so strengen Regeln des Zusammenlebens unter einem Magister regens oder Prior sind heute passé, schon seit fast 50 Jahren bezieht das professionelle Betreuerteam die Schülerinnen und Schüler in die tägliche Führung des Betriebes mit ein und sorgt für ein sinnvolles Freizeitangebot. Nach dem Leben im Provisorium wird also das Konvikt für weitere 40 Jahre und vielleicht gar darüber hinaus ein Ort bleiben, wo Kantonsschülerinnen und -schüler aus Graubünden zusätzlich zum gewohnten Schulbetrieb menschliche Bildung und Gemeinsinn erlangen können.


Markanter Abschluss der Altstadt.